- | Tschechien 2003 | 107 Minuten

Regie: Vladimír Morávek

Eine Nacht in Brno, der zweitgrößten Stadt der tschechischen Republik. Verschiedene Paare versuchen sich zu finden, wobei als zentrale Figuren ein schüchterner, geistig leicht behinderter Gärtner und eine nicht eben hübsche Arbeiterin fungieren. Nach einer Reihe platter Gags, die fast ausschließlich im privaten Raum angesiedelt sind und gesellschaftliche Bezüglichkeiten umgehen, findet der Film dann im letzten Drittel zur angestrebten tragikomischen Verdichtung, die Fragen nach dem Verhältnis von Sex und Liebe und nach dem Sinn des Lebens einschließt. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
NUDA V BRNE
Produktionsland
Tschechien
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Ceská Televize/Bontonfilm
Regie
Vladimír Morávek
Buch
Jan Budar · Vladimír Morávek
Kamera
Divis Marek
Musik
Jan Budar
Schnitt
Jirí Brozek
Darsteller
Katerina Holánová (Olinka) · Jan Budar (Standa) · Martin Pechlát (Jaroslav, Standas Bruder) · Filip Rajmont (Pavel Veli¡cka) · Pavel Liska (Honza Bedúra)
Länge
107 Minuten
Kinostart
27.01.2005
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Seit jeher gehört die Verdichtung der Realität in grotesken Formen zu den virtuos zelebrierten Spezialitäten der tschechischen Kunst. Und spätestens, seitdem sich Prager Regisseure den Erzählungen Bohumil Hrabals angenommen haben, also seit dem Episodenfilm „Perlchen auf dem Meeresgrund“ (1965) oder Jirí Menzels „Liebe nach Fahrplan“ (1966, fd 15 139), wurde auch das Kino von jener Subversion infiltriert, die von gelungenen Grotesken nun einmal ausgeht. Hin und wieder besinnen sich jüngere tschechische Regisseure der großen Vorbilder ihrer eigenen Profession, knüpfen daran an, was Menzel, Milos Forman oder Pavel Jurácek in den 1960er-Jahren vormachten. Auffällig ist allerdings, dass neuere Grotesken vor allem auf den privaten Bereich beschränkt bleiben und nur selten in eine Qualität umschlagen, bei der über den Blick in Wohnstuben und Schlafzimmer hinaus auch ein seismografisches Bild politischer und sozialer Umstände und Untiefen entstehen würde. Dazu bedarf es wohl einer kritischeren, unangepassteren Sicht auf die Gesellschaft, die vielleicht erst dann möglich wird, wenn sich ausreichend Zorn angesammelt hat. Insofern ist „Sex in Brno“ denn auch keine Groteskkomödie, wie es die Werbung suggeriert, sondern eher ein Lustspiel mit komischen Einlagen. Als Handlungsort wählten die Macher die zweitgrößte Stadt Tschechiens, die, nach den Worten des Regisseurs, Metropole und Provinznest in sich vereint. Im Original heißt der Film „Langeweile in Brno“; das schien dem deutschen Verleih aber wohl zu langweilig, also titelte er ihn flugs in „Sex in Brno“ um und traf damit genau die Schwachstelle des ganzen Unternehmens. „Langeweile in Brno“ kennzeichnet ja tatsächlich ein gesellschaftliches Phänomen, das einer filmischen Untersuchung wert wäre; aber der Film reduziert seine Zustandsbeschreibung vor allem auf Ungeschicklichkeiten, Umständlichkeiten, Missverständnisse, auf Verlangen und Versagen bei der – um es akademisch auszudrücken – Anbahnung und Ausführung des Sexualaktes. Noch eine andere Entscheidung von Drehbuch und Regie hinterlässt einen faden Beigeschmack: Als Zentralfiguren wählte man den schüchternen, geistig leicht behinderten Gärtnerburschen Standa, gespielt von dem Prager Romeo-Darsteller Jan Budar, und die ebenfalls arg verschüchterte Olinka mit ihren viel zu großen, herausstehenden Zähnen (Katerina Holánová). Zumindest im ersten Drittel der Handlung, wenn Standas Bruder ihm beispielsweise beibringt, wie man ein Kondom auf ein Hörnchen zieht, lacht der Zuschauer nicht mit diesen Figuren, sondern über sie: Es ist ein Lachen unter Niveau. Später, wenn sich die beiden Helden gefunden haben und eine zarte Liebe aufkeimt, mag sich mancher dieses ersten Lachens schämen, das freilich vom Film provoziert wird und nicht nur aus der eventuellen Boshaftigkeit des Zuschauers resultiert. Parallel zu Standas und Olinkas Geschichte blendet „Sex in Brno“ immer wieder zu anderen Paaren über. Ein alternder Seriendarsteller und eine frustrierte Psychologin, die ihn unbedingt in ihrBett bekommen will. Ein homosexueller junger Mann, der seinen heiß begehrten, aber anscheinend vollkommen heterosexuellen Schulfreund mit Brad Pitt gleichsetzt. Standas Bruder, der von seinen sexuellen Erfahrungen schwärmt und dann doch Probleme mit Olinkas Arbeitskollegin Jitka bekommt. Und schließlich Olinkas Mutter, die viel zu früh von einer Verabredung in die Wohnung zurückkehrt und mit einem starken Schlafmittel außer Gefecht gesetzt werden muss. In mancher dieser Figuren schwingen die Biografien enttäuschten Lebens mit, die Ängste vor neuem Verlust und wiederholter Einsamkeit, das verzweifelte Klammern an den Strohhalm, der ihnen in dieser Nacht gereicht wird. Doch oft verflachen die Porträts auch zum Sammelsurium bloßer Absonderlichkeiten und dünner Gags. Am Ende liegt Brno, die gar nicht so langweilige Stadt, im Morgennebel. Aus dem Radio dudelt noch immer der Schlager „Heute Nacht wird es geschehen“; im Fernsehen geht eine Soap Opera zu Ende, die unter dem Titel „Berühre nicht den Ofen“ mit einer geballten Ladung Dümmlichkeit aufwartet. Im „wahren“ Leben aber gibt es einen Toten, und für die anderen geht alles irgendwie weiter, schmerzlich und heiter und voller Ungewissheiten. So endet „Sex in Brno“, der erste Film des Theaterregisseurs Vladimír Morávek, schließlich doch um einiges nachdenklicher als er begann: mit Fragen nicht nur über das Verhältnis von Sex und Liebe, sondern über den Sinn des Daseins überhaupt. Er ist, trotz aller Schwächen, ein Versprechen darauf, dass die tschechische Kinogroteske, jenes lang entbehrte Kompendium von Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung, vielleicht doch wieder zu neuem Leben erwacht.
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