Jindabyne - Irgendwo in Australien

- | Australien 2006 | 123 Minuten

Regie: Ray Lawrence

Bei einem Angelausflug in den australischen Bergen entdecken vier Männer die Leiche einer ermordeten jungen Eingeborenen, lassen sich bei ihrem Freizeitvergnügen aber nicht stören, sondern melden den Fund erst am Ende des Wochenendes. Nach ihrer Rückkehr führt ihr Verhalten zu Kontroversen und enthüllt seelische Verletzungen aller Beteiligten. Der ambitionierte, auf einer Short Story von Raymond Carver beruhende Film weiß die Brisanz seines Themas nicht vollends auszuloten und puffert sie durch einen bemüht-versöhnlichen Schluss zur sanften Gesellschaftskritik ab. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
JINDABYNE
Produktionsland
Australien
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
April Films/Babcock & Brown/Red Chair Films/Australian Film Finance Corporation
Regie
Ray Lawrence
Buch
Beatrix Christian
Kamera
David Williamson
Musik
Paul Kelly · Dan Luscombe
Schnitt
Karl Sodersten
Darsteller
Laura Linney (Claire Kane) · Gabriel Byrne (Stewart Kane) · Chris Haywood (Gregory) · Deborra-Lee Furness (Jude) · John Howard (Carl)
Länge
123 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Sony (1:2,40/16:9/Deutsch DD 5.1/Engl.)
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Diskussion
Ray Lawrence’ zweiter Spielfilm „Lantana“ (fd 35 680) gehörte zu einer internationalen Welle von Ensemblefilmen, die nach dem Erfolg von „Short Cuts“ (fd 30 588) mehrere skizzenhafte Handlungsstränge parallel entwickelten. Im Gegensatz dazu stellt der dritte Film des Australiers diese Methode gewissermaßen auf den Kopf, obwohl er mit „Short Cuts“ sogar die literarische Vorlage teilt. „Jindabyne“ basiert auf einer jener neun Kurzgeschichten Raymond Carvers, die Altman miteinander verknüpfte. Doch das Drehbuch reichert den Stoff, dessen Figurenzeichnung und Handlung in Carvers knapper Prosa auf ein sprödes Minimum beschränkt blieben – und sich eben deshalb bestens für Altman eigneten –, um zahlreiche zusätzliche Facetten an. „Jindabyne“ verlagert die Handlung in die titelgebende australische Stadt, deren alter Ortskern in den Wassermassen eines Stausees versunken ist. Das ist als Metapher für die zahlreichen Konflikte zu verstehen, die unter der Oberfläche gären und jeweils nur kurz in Dialogen aufbrechen, wobei sich als besonders reizvoll erweist, dass sich die Hintergründe nur langsam erschließen. So zeichnet sich peu à peu ab, warum die weibliche Hauptfigur, Claire, auf erste Anzeichen einer Schwangerschaft auffallend reserviert reagiert und diese vor ihrem Mann Stewart geheim hält. Wenn man solches Verhalten zunächst missversteht, ist das vom Drehbuch genau kalkuliert; doch Lawrence’ diskreter Regie und dem nuancierten Spiel der Hauptdarsteller Laura Linney und Gabriel Byrne gelingt es, dies als Effekt einer beiläufigen, distanzierten Beobachtung erscheinen zu lassen. Wie in Carvers Kurzgeschichte bleibt auch hier das zentrale Rätsel der Handlung ungelöst. Die Inszenierung lässt keinen Zweifel, dass Stewart und drei Freunde zunächst tief schockiert sind, als sie in einem Gebirgsbach ein weibliches Mordopfer finden. Doch die folgende Montage wortkarger Impressionen aus dem fortgesetzten Angelurlaub bietet keine Erklärung, was die vier wohl dazu bewogen hat, nach dem schauerlichen Fund nicht umgehend zurückzukehren und die Polizei zu benachrichtigen. Als Claire für dieses Verhalten mehrfach eine Erklärung verlangt, sagt Stewart wütend, dass er sich angesichts des Leichenfunds so lebendig gefühlt habe wie lange nicht mehr. Ob das mehr ist als eine absichtlich provokante Reaktion auf wiederholte Vorwürfe, bleibt offen. Zeitungsausschnitte, die Stewart an eine offenbar gescheiterte Karriere als Rallye-Fahrer erinnern, lassen ahnen, wie frustriert der Automechaniker in seinem aktuellen Beruf sein mag. Noch mysteriöser als das Verhalten der Ausflügler bleiben die Umstände, unter denen die Tochter eines mit den Hauptfiguren befreundeten Paars starb, für das es bei Carver keine Vorbilder gibt. Im Gegensatz dazu lernt man den Mörder, der in der literarischen Vorlage nie selbst in Erscheinung tritt, hier gleich in der ersten Szene kennen, in der Lawrence kühl alle filmischen Register zur Suspense-Erzeugung zieht. Auch erfährt man wesentlich mehr über das Mordopfer. Weil die junge Frau Aborigine ist, erhält die unsensible Reaktion der Angler eine potenziell rassistische Note, und die Religion der australischen Ureinwohner bietet Lawrence einen Anlass, die Landschaft, in der die Handlung angesiedelt ist, mit regelmäßig eingestreuten, von wehklagender Musik untermalten Panorama-Einstellungen mythisch aufzuladen. Im Vergleich mit Carvers Vorlage und Altmans filmischer Umsetzung mag man das freilich als des Guten insgesamt zuviel empfinden – zumal wenn der Film einen versöhnlichen Schluss sucht. So hat Christians und Lawrence’ ehrbares Bemühen, ihren Stoff zu bereichern, letzten Endes einen mindestens zwiespältigen Effekt: Denn „Jindabyne“ ruft – trotz unbestreitbarer Qualitäten – noch einmal in Erinnerung, dass die Selbstbeschränkung auf knappe Skizzen, die der literarischen Gattung der Kurzgeschichte sowie den Erzählstrukturen Altmanesker Ensemble-Filme zu eigen ist, durchaus eine Tugend sein kann.
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