Ein Herz im Winter

Drama | Frankreich 1992 | 104 Minuten

Regie: Claude Sautet

Ein introvertierter Geigenbauer beginnt sich für die Geliebte seines langjährigen Partners, eine ebenso attraktive wie begabte Violinistin, zu interessieren. Als sie sich, zunächst durch sein scheues Wesen irritiert, in ihn verliebt, offenbart er seine Gefühllosigkeit und Kälte: er stößt sie zurück. Ein äußerst streng komponiertes, elegant und sensibel erzähltes Gefühlsdrama um die "ungelebte Leidenschaft" eines verschlossenen Einzelgängers. Dank ausgezeichneter Darsteller und der bravourös eingesetzten Musik Maurice Ravels ein ungemein dichtes Kino-Erlebnis, geprägt von leiser Melancholie. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
UN COEUR EN HIVER
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Film par Film/Orly/Sedif/Paravision/D.A./FR 3
Regie
Claude Sautet
Buch
Claude Sautet · Jacques Fieschi · Jérôme Tonnerre
Kamera
Yves Angelo
Musik
Maurice Ravel · Philippe Sarde
Schnitt
Jacqueline Thiédot
Darsteller
Daniel Auteuil (Stéphane) · Emmanuelle Béart (Camille) · André Dussollier (Maxime) · Elisabeth Bourgine (Hélène) · Brigitte Catillon (Régine)
Länge
104 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Liebesfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Tobis/Universum (16:9, 2.35:1, Mono dt./frz.)
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Diskussion
Das Wort "Freundschaft" mag Stephane nicht in den Mund nehmen, wenn er sein Verhältnis zu Maxime schildert. Dabei bilden die beiden seit Jahren ein ideales Gespann. Stephane, der introvertierte, sensible Geigenbauer, dessen Leben ganz in dieser Kunst aufgeht; Maxime, der agile, nicht minder sensible "Patron" und Kommunikator, der die Gefühle der betreuten Musiker emstnimmt und teilt. Ein perfektes Gleichgewicht ohne Anlaß zu Rivalitäten: Maximes zahlreichen Frauengeschichten steht Stéphanes selbstgewählte Einsamkeit gegenüber. Man kommt sich nicht ins Gehege.

Alles ändert sich mit Camilles Erscheinen. Die hochbegabte Violonistin wird Maximes große Liebe. Gleichzeitig fühlt sie sich verunsichert und provoziert von Stéphanes undurchdringlicher Schweigsamkeit. Bei einem gemeinsamen Ausflug aufs Land versucht sie ihn aus der Reserve zu locken, erfolglos. Und doch entwickelt sich zwischen beiden eine immer stärkere Anziehung, die auch Maxime nicht mehr übersehen kann.

"Ein Herz im Winter" erzählt eine Dreiecksgeschichte; soviel ist richtig, aber es trifft nicht den Kern. Die Handlung nachzuerzählen birgt die Gefahr, den Film totzuerzählen. Seine Wahrheit liegt woanders, in den Blicken und (oftmals doppeldeutigen) Gesten, in dem, was unausgesprochen bleibt. Und das ist gerade bei Stephane eine Menge. So bleibt es (fast wie im Leben) letztlich undurchsichtig, warum er sich um Camilles Zuneigung bemüht: Eifersucht und Rachegefühle gegenüber Maxime oder doch das "Tauwetter" der Liebe im "winterlichen" Herzen? Wenn er plötzlich nicht mehr bei ihren Proben und Schallplattenaufnahmen erscheint: Angst vor den eigenen Gefühlen und dem möglichen Bruch mit Maxime oder berechnendes Spiel mit Camilles erwachender Leidenschaft? Sie und Maxime jedenfalls finden eigene Erklärungen für Stéphanes undurchsichtiges Verhalten. Und ziehen die Konsequenzen: Maxime verreist übers Wochenende, um der Entwicklung nicht länger im Weg zu stehen; Camille erlebt mit Stephane ein Desaster, wenn sie statt der erwarteten Verführung eine demütigende Ablehnung erfährt: "Ich liebe Sie nicht." Auch eine letzte verzweifelte Szene, die sie ihm mitten in einem gutbesuchten Lokal macht, trägt Stephane so wie alle Erschütterungen zuvor: äußerlich unbewegt und verschlossen.

Monate später: Stephane hat seinen eigenen Betrieb eröffnet. Seine Klientel sind Anfänger, die seine Kunst nicht zu würdigen wissen. Maxime arrangiert eine Begegnung mit Camille, in deren freundlicher Atmosphäre nur noch Blicke von Leidenschaft und Verlust sprechen. Das Leben geht weiter, Stephane ist allein.

Einmal im ganzen Film beweist Stephane so etwas wie Mit-Gefühl. Dann leistet er dem väterlichen Freund Lachaume die erbetene Sterbehilfe. Ansonsten offenbart sich sein Charakter über Indizien und Umwege. In der wunderbaren Eröffnungssequenz führt Claude Sautet seinen Protagonisten im Off als Erzähler ein. Sein Monolog dreht sich nahezu ausschließlich um Maxime; nur in bezug auf ihn erfährt man etwas über den Sprecher selbst: "Er gewinnt so gern, daß für mich das Verlieren zum reinen Vergnügen wird." Später, während seiner Bemühungen um Camille, wird Stephane seinen (Squash-)Partner einmal nicht gewinnen lassen. Den so angedeuteten Sinneswandel aber vermag er nicht durchzuhalten - sein kurzes Spiel mit der Leidenschaft läßt nur Verlierer zu.

Daniel Auteuil verleiht seiner Rolle nur in den Werkstatt-Szenen einen Eindruck des In-Sich-Ruhens. Jenseits der geliebten Arbeit verraten seine Gesten ständige Nervosität, seine eingefallenen Gesichtszüge Unentschlossenheit. Ein anderer Satz aus seinem Monolog über Maxime: "Er fühlt sich wohl in seiner Haut".

Claude Sautets großes Kunststück: Er erzählt die todtraurige Geschichte (bei der sich auch der Zuschauer nicht immer wohl in seiner Haut fühlt) mit teilweise berauschender Eleganz und Schönheit. Und er versteht es, auch Emmanuelle Béart und Andre Dussolier zu schauspielerischen Höchstleistungen anzuspornen. Stéphanes eigentlicher Gegenpart aber ist die Musik Ravels, in der sich jene Stimmungs- und Gefühlslagen ungehindert Bahn brechen, die der traurige "Held" so angestrengt unter Verschluß hält. Die größten Momente sind Sautet dort gelungen, wo nichts mehr passiert außer Musik und Blicken. Gänsehaut-Kino.

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