Wie in der Hölle

- | Frankreich/Italien/Belgien/Japan 2005 | 103 Minuten

Regie: Danis Tanovic

Die Schicksale von vier Frauen, die zusammenhanglos nebeneinander zu stehen scheinen, offenbaren sich durch das Einwirken eines jungen Mannes als tragische Verflechtungen, in denen ein unerbittliches Schicksal wirkt. Nach Tom Tykwers "Heaven" die zweite Verfilmung eines Drehbuchs aus Krzyzstof Kieslowskis "Himmel-Hölle-Purgatorium"-Trilogie. Die kunstvoll konstruierte Handlung erweist sich als spannungsarm exekutierte philosophische Reflexion, deren Szenario mit erlesenen Mitteln durchgespielt wird, der es aber deutlich an Substanz mangelt. (Dritter Teil: "Hope") - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
L' ENFER
Produktionsland
Frankreich/Italien/Belgien/Japan
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Asap Films/Sintra/Man's Films/Bitters End
Regie
Danis Tanovic
Buch
Krzysztof Piesiewicz · Krzysztof Kieslowski
Kamera
Laurent Daillant
Musik
Dusko Segevic · Danis Tanovic
Schnitt
Francesca Cavelli
Darsteller
Emmanuelle Béart (Sophie) · Karin Viard (Céline) · Marie Gillain (Anne) · Guillaume Canet (Sébastien) · Jacques Gamblin (Pierre)
Länge
103 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Heimkino

Verleih DVD
Universum (16:9, 2.35:1, DD5.1 frz./dt.)
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Diskussion
Ein Film – betont kunstvoll elliptisch erzählt – wie ein Puzzle, das einen geduldigen und aufmerksamen Zuschauer braucht, um allmählich die zeitliche Ordnung hinter dem kunstvollen Mosaik aus Wiederholungen und leichten Verschiebungen zwischen den unterschiedlichen Zeitebenen zu erkennen. Ein Mann wird aus dem Gefängnis entlassen, eine Frau ahnt, dass ihr Mann ein Verhältnis hat, eine andere Frau pflegt ihre stumme Mutter, eine Studentin hat ein Verhältnis mit ihrem verheirateten Professor, der zugleich der Vater ihrer Freundin ist. Alle diese Geschichten, die zunächst parallel entwickelt werden, hängen letztlich zusammen – und zwar symbolisch in einer Art von modifiziertem Medea-Mythos, der bekanntlich davon erzählt, dass eine Frau aus enttäuschter Liebe zur Bruder- und Kindsmörderin wird. Hier geht es allerdings nicht mehr um die physische Auslöschung der Kinder, sondern vielmehr um psychische Depravation, deren Konsequenzen der Film nach und nach vor- und schließlich in der Schlusssequenz engführt. Auf der Filmebene bringt ein junger Mann das komplexe Beziehungsgeflecht ins Rotieren. Er ist ein Bote aus der Vergangenheit, der längst verdrängte Fragen von Schuld und Sühne neu stellt. Ein doppeltes Kindheitstrauma hat tiefe Spuren in den Biografien der vier Frauen hinterlassen. Als der polnische Regisseur Krzysztof Kieslowski 1996 starb, blieb sein aktuelles Projekt, die Trilogie „Heaven, Hell & Purgatory“ (Himmel, Hölle und Fegefeuer) unvollendet. Im Jahr 2000 verfilmte Tom Tykwer mit „Heaven“ (fd 35285) das erste der drei Drehbücher und scheiterte – scheinbar – an seinem Kunstwillen. Jetzt hat sich der bosnische Regisseur und „Oscar“-Preisträger Denis Tanovic („No Man’s Land“, fd 35824) des zweiten Teils der Trilogie angenommen – und spätestens jetzt sollte man anfangen, über die Qualität von Kieslowskis Drehbüchern nachzudenken. Bedeutungsschwanger bewegt sich „Wie in der Hölle“ durch eine kunstvoll gestrickte Handlung, die letztlich nur wenig mehr als spannungsarm exekutierte philosophische Reflexion ist. Als ein oberflächlich elegant-morbider, insgeheim aber eher mechanistischer Reigen mit erlesener Starbesetzung entwirft der Film immer neue Varianten der Frage nach Zufall oder Schicksal als eigenwillige Mischung aus Hardcore-Katholizismus und Hitchcock. Hoch symbolisch zeigt sich die Haltung des Films bereits in der erstaunlichen Eingangssequenz, in der ein Kuckucksküken andere Eier aus dem Nest wirft und dabei selbst herausfällt. Der Vogel wird von einem Menschen gerettet und ins „falsche“ Nest zurückgelegt, wo es seinem mörderischen Instinkt folgt. Vergleichbar werden später bestimmte hilfreich gemeinte Handreichungen keinen Einfluss auf das prädestinierte Schicksal haben, was dem Film eine irritierende Doppelbödigkeit verleiht. Die vier Protagonistinnen leben ein Dasein, das von einem düsteren Schicksal voller zwanghafter Wiederholungen und Kreisbewegungen geprägt scheint, letztlich aber auf einer Lüge, einem Missverständnis, einem Zufall gründet. Das Handeln nach Maßgabe des Augenscheins, moralisch rigoros, führt in die Katastrophe, was, so Tanovic, zwar tragisch sei, aber keine Tragödie, weil „unsere materialistische Gesellschaft Gott vergessen hat“. Andererseits darf hier selbstredend eine Figur nicht fehlen, die davon ausgeht, dass gerade dieses handlungskonstituierende Missverständnis eben kein Zufall, sondern vielmehr integrales Moment des Schicksals gewesen sei. Mechanistisch und gnadenlos greifen die Handlungen der Figuren zu etwas unerbittlich Vollziehendem ineinander. „Die Hölle“, hat Jean-Paul Sartre einmal gesagt, „das sind die anderen.“ Aber hier wären die Anderen austauschbar. Der Philosophieprofessor, den die junge Anne unglücklich liebt, spricht einmal davon, dass die Rationalisten einst den Schicksalsgedanken durch den Zufall ersetzt hätten. Ihm persönlich sei „Schicksal“ jedoch lieber, weil es das „elegantere Konzept“ sei. Eleganz ist ein schöner Begriff, um das Szenario, das „Wie in der Hölle“ mit erlesenen Mitteln durchexerziert, zu charakterisieren; Substanz wäre freilich eine schöne Alternative zu diesem selbstgefällig pseudophilosophischen Habitus, den Tanovic sich – von wem auch immer – hat aufoktroyieren lassen.
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