Zwei Mädchen aus Istanbul

- | Türkei 2005 | 107 Minuten

Regie: Kutlug Ataman

Die Geschichte der obsessiven Freundschaft zwischen einem Mädchen aus einer konservativen Istanbuler Stadtrandsiedlung und einer verwöhnten Tochter aus dem modernen Stadtteil Etiler beschreibt temporeich und mit großer schauspielerischer Hingabe die Orientierungslosigkeit heutiger Jugendlicher. Eine ungewöhnliche Coming-of-Age-Geschichte aus dem gegenwärtigen Alltag der türkischen Metropole. - Ab 14 möglich.
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Filmdaten

Originaltitel
IKI GENÇ KIZ
Produktionsland
Türkei
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Yalan Dünya Prod.
Regie
Kutlug Ataman
Buch
Kutlug Ataman
Kamera
Emre Erkmen
Schnitt
Zeynep Ziilelioglu · Aziz Günhan Imamoglu · Lew Q
Darsteller
Hülya Avsar (Leman) · Vildan Atasever (Handan) · Feride Çetin (Behiye) · Sezgi Mengi (Erim) · Tugçe Tamer (Çigdem)
Länge
107 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14 möglich.
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Diskussion
Behiye ist am Rande Istanbuls aufgewachsen und wird von ihrer Familie unter Druck gesetzt, sich in die traditionelle Frauenrolle zu fügen. Impulsiv wehrt sich die 15-Jährige gegen alle Versuche ihrer Eltern und ihres Bruders, sie an den heimischen Herd zu zwingen. Als sie die gleichaltrige Handan kennen lernt, ergreift sie die Chance zur Flucht und quartiert sich in der Wohnung der verwöhnten Tochter im Neureichen-Viertel Etiler ein. Eine obsessive Mädchenfreundschaft beginnt, doch schon bald wird Handan ihre neue Freundin aus der Stadtrandsiedlung fallen lassen und Behiye sich auf die Suche nach dem Sinn des Lebens begeben müssen, diesmal verzweifelter zurückgelassen als je zuvor. „Zwei Mädchen aus Istanbul“ läuft sämtlichen Klischees von der Türkei zuwider. Im Mittelpunkt des rasant geschnittenen Films stehen zwei junge Frauen; Männer erscheinen lediglich als Statisten. Doch Behiye und Handan kriegen ihr Leben nicht in den Griff. Während Behiye versucht, sich die Sympathie ihrer Umwelt mit Aggressionen zu erpressen, erschleicht sich Handan die Zuneigung ihrer Mitmenschen durch fordernde Gefälligkeit. Unbewusst eifert sie ihrer verhassten Mutter nach, die sich in ihrer chronischen Finanzknappheit von reichen Liebhabern aushalten lässt, um ihren ausschweifenden Lebensstil bezahlen zu können. Kutlug Ataman, der in Paris und Los Angeles Film studierte, gilt als einer der Gründer des „Jungen türkischen Films“. In Deutschland wurde er 1998 mit „Lola und Bilidikid“ (fd 33546) bekannt, einem in Berlins türkischer Szene spielenden Transvestitendrama. Über seinen neuen Film sagt er: „Es gibt zwei grundverschiedene Istanbuls im Film: das eine, am Rande, ist noch traditionell. Das andere ist das gierige, alles verschlingende Istanbul.“ Hier, im modernen Geschäftszentrum der türkischen Metropole, ist Handan aufgewachsen. Ataman bezeichnet sie analog zum Stadtviertel als „schönes, faszinierendes Raubtier“. Mit den beiden Mädchen treffen auch die Welten aufeinander, in denen sie leben. Schon bald wird deutlich, dass es keine Kompatibilität zwischen der rosarot gestrichenen Scheinwelt der Shopping Malls und gut situierten Apartmentblocks von Etiler und der düsteren Enge von Behiyes Viertel gibt, dessen traditionelles Gepräge überkommene Rollenspiele, aber immerhin auch noch ein wenig menschliche Restwärme vermittelt. Atamans Film beschreibt die Dynamik des 21. Jahrhunderts als Coming-of-Age-Geschichte, die mit ungestümer Freude beginnt und in purer Verzweiflung endet. Zu viele Erwartungshaltungen belasten die Mädchenfreundschaft, die Geschwindigkeit, mit der Behiye und Handan sich kennen lernen, fast ineinander verlieben und wieder auseinanderdriften, ist symptomatisch für die globale MTV-Generation. Psychologische Zwischentöne finden hier wenig Platz, die Emotionen der beiden Mädchen brechen genauso unvermittelt hervor wie die psychische Krise der alleingelassenen Behiye. Ataman arbeitet mit Versatzstücken urbaner Alltagsikonografie, wenn er zeigt, wie das furiose Schauspielerinnen-Duo in den labyrinthischen Strukturen des sich anbahnenden Gefühlsinfernos auf ihre Raubzüge nach identitätsstiftenden Momenten aufbricht. Die jedoch lassen sich zwischen Diskothek, Drogerie und lästigen Männerbekanntschaften weder im „modernen“ noch im „traditionellen“ Istanbul finden, und so bleibt am Ende des erstaunlich dichten urbanen Dramas nur die nüchterne Erkenntnis, dass sich jeder seinen Weg allein suchen muss – stets in Gefahr, von schönen, faszinierenden Raubtieren aufgefressen zu werden.
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