Night of the Shorts: Tapas Mixtas

- | Spanien 2002-06 | 99 Minuten

Regie: Rafael Robles Rafatal

Sechs Kurzfilme aus unterschiedlichen Regionen Spaniens bieten einen spannenden Überblick über die dort sehr populäre Kunstform. Von der etwas pubertären Komödie über ein Road Movie und einen Thriller bis zum Animationsfilm wird mit verschiedenen Genremustern unterhaltsam und mal mehr, mal etwas weniger einfallsreich experimentiert; auch die Mechanismen der Fernsehunterhaltung werden pointiert aufs Korn genommen. Die Titel der einzelnen Filme: 1. "Domicilio Habitual" (2006, 17 Min.); 2. "Llévame a otro Sitio" (2003, 21 Min.); 3. "Minotauromaquia" (2004, 10 Min.); 4. "Tercero B" (2002, 18 Min.); 5. "Profilaxis" (2003, 10 Min.); 6. "El Sonador" (2004, 14 Min.)
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Filmdaten

Originaltitel
TAPAS MIXTAS
Produktionsland
Spanien
Produktionsjahr
2002-06
Regie
Rafael Robles Rafatal · David Martín de los Santos · Juan Pablo Etcheverry · José Mari Goenaga · Daniel Sánchez Arévalo
Buch
Belén Sánchez · David Martín de los Santos · Juan Pablo Etcheverry · José Mari Goenaga · Daniel Sánchez Arévalo
Kamera
Manuel González Coleta · Aitor Mantxola · Enrique Otero · Daniel Patiño · Javier Agirre
Musik
Juanito Martínez · Igor Strawinsky · Pascak Gaigne · Rumboamago · Fernando Velázquez
Schnitt
Rafael Robles Rafatal · Irlandia Tambascio · Enara Goikoetxea · Iñigo Salaberria
Darsteller
Terele Pávez · Araceli Campos · Juanma Lara · José Luis García Pérez · Belén López
Länge
99 Minuten
Kinostart
-

Diskussion
Tapas sind die kleinen Häppchen, die in der traditionellen spanischen Gastronomie zum Wein oder Bier und meistens vor der nächsten größeren Mahlzeit gereicht werden. „Tapas Mixtas“ ist eine Zusammenstellung von höchst unterschiedlichen Kurzfilmen, so unterschiedlich wie ein Kartoffel-Omelett, eine Scheibe Serrano Schinken und ein frittierter Tintenfischring. Das Programm zeigt sechs spanische Kurzfilme aus Regionen von Malaga über Madrid bis Bilbao, von der schrillen, plakativen Komödie über das kleine, kammerspielartige, psychologische Road Movie bis zum kurzen Historiendrama. „Domicilio Habitual“ („Üblicher Wohnsitz“) ist eine schnell geschnittene Komödie von etwas pubertär exaltiertem Humor um Sex und Tod – um in der Tapas-Terminologie zu bleiben: etwas zu fettig. Señor Ramirez hat sich eine Prostituierte ins Büro kommen lassen und das offensichtlich nicht überlebt; ebenso haben ihm seine Ehefrau, seine Sekretärin, sein Geschäftspartner und ein ehemaliger Angestellter der Firma, der durch seine Schuld arbeitslos wurde, nach dem Leben getrachtet. Vier Mörder und ein Mord: Am Ende hat nur die Putzfrau etwas davon. Von der überdrehten Kriminalkomödie führt das Road Movie „Llévame a otro sitio“ („Bring mich an einen anderen Ort“) in die psychologische Einöde der spanischen Mittelschicht: Jorge und Patricia haben sich nichts mehr zu sagen, ihre Ehe ist am Ende. Als sie an einem Anhalter vorbeifahren, kommt Patricia auf die Idee, ein merkwürdiges Rollenspiel zu beginnen: Sie steigt als Anhalterin ins Auto ihres Mannes. Ein Plot, den Milan Kundera bereits in den 1960er-Jahren in seinem „Das Buch der lächerlichen Liebe“ in der Episode „Fingierter Autostop“ verwendete. David Martín de los Santos geht es in der geänderten Perspektive um Rollenverhalten und sexuelle Fantasien. Am Ende scheitert Jorge in der kargen weiten Hochebene Kastiliens und hinterlässt einen leicht bitteren Geschmack von Kichererbsen, denn eine zweite Chance wird es für Jorge nicht geben: Patricia steigt bereits in ein anderes Auto. Vom Labyrinth der bürgerlichen Ehepsychologie führt der Animationsfilm „Minotauromaquia“ in die Welt der archaischen europäischen Mythologie des Stiers und der visuellen Vorstellungswelt Pablo Picassos. Der ursprünglich für ein Museum erstellte Kurzfilm zeigt Picasso im kretischen Labyrinth auf der Suche nach dem Minotaurus und ist der interessanteste Leckerbissen der „Tapas Mixtas“. Regisseur Juan Pablo Etcheverry lebt in einem abgelegenen Dorf im nordwestspanischen Galizien und hat dort eine kleine Trickfilmmanufaktur, die immer wieder für Überraschungen sorgt. Ins baskische Seebad San Sebastián führt José Mari Goenaga mit seinem Thriller „Tercero B“ („Dritter Stock, B“): Eine Frau bittet einen Mann am Strand, kurz auf ihre Sachen aufzupassen; als sie aus dem Wasser kommt, ist der Fremde verschwunden – und ihre Tasche auch. „Tercero B“ ist ein handwerklich solides Genrestück, vorhersehbar, aber schmackhaft. Viele spanische Kurzfilme übernehmen klassische Genrevorgaben, überhöhen oder parodieren sie. Häufig gibt es aber auch sarkastische Auseinandersetzungen mit den exhibitionistischen Darstellungsformen des Fernsehens. In „Profilaxis“ („Vorsorge“) erzählt Pedro Perez der Fernsehkamera, wie ihn seine Leidenschaft für anale Masturbation frühzeitig vor einem Darmtumor gerettet hat. Regisseur Daniel Sánchez Arévalo parodiert geschickt bekannte Fernsehformate und die psychische und physische Selbstentblößung durch die Massenmedien. Nach der komischen Enthüllungskomödie führt „El Soñador“ („Der Träumer“) von Oskar Santos in die literarische Welt morbider Schauerromane des 19. Jahrhunderts. Mit der Stimme aus dem Off kommentiert ein angesehener Psychiater seinen seltsamsten Fall: Aus ungeklärter Ursache ist ein junger Adeliger in der Lage, bis zu drei Tage in Folge durchzuschlafen. Immer mehr flüchtet er sich in seine Träume, und immer weniger ist er in der Lage, die Realität des Wachzustandes zu ertragen. Langsam beginnt der Arzt, seinen Patienten zu beneiden, und will verhindern, dass er in eine psychiatrische Anstalt abgeschoben wird. Kurzfilme sind in Spanien sehr populär; zwischen Andalusien und dem Baskenland finden im Jahr um die 150 Kurzfilmfestivals statt. Für den deutschen Zuschauer ist „Tapas Mixtas“ eine interessante und unterhaltsame Kostprobe des spanischen Kurzfilmschaffens.
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