Malerei heute

Dokumentarfilm | Deutschland 1998-2005 | 61 Minuten

Regie: Stefan Hayn

Malerei als Langzeitdokumentation: 156 Aquarelle von Berliner Werbetafeln, die zwischen Sommer 1998 und 2005, der Legislaturperiode der rot-grünen Koalition, entstanden, sollen die Zeit und ihre politischen, ökonomischen und sozialen Veränderungen spiegeln. Eingesprochene Kommentare übernehmen dabei eine Aufgabe, die eigentlich die Bildebene leisten müsste, und unterlaufen damit das prinzipiell spannende Filmexperiment. Die Absicht, die individuelle Geste der Malerei gegen die Massenbilder der Werbeindustrie auszuspielen, um den politischen Diskurs anzuregen, überzeugt nur im Ansatz. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1998-2005
Produktionsfirma
Stefan Hayn Filmprod.
Regie
Stefan Hayn · Anja-Christin Remmert
Buch
Stefan Hayn
Kamera
Bernadette Paassen
Musik
Klaus Barm
Schnitt
Anja-Christin Remmert · Stefan Hayn
Länge
61 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Dokumentationen arbeiten vorherrschend mit Text, Fotografie und Film. Trotz eines kritischen Diskurses über die Authentizität dokumentarischer Bilder gelten diese Medien noch immer als scheinbar objektiv oder zumindest „objektiver“. Entgegen dieser dokumentarischen Konvention setzen Stefan Hayn und Anja-Christin Remmert in ihrer essayistischen Langzeitstudie Malerei als „Aufzeichnungsmedium“ ein. Im Sommer 1998 begann Hayn, Aquarelle von Werbetafeln zu malen, die er in der Berliner Stadtlandschaft aufsuchte, in U-Bahnhöfen und auf öffentlichen Plätzen. Unter der Prämisse, dass Werbung die politischen und sozialen Veränderungen unmittelbar widerspiegelt, sich sogar mehr oder weniger explizit dazu äußert, malte er bis 2005 – der Zeitraum umfasst die Legislaturperiode der rot-grünen Koalition – 156 Bilder, die ohne visuelle Kunstgriffe abgefilmt und wenigen filmischen Aufnahmen gegenübergestellt werden. Hayn benötigte ungefähr zwei bis vier Stunden pro Blatt und musste zügig arbeiten, um sich einen Überblick über die Plakatlandschaft zu verschaffen und den oft raschen Plakatwechseln gerecht zu werden. Die Aquarelle haben angesichts ihrer Entstehungsbedingungen manchmal skizzenhaften oder sogar fragmentarischen Charakter; damit orientieren sie sich weniger an malerischen Vorbildern als an der Gattung der Zeichnung, die von jeher prozesshafter und weniger auf das „Produkt“ ausgerichtet ist. Zu Beginn der Studie ließ sich anhand der Werbetafeln verfolgen, wie sich Firmen mit ihrem Erscheinungsbild zu den bevorstehenden Bundestagswahlen verhalten. Ein Waschmittel setzte auf sein bewährtes Image und sprach sich damit gegen einen Regierungswechsel aus, die Berliner Bank warb dagegen mit dem Slogan, es sei an der Zeit, „eingefahrene Gleise zu verlassen“. Eine Off-Stimme unterzieht diese und andere Werbeplakate einer eingehenden Lektüre, die mit Exkursen zu Zitaten, Texten und anderen Filmen – etwa Fritz Langs „Scarlet Street“ (fd 23 527) – verknüpft wird. Zudem bringt Hayn seine persönlichen Erfahrungen zur Sprache, was manchmal wie eine Beweisführung klingt, dass das Private auch das Politische ist. So wird erzählt, wie Passanten auf den malenden Dokumentaristen reagierten. Einer erkundigt sich nach der Verkaufbarkeit der Bilder, ein anderer beschimpft die Aktion als „bescheuert“, auch ein Zwischenfall mit einem U-Bahn-Wachmann wird berichtet, der Hayns „illegalen“ Aufenthalt an einem öffentlichen Platz der Polizei meldet. Man erfährt aber auch von Hayns Arbeitssituation in einer kollektiv begründeten Sozialstation, die sich angesichts der zunehmenden Privatisierung des Gesundheitswesens immer mehr zuspitzt. Die Veränderung der Arbeit steht im Zentrum des Films. Schon die erste Einstellung einer menschenleeren Druckerei, in der die Maschinen still stehen und wie Relikte aus einer früheren Zeit wirken, markiert die Arbeitswelt als eine post-industrielle. Der Film rekapituliert, wie die Regierung unter Schröder versuchte, den Anforderungen eines globalisierten Kapitalismus mit Effizienz nachzukommen, indem sie den Sozialabbau vorantrieb. Das alles erschließt sich nicht aus der Bildebene, sondern wird von der Off-Stimme vorgetragen. Die politische Einschätzung der Filmemacher mag in den meisten Punkten stimmen, doch die Texte ermüden durch ihren didaktischen Unterton, auch wenn sie noch so bemüht undidaktisch und fast spannungslos vorgetragen werden. Offensichtlich wird der Malerei als Medium der Dokumentation doch nicht ganz über den Weg getraut, weshalb die Textebene immer wieder in die Bresche springen muss und die Bilder in Beschlag nimmt. Überhaupt macht der Film eine etwas eindimensionale Opposition zwischen „unschuldiger“ Malerei und „böser“ Werbung auf. Die individuelle Geste der Malerei, die sich den Bedingungen von Effizienz, Schnelligkeit und Verfügbarkeit entzieht, wird den Massenbildern der Werbeindustrie entgegen gesetzt, die den herrschenden politischen Diskurs auf mehr oder weniger subtile Art und Weise affirmieren. Der Film endet mit einem Verweis auf das Kino von Straub/Huillet und zeigt das Filmplakat zu „Une visite au Louvre“ über den Maler Cézanne. Diese Reverenz erinnert daran, dass man auch mit Verve und ekstatischer Überzeugung für oder gegen etwas anreden kann. Trotz der Beteuerung, dass es „eine Veränderung geben wird“, beschränkt sich „Malerei heute“ letztlich darauf, die Verhältnisse deprimiert zu konstatieren, und wirkt dadurch nahezu ohnmächtig.
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