Allende - Der letzte Tag des Salvador Allende

Dokumentarfilm | Deutschland 2004 | 80 Minuten

Regie: Michael Trabitzsch

Der Film beleuchtet die Ereignisse vom 11. November 1973, als das chilenische Militär unter General Pinochet putschte und sich Präsident Salvador Allende das Leben nahm. Die Wunden der sich anschließenden Schreckensherrschaft sind bis heute nicht verheilt. Bei der eindrucksvollen Chronik des Untergangs einer Utopie kommen Freunde, Familienangehörige und Anhänger Allendes, aber auch politische Gegner zu Wort. Das Ende des Präsidenten und seiner Partei wird dabei nach dem Muster einer griechischen Tragödie geschildert, die allerdings für politische und historische Kontextualisierungen wenig Platz lässt. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Prounen Film/RBB/3sat
Regie
Michael Trabitzsch
Buch
Michael Trabitzsch · Sven Olsson
Kamera
Bernd D. Meiners
Musik
Wolfgang Loos
Schnitt
Anja Neraal
Länge
80 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Ein Taxifahrer fährt vom Flughafen ins Zentrum Santiagos. In den Straßen der chilenischen Hauptstadt wird demonstriert – mit roten Fahnen, Sprechchören und Transparenten, in Erinnerung an den brutalen Militärputsch vom 11. September 1973. Ein ungewohntes Bild, denn die Realität des heutigen Chiles spiegelt sich in den Chrom- und Glasfassaden der großen Bürohäuser, Banken und Versicherungsgebäude, den Ikonen einer knallharten Ellbogengesellschaft, in der der Einzelne gezwungen ist, sich durchzuschlagen. Aus der Distanz des Außenstehenden registriert Michael Trabitzsch mit diesen Bildern den radikalen Wertewandel, der Chile zu einem Menetekel für den Rest der Welt und Lateinamerikas werden ließ. Allende, die Volksfront-Regierung und der Versuch, Sozialismus und Demokratie miteinander in Einklang zu bringen, wurden über den konkreten politischen Hergang hinaus zum Symbol einer gescheiterten Utopie. Der Dokumentarfilm über die letzten Tage seiner Regierung verwendet in erster Linie unbekanntes Archivmaterial, wie Aufnahmen eines zeitgenössischen französischsprachigen Dokumentarfilms, der die Reformen der Volkfront-Regierung kommentiert, und Bilder aus dem Fußballstadion in Santiago, wo die Militärs Tausende ihrer Gegner zusammenpferchten, folterten und töteten. Aber auch bekanntes Archivmaterial wird eingesetzt, wie die legendäre letzte Rede Allendes aus dem bombardierten Präsidentenpalast: „Das sind meine letzten Worte, und ich habe die Gewissheit, dass mein Opfer nicht vergeblich sein wird. Ich habe die Gewissheit, dass es zumindest eine moralische Lektion sein wird, die den Treuebruch, die Feigheit und den Verrat verurteilt.“ Hier wird die Dokumentation zur Tragödie, der Putsch der Militärs und das brutale Ende der Regierung Allende zur Götterdämmerung der Utopie – aber auch zur schmerzhaften Leerstelle, die sich in den Aussagen und Erinnerungen interviewter Zeitzeugen, Freunde, Familienangehöriger und politischer Mitarbeiter widerspiegeln: die Journalistin, die von ihrer Zeit der „Unidad Popular“ als der glücklichsten in ihrem Leben berichtet, die Witwe und die Tochter Allendes, die sich an die Zerstörung und an die Plünderung ihres Hauses durch die Militärs erinnern. Aber es wird auch von der politischen Aufbruchsstimmung berichtet, wenn Allendes ehemaliger Pressechef von einstigen Erfolgen schwärmt, oder von der Dramatik der Ereignisse, wenn ein Leibwächter Allendes von seiner wundersamen Rettung durch einen Militär erzählt und von der daraus entstandenen Freundschaft, die beide bis heute verbindet. Zu den beeindruckendsten Momenten des Film zählen freilich auch die Aussagen eines Allende-Gegners, der über die Geheimorganisation „Patria y Libertad“ die Politik der Regierung sabotierte, am Klima der Unsicherheit mitwirkte und die Verbindung rechtsradikaler Widerstandsgruppen zu den Militärs aufbaute. Der Film schildert auch die verzweifelten Versuche Allendes, mit politischen Mitteln den Putsch doch noch im letzten Moment durch eine Volksabstimmung zu verhindern, und erzählt von einem dramatischen Wettlauf gegen die Zeit. Im Zenit schließlich die letzten Stunden im Präsidentenpalast, der Selbstmord Allendes – und die Versuche der Pinochet-Diktatur, durch einen radikalen Umbau des ganzen Gebäudes auch die Erinnerung an diese Zeit auszuradieren. „Allende – Der letzte Tag“ zeichnet die Geschichte eines Untergang nach, dem des nur drei Jahre dauernden sozialistischen Experiments in Chile, wobei sich der Film der griechischen Tragödien-Dramaturgie bedient. Und zu einer Tragödie bedarf es, wie es eine befragte Journalistin ausdrückt, „immer eines Verräters“. Hier sind es die unloyalen Militärs unter Führung von General Pinochet. Durch eine solche Reduzierung politischer oder historischer Zusammenhänge auf Menschliches, Allzumenschliches, von Geschichte auf Geschichten, ist der Dokumentarfilm einerseits faszinierend unterhaltsam. Andererseits wird vieles Kontextuelle, etwa die massive Intervention der US-Regierung gegen Allende, nur kurz angerissen, weshalb der Film am Ende den Eindruck einer soliden, von außen notierten Chronik persönlicher Erlebnisse hinterlässt, die aber hinter dem fast zeitgleich entstandenen „Salvador Allende“-Film des chilenischen Dokumentarfilmers Patricio Guzman deutlich zurückbleibt.
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