Heimat 3 - Chronik einer Zeitenwende

Drama | Deutschland 2003/04 | Kino: 680/DVD & Video: 657 (102/96/120/128/101/110)/Fernsehen: 540 Minuten

Regie: Edgar Reitz

Die Geschichte vom Niedergang der Unternehmerfamilie Simon aus Schabbach wird vom Mauerfall am 9.11.1989 bis zur Silvesternacht der Jahrtausendwende weitergesponnen. Anfänglich reiht der Film allzu thesenhaft und melodramatisch symbolhaft verdichtete Anekdoten, findet dann aber mit bemerkenswerter Gelassenheit zu epischem Atem und nimmt sich Zeit für Figuren und Landschaft. Der wachsenden poetischen Kraft der Bilder entspricht eine zunehmende Entkoppelung der Individualgeschichte von ihren zeithistorischen Kontexten. Leise, mal mit melancholischem, mal sarkastischem, mal burleskem Humor entwickelt sich (trotz darstellerischer Schwächen in den Hauptrollen) eindrucksvoll eine mäandernde Geschichte der Hoffnungen und Enttäuschungen, Krankheiten und Krisen, Feste und Trauerfeiern. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2003/04
Produktionsfirma
Edgar Reitz Filmprod./SWR/ARD/ARD Degeto/ARRI Cine Technik/Recorded Picture Company
Regie
Edgar Reitz
Buch
Edgar Reitz · Thomas Brussig
Kamera
Thomas Mauch · Christian Reitz
Musik
Nikos Mamangakis · Michael Riessler
Schnitt
Susanne Hartmann
Darsteller
Henry Arnold (Hermann Simon) · Salome Kammer (Clarissa Lichtblau) · Michael Kausch (Ernst Simon) · Mathias Kniesbeck (Anton Simon) · Christian Leonard (Hartmut Simon)
Länge
Kino: 680
DVD & Video: 657 (102
96
120
128
101
110)
Fernsehen: 540 Minuten
Kinostart
-
Fsk
DVD & Video: ab 0 (1,2,6); ab 6 (3,4,5)
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Serie
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Kinowelt (FF, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Vom 9. November 1989 bis zum 1. Januar 2000: elf Jahre in annähernd zwölf Stunden: „Heimat 3“. Geradezu störrisch hat Edgar Reitz sein Epos doch noch zur Trilogie vollendet, was durchaus nicht als ausgemacht gelten konnte. Insgesamt hat die gigantische Chronik des letzten Jahrhunderts den Regisseur 25 Jahre Arbeit gekostet, und die logistische Bewältigung des Mammutprojekts nötigt ebenso Respekt ab wie die Erkenntnis, wie sehr „Heimat“ Teil der eigenen (nicht nur) Kinobiografie geworden ist. Konnte man anhand von „Heimat“ (1981-84) noch eine Geschichte des Medienwandels im Deutschland des 20. Jahrhunderts rekonstruieren, so hatte „Die zweite Heimat“ (1988-91) bereits selbst unter der veränderten Medienlandschaft zu leiden.

Auch heute ist es der Fernsehalltag, der sich „Heimat 3“ anfangs in den Weg stellt, wenn man sich fragt, ob Zeitgeschichte und erzählte Geschichte wirklich auf so trivial-melodramatische Weise eng geführt werden müssen, dass die zentrale Erzählachse, die Liebesgeschichte, das Wiedersehen von Clarissa Lichtblau und Hermann Simon, ausgerechnet am Tag der Maueröffnung in Berlin etabliert werden muss; und dass beide als vielgereiste Heimatlose gerade Schubert dirigiert bzw. gesungen haben, um so einen Romantik-Diskurs zu eröffnen, der geradewegs zum Günderrode-Haus am Rheingraben führt. Ist das nicht etwas zu dick? Lange Zeit ist „Heimat 3“ ein hastiges Herzeigen verdichteter Zeitgeist-Kolportagen. Bestes Beispiel: Während der zum Immobilienmakler gewordene Handwerker Udo seine ästhetischen Visionen ausmalt, stürmt ein Trupp Skinheads durchs Treppenhaus, um in ihrem Probenraum stumpfen Nazi-Rock zu spielen, von dem zwei, drei Takte in den Film finden – im Gegensatz etwa zu Bildern aus Rostock-Lichtenhagen oder Mölln. Muss man tatsächlich einen Handwerker aus der DDR mit dem Namen Gunnar Brehme versehen, um die Verzahnung seiner Biografie mit der Fußball-WM 1990 als Pointe ausspielen zu können? Und muss man diesen Gunnar Brehme ausgerechnet mit dem Kabarettisten Uwe Steimle besetzen, dessen routiniert sächselnde Ranküne nur zu vertraut ist? Steimle wirkt wie ein störender Kniefall vor der Zeitgeist- Mode der Comedy, bevor er später seine Figur leise und präzise zur Studie eines gebrochenen Vereinigungsprofiteurs gestaltet, dessen Platz im entscheidenen Moment frei bleibt.

