Liebesfilm | Großbritannien/USA 2004 | 100 Minuten

Regie: Sally Potter

Die Ehe eines erfolgreichen Politikers ist nur noch Fassade. Seine Frau wahrt den Schein und vergräbt sich in ihrem Beruf als Mikrobiologin. Ein Flüchtling, der im Libanon angesehener Arzt war und in London als Koch arbeitet, nimmt ihre emotionale Leere wahr. Eine kunstvolle Liebesgeschichte, die inhaltlich mit den Stereotypen der romantischen Komödie spielt, sich ihnen formal aber völlig versagt. Ein atemberaubendes Sounddesign, im Versmaß verfasste Dialoge und faszinierend agierende Darstellerinnen prägen das ebenso spannend wie liebevoll gezeichnete Beziehungs- und Identitätsdrama vor dem Hintergrund sozialer und politischer Krisen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
YES
Produktionsland
Großbritannien/USA
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Adventure Pic./GreeneStreet Films/Studio Fierberg/UK Film Council
Regie
Sally Potter
Buch
Robert Falconi · Sally Potter
Kamera
Alexej Rodionow
Musik
Sally Potter · Philip Glass · Tom Waits
Schnitt
Daniel Goddard
Darsteller
Joan Allen (Sie) · Simon Abkarian (Er) · Sam Neill (Anthony) · Shirley Henderson (Putzfrau) · Sheila Hancock (Tante)
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Liebesfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Als Extras finden sich zwei interessante Dokumentationen zum Film (zusammen etwa 51 Min.).

