The Man Who Copied

Komödie | Brasilien 2003 | 123 Minuten

Regie: Jorge Furtado

Ein brasilianischer Comic-Zeichner findet eine Anstellung in einem Kopier-Shop, wo er Falschgeld herstellt, um eine Frau zu beeindrucken, die er insgeheim anbetet. Gemeinsam mit einem Freund verstrickt er sich zunehmend in kriminellen Aktivitäten, die ihm beinahe zum Verhängnis werden. Der mit flotter Musik untermalte komödiantische Genre-Mix wartet mit einigen Perspektivwechseln auf und entwickelt sich dank seiner atmosphärischen Dichte und des ausdrucksstarken Hauptdarstellers zum reizvollen filmischen Schelmenroman. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
O HOMEN QUE COPIAVA
Produktionsland
Brasilien
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Globo Filmes/Casa de Cinema de Porto Alegre
Regie
Jorge Furtado
Buch
Jorge Furtado
Kamera
Alex Sernambi
Schnitt
Giba Assis Brasil
Darsteller
Lázaro Ramos (André) · Leandra Leal (Silvia) · Luana Piovani (Marinês) · Pedro Cardoso (Cardoso) · Júlio Andrade (Feitosa)
Länge
123 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Komödie

Diskussion
Fürs Selbstwertgefühl macht es einen erheblichen Unterschied aus, ob man in einem Schreibwarengeschäft für einen Hungerlohn den Kopierer bedient, oder sich mit ein wenig Mut und der gehörigen Portion Naivität in kürzester Zeit ungeahnten Reichtums erfreut. Wenn man dann noch mit kostspieligen Geschenken um seine große Liebe werben kann, ist man endlich wer. Die Illusion einer attraktiveren Identität läge nahe, wenn da nicht der Hochmut wäre. Jorge Furtados zweiter Spielfilm „The Man Who Copied“ erzählt von der Sehnsucht nach einem anderen Leben und davon, wie der unverhoffte Neuanfang zu einem Albtraum werden kann. André ist einer jener Filmhelden, die es eher vorziehen, im Knast zu landen, als das armselige Dasein fortzusetzen, das ihnen ihre Herkunft zugewiesen hat. Aufgewachsen in der trostlosen brasilianischen Industriestadt Porto Alegre, kommt der 20-jährige Schulabbrecher und leidenschaftliche Comic-Zeichner nur mühsam als angelernter Kopierer über die Runden. Sein einziger Lichtblick ist das Fernrohr, mit dem er heimlich den ähnlich unspektakulären Alltag seiner Nachbarn beobachtet wie den der hübschen Verkäuferin Silvia im Wohnblock gegenüber, die er sich nicht anzusprechen traut. Zu groß ist die Angst, sein Geldmangel könne ihm im Wege stehen; dass er noch bei der Mutter wohnt, schmälert nicht gerade seine ohnehin ausgeprägte Schüchternheit. Die Gehemmtheit von Andrés bestem Kumpel Cardoso trägt ähnliche Züge: Obwohl nicht von Selbstzweifeln geplagt, scheut der die Kontaktaufnahme mit der lasziven Marinês, einer von Andrés Kolleginnen. Die wünscht sich einen reichen Mann zum Liebhaber, doch mit Reichtümern kann Cardoso nicht dienen. Ironischerweise erweist sich ausgerechnet der monotone Kopierjob als Fenster zur Welt: André studiert flüchtig all die Bücher, die sich an seinem Arbeitsplatz stapeln. Shakespeare-Sonette gehören ebenso dazu wie historische Werke. Diese unzähligen Wissensfragmente wecken seine Lebensgeister und schaffen Wünsche, die sich erst einen Weg bahnen können, als der Ladenbesitzer einen Farbkopierer anschafft. André und Cardoso versuchen sich zaghaft als Geldfälscher, kommen ihren Angebeteten näher und schmieden große Pläne. Für ein sorgenfreies Leben mit Silvia in Rio de Janeiro wagt André eines Tages den großen Wurf und wird unvorsichtig. Und weil seine Courage größer ist als seine Voraussicht, verstrickt er sich in einen Banküberfall, übt Verrat und muss bald um sein Leben bangen. Irgendwann, ohne Vorwarnung, wechselt die Perspektive dieses verspielten Filmexperiments. Obwohl alles zunächst auf eine von André aus dem Off erzählte melancholische Sozialstudie hinweist, überschlagen sich auf einmal die Ereignisse und mit ihnen die Bilder: Cartoon-Sequenzen mit Simpsons-Anleihen folgen Splitscreens, und die Handkamera zeigt sich zu manchem deplazierten Manöver bereit, ganz so, als sollte die Trostlosigkeit des bisher Gezeigten vertrieben werden. Viele Tonarten werden zugleich angeschlagen, die beherzte Komödie klingt ebenso an wie eine fast dokumentarische Milieuschilderung, ein actiongeladener Krimi und zwei anrührende Liebesgeschichten werden ebenfalls bemüht. Dass man den Gauner-Plot so oder ähnlich schon tausendmal gesehen hat, spricht nicht gegen den Film, denn Regisseur Furtado lässt es regelrecht darauf ankommen, die Handlung mit leicht erkennbaren Filmzitaten zu konterkarieren. Sein Problem ist nur, dass auch diese filmgeschichtlichen Verweise spätestens seit Tarantino viele Nachahmer gefunden haben, und sein Beitrag zum Metathema des postmodernen Kopierens, dem er wie sein Held verfallen ist, vor diesem Hintergrund eher dürftig ausfällt. Allen Unzulänglichkeiten zum Trotz sieht man diesem unbeschwert inszenierten, mit flotter Musik untermalten Genre-Mix gerne zu, und sei es nur, weil sich das Herz an der märchenhaften Zuversicht der Figuren erfreut, die über sich selbst hinauswachsen und ihrem Schicksal mit schelmischer List trotzen. Dazu passt auch, dass das brasilianische Lebensgefühl nicht nur atmosphärische Dreingabe ist, sondern in jeder Regung des ungewöhnlich ausdrucksstarken Hauptdarstellers Lázaro Ramos zum Ausdruck kommt. Er zählt zu jenen Erscheinungen des brasilianischen Kino, die man nicht so leicht vergisst. Das liegt weniger an seinem Aussehen als an seiner Wandlungsfähigkeit: Ob als exaltierter Transvestit in „Madame Sata“ (fd 36 770) oder als unschuldiges Ghettokind mit krimineller Energie in „The Man Who Copied“: Ramos macht das kleinste Gefühl als körperliche Empfindung sichtbar und füllt jede Rolle mit der nötigen Authentizität aus. Mit seinem unverbrauchten Charme lässt er zudem darüber hinwegsehen, dass er zur Drehzeit fast doppelt so alt war wie seine Figur.
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