Dieses „später“ ist denn auch von entscheidender Bedeutung. Reitz braucht sehr lange, bis er dorthin gelangt, wo die Grundlagen für souveränes Erzählen gelegt sind. Der Anfang bleibt Behauptung, sorgt dramaturgisch für die gewollte Fallhöhe des „glücklichsten Volkes der Welt“, das die Deutschen Ende 1989 beschlossen hatten zu sein – papieren die Dialoge, hölzern die Darsteller, ungeduldig der Blick. Zur Erzählstruktur des „und dann, und dann“ tritt das nicht minder triviale „ja aber“: Auf die Emphase des Augenblicks folgt die Ernüchterung, auf den Triumph der Tod. Was „Heimat 3“ im Großen charakterisiert, findet sich auch im Kleinen: Als Deutschland 1990 Fußball-Weltmeister wird, ist Gunnars Ehe gescheitert; als der SV Schabbach den Aufstieg schafft, ist der Ehrenvorsitzende Anton am nächsten Morgen tot. Andererseits führt genau diese Konstruiertheit zu sinnfälligen Metaphern: Wenn Hermann und Clarissa das Günderrode-Haus mit Hilfe „billiger“ Arbeitskräfte aus der DDR renovieren, ist es für Hermann vielleicht eine Rückkehr nach Schabbach; für die Handwerker ist es ein Aufbruch in ein neues Leben, vergleichbar mit Hermanns Reise nach München in „Die zweite Heimat“. An Gunnar, Tobi, Tillman und Udo exemplifiziert Reitz die Chancen, die „1989“ bereithielt: Man konnte es vom Mauerspecht zum Börsenspekulanten, vom Handwerker zum Immobilienmakler bringen, seine Leidenschaft für obskur- größenwahnsinnige Kunstprojekte (das Trabi-Mobilé an der Elbe) entdecken oder sein kleinbürgerliches Idyll am Rhein suchen.

Der Preis für diese soziale Dynamik ist hoch, kaum eine Paarbeziehung übersteht die Wende; Selbstzweifel, Lebenslügen oder Alkoholismus stehen dagegen. Der Dynamik aus dem Osten steht die Statik des Westens gegenüber. Hier wird sich noch an der „Familienbande“ (Hartmut Simon) aufgerieben und zumeist vergeblich versucht, einen autonomen Raum neben dem autokratisch schaltenden und waltenden Familienpatriarchen Anton zu erobern. Selbst der Tod ist keine Lösung, er schafft lediglich neue Konfliktfelder – Erbstreitigkeiten, Neid, Kleinkariertheit und Missgunst –, die neue Opfer fordern. Mit Hermann und Clarissa hat das wenig zu tun, sie treten über weite Strecken hinter ihr Haus als dem eigentlichen Zentrum des Films zurück. Ihre künstlerische Arbeit bleibt auf wenige Szenen beschränkt, die dann (nicht zuletzt aufgrund der darstellerischen Schwächen von Henry Arnold und Salome Kammer) sogar unfreiwillig komisch wirken. Hier hat man es mit einem Künstlerhaushalt zu tun, in dem über Kunst nicht (oder kaum) geredet wird. Schabbach ist in „Heimat 3“ kein der Zeit enthobenes Idyll mehr; vielmehr prägt die Globalisierung die Handlung, sei es der Abzug der US-amerikanischen Truppen, die Ankunft der Russlanddeutschen aus Kasachstan, der unaufhaltsame Niedergang der optischen Fabriken der Simons. In einer der verstörendsten Szenen begegnet Hermann während einer Zugfahrt dem „Firmenvernichter“ Dr. Böckle, der ihn über die mittlerweile am Markt herrschenden Praktiken der feindlichen Übernahme aufklärt. Bei einer Taufe wird Hermann Dr. Böckle als geschätztem Geschäftspartner seines Bruders Hartmut wieder begegnen, doch seine fällige Warnung unterbleibt, weil die Familie wieder einmal im Streit auseinander geht. Später wird Dr. Böckle Hartmut ruinieren. Auch die Idee, die durch den Konkurs der Firma Simon verlorengegangenen Arbeitsplätze dadurch zu schaffen, dass man die Region durch ein „Ernst- Simon-Museum“ aufwertet, scheitert am Widerstand von engstirnigen Naturschützern, die polemisch als „Zugezogene“ charakterisiert werden. Fast folgerichtig wird der Schatz, den der Abenteurer Ernst Zeit seines Lebens angesammelt hat, von der Erde verschlungen und von den Menschen zum makabren Sarkophag wegbetoniert.