Verleih DVD
Alamode (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl., DD2.0 dt.)
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Diskussion
Seit ihrem vielfach ausgezeichneten und auch kommerziell erfolgreichen Arthouse-Film „Orlando“ (fd 30 023) gehört die Künstlerin, Autorin und Musikerin Sally Potter zu jenen Regisseuren, deren Filme man immer wieder mit Spannung erwartet. Angesichts solcher Credits scheint die Schlichtheit des Plots von Sally Potters insgesamt fünftem abendfüllenden Spielfilm umso erstaunlicher: Eine Frau leidet an der Untreue ihres Ehemanns, stürzt sich in ihre Arbeit, lernt einen anderen Mann kennen und wehrt sich ihrerseits nicht gegen eine leidenschaftliche Liaison. Potter ist die Idee zu „Yes“ während der chaotischen Nachwehen des 11. September gekommen. Deshalb ist die namenlose „Sie“ eine zutiefst frustrierte Amerikanerin, der Anthony genannte Ehemann ein selbstgerechter und gefühlskalter englischer Politiker und der ebenfalls namenlose „Er“ ein entwurzelter Immigrant aus dem Libanon, der – in seiner Heimat ein angesehener Arzt – sich in London als Koch über Wasser hält. Die romantische Liebesgeschichte, die sich zwischen der Betrogenen und dem Fremden entspinnt, soll – so die Regisseurin – „einer rasch zunehmenden Dämonisierung der arabischen Welt und der gleichzeitig grassierenden Welle von Hass gegen Amerika“ entgegenarbeiten. Ein wichtige Botschaft, die allerdings im filmischen Geflecht der Ereignisse kaum zu decodieren ist, geht es doch mehr um Vertrauensverlust und Enttäuschung, um das Erleiden und Ertragen von sozialer Erniedrigung sowie das Propagieren gesellschaftlichen Selbstbewusstseins und weniger um politische und religiöse Fragen. Auch die dramatische Zuspitzung, in der „Sie“ einen Trennungsstrich zum Ehemann vollzieht und die neue, ungeahnte Lebensenergie versprühende Beziehung durch unnötige Selbstzweifel in Frage stellt, um sie dann im Happy End letztendlich doch bestätigt zu sehen, folgt eher dem Prinzip der aktuellen romantischen Hollywoodkomödie als einem intellektuellen Beziehungs- und Identitätsdrama vor dem Hintergrund sozialer und politischer Krisen. Was „Yes“ indes so einzigartig macht und über das Gros landläufiger Liebesfilme weit hinaus hebt, ist nicht das Geschehen und die postulierte Bedeutungsebene, sondern die Form. Sally Potter hat nicht nur Regie geführt, sondern auch das Drehbuch geschrieben. So unspektakulär die Aktionen und Reaktionen gelegentlich auch ausfallen, mit denen sich die Darsteller konfrontiert sehen, so besonders sind die Dialoge. Potter hat sie im Versmaß verfasst, als seien sie in der Zeit Shakespeares entstanden. Häufig in der Form von jambischen Blankversen (mit zehn Silben pro Zeile) streiten, lieben und hassen die Protagonisten, geben aus dem Off intime Monologe zum Besten oder halten in der Küche belanglosen Smalltalk. Potter ermutigte ihre Darsteller, sich des theatralischen Korsetts zu entledigen, das ein so artifizielles Sprachkonzept zwangsläufig mit sich bringt. Angesichts der ungezwungen aufspielenden Akteure vergisst man in den besten Szenen des Films jegliche Künstlichkeit und genießt den virtuosen, ebenso sinnigen wie sinnlichen Umgang mit der Sprache. Ein Höhepunkt ist sicherlich die Szene, als „Sie“ gegen Ende des Films ans Totenbett ihrer Tante gerufen wird und diese (nur für das Publikum hörbar) ein monologisierendes Resümee ihres Lebens zieht. In dem von Sheila Hancock atemberaubend deklamierten Text vereinen sich bissige Lebensweisheiten, die in einem Loblied auf den Kommunismus gipfeln, mit entwaffnend schöner, lange nachwirkender Lyrik. Auch eine weitere Nebenfigur wird durch ihre Monologe zur originellen Stütze des Films. Es ist die Putzfrau, von Shirley Henderson mit charismatischer Präsenz verkörpert, die nicht nur die bröckelnde Fassade einer von Grund auf erschütterten Ehe kommentiert, sondern dem Zuschauer ganz nebenbei eine gereimte Einführung in die Psychosoziologie des Schmutzes gibt. Joan Allan gelingt als „Sie“ in diesem Umfeld die bislang eindringlichste Performance ihrer langen Karriere. Ihr Gesicht offenbart nie gesehene Tiefen einer verletzten Seele, und ihre ungeheure physische Präsenz gibt dieser Verletztheit das notwendige Ventil, das „Sie“ braucht, um in dem emotionalen Chaos zu überleben. Neben der Sprache sind auch die anderen Komponenten des Tons dafür verantwortlich, dass aus der romantischen Geschichte ein ästhetischer Hochgenuss wird. Allen voran die Musikauswahl, für die Sally Potter zum Teil mit eigenen Kompositionen verantwortlich zeichnet. Herzstück des Soundtracks ist Philip Glass’ „Paru River“ aus seinem „Aguas da Amazonia“. Wenn die skandierende Glasharfe den Raum des Kinos füllt und mit der dunkel getönten zirzensischen Artistik einer Zither den Raum erbeben lässt, dann entfalten die Bilder einen eigentümlichen Sog. Auch die Gitarren von Gustavo Santaolalla („Iguazu“) und Fred Frith (er spielt die Originalkompositionen Potters ein) sowie die Gnossiennes von Erik Satie verleihen der Szenerie die Unwirklichkeit von Tagträumen. So zählt das Sounddesign (in seiner Gesamtheit von Jean-Paul Mugel und Vincent Tulli verantwortet) zu den ausgeklügeltsten Produktionen seit Jahren und ist dem vieler ambitionierter Actionfilme haushoch überlegen. „Yes“ zelebriert den totalen Sieg der Form über den Inhalt, was in der Folge ein an sich unspektakuläres Werk zum Kunstwerk erhebt. Zwangsläufig lebt eine solche Arbeit aber auch von diesem Konzept. Jeder Eingriff von außen kann die ausgeklügelte Balance zwischen Form und Inhalt aus dem Gleichgewicht bringen und das Kunstwerk zerstören. Es reicht schon eine mäßige Tonanlage im Kino oder auch jede Form von Synchronisation mit den unumgänglichen Einbußen an Dynamik und vor allem dem Verlust des originalen Sprachduktus, um aus „Yes“ nur noch einen belanglosen, im Zweifel unfreiwillig komischen Film zu machen. Das, was „Yes“ so einzigartig macht, erschließt sich nur im Original!
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