Es spricht für Reitz’ epischen Atem, dass „Heimat 3“ trotz aller Schwächen ab Teil 3 („Die Russen kommen“) jenen typischen „Heimat“-Sog entfaltet, dem man sich nur schwer entziehen kann. Was zu Beginn oberflächlich war, wird nun zum mäandernden Erzählen, das großzügig über sein Personal verfügt. Auch visuell legt der Film an Qualität zu und entwickelt poetische Kraft. Die Vernetzung von Zeit- und Individualgeschichte löst sich allmählich, wird radikal entpolitisiert und findet zum Rhythmus der vier Jahreszeiten zurück. Immer häufiger spielen Szenen auf dem Friedhof, es entwickelt sich ein ruhiges Werden und Vergehen, das für Golfkrieg, Regierungswechsel oder Zusammenbruch des Neuen Marktes kein Bild übrig hat. Interessant ist der Wandel des Tonfalls gegenüber den beiden früheren Teilen, die mitunter zu Weihevollem oder Sentimentalem neigten. In „Heimat 3“ regiert der Humor, der nicht verlacht, aber auch kaum Pathos zulässt. Oft werden Szenen von pointiert sarkastischen Dialogen geprägt, was der Einfluss von Thomas Brussig sein mag. Das dadurch provozierte Lachen hält die Erzählung, die längst zur Comédie humaine geworden ist, stets etwas auf Distanz, strahlt Gelassenheit aus und befreit von dem Anspruch, als erhabenes Nationalepos wahrgenommen zu werden. Stattdessen sind es kleine Details, die hängen bleiben, zu Denken geben und Akzente setzen: Da ist die Öffnung nach Osten, die durch den Abzug der US-Truppen und den Einzug der Russlanddeutschen, aber auch durch den Sammler Ernst prägnant fixiert wird. Die „Westbindung“ Deutschlands findet nur noch in scheiternden Kunstprojekten (Clarissas Performancekunst; das Museumsprojekt) ihren Niederschlag, wie überhaupt der Kunstdiskurs skeptisch und tendenziell anti-modernistisch ausfällt. „Wer mit dem Zeitgeist verheiratet ist, wird schnell Witwer“, heißt es in einer Sentenz, in der man meint, es mit selbstreflexiven Schüben des Filmemachers selbst zu tun zu haben. Dazu passt die Apologie des Handwerklichen, die die Filme wie ein roter Faden durchzieht. Am Schluss sind die aufbruchsenthusiastischen Rebellen der 1960er-Jahre milde Großeltern, die gelernt haben, dass ihre Biografie weit weniger selbstbestimmt war als erhofft. Das Ende ist offen: Am ersten Morgen des neuen Jahrtausends blickt Lulu, Hermanns Tochter, aus dem Fenster einer ungewissen Zukunft entgegen, erschöpft, ängstlich, ohne Perspektive und Sicherheiten. Wer wird uns erzählen, was aus ihr wird?

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