- | Kuba 2006 | 110 Minuten

Regie: Fernando Pérez

Die zärtlich-tragische Liebesgeschichte zwischen einem zwielichtigen Nachwuchsschauspieler, der seine Attraktivität für eigensüchtige Ziele einsetzt, und einer geheimnisvollen fülligen Frau, die an die Liebe glaubt und bitter enttäuscht wird. Das poesievolle Vexierspiel zwischen Wirklichkeit und Fantasie beschwört in einer stimmungsvollen Inszenierung die Macht der Liebe und spiegelt die innere Schönheit seiner Protagonisten. Die in naher Zukunft in Havanna angesiedelte Geschichte verleiht der Optik der Stadt eine surreale Künstlichkeit. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
MADRIGAL
Produktionsland
Kuba
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Wanda Vision, ICAIC
Regie
Fernando Pérez
Buch
Fernando Pérez · Eduardo del Llano
Kamera
Raúl Pérez Ureta
Musik
Edesio Alejandro
Schnitt
Julia Yip
Darsteller
Carlos Enrique Almirante (Javier) · Liety Chaviano (Luisita) · Ana Celia de Armas (Stella Maris) · Carla Sánchez (Eva) · Yailene Sierra (Elvira)
Länge
110 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
„Nichts ist wie es scheint“, intoniert ein Theaterchor zu Beginn des Films, als Nachwuchsschauspieler Javier im Nonnenkostüm auf der Bühne auftritt, wo ihn Luisita als einzige Zuschauerin beobachtet. Dieser Satz wird im weiteren Verlauf in mehreren Varianten wiederholt. Das Vexierspiel um Wahrnehmung und Täuschung, das sich in einer cineastischen Analogie zu den vielstimmigen Chorstücken des Madrigal-Gesangs auf mehreren Ebenen entfaltet, zieht sich als roter Faden durch die zärtlich-tragische Liebesgeschichte des kubanischen Regisseurs Fernando Pérez („Suite Habana“, fd 36 781). Der Beau Javier und die dicke Luisita, die sich nach der Aufführung wiedersehen und bald näherkommen, sind beide schön, doch auf unterschiedliche Weise. Die reiche Erbin wirkt zunächst unscheinbar, gibt sich rau, geheimnisvoll. Ihre innere Schönheit kommt in dem Maße zum Vorschein, je näher man sie kennen lernt. Indem der Film den optischen Abstand verringert und Luisita in warmes Licht taucht, lässt sich die Veränderung nachvollziehen, die in Javiers Wahrnehmung vonstatten geht. Anfangs scheint es Javier nur auf Luisitas Haus abgesehen zu haben, um sich dort mit seiner Geliebten einzunisten, die er Luisita gegenüber verschweigt. Im selben Moment, als er Luisita verspricht, sie nie zu täuschen, belügt er sie, indem er behauptet, sie sei seine erste und einzige Freundin. Je länger er aber mit Luisita zusammen ist, desto mehr verwandelt sich diese Lüge in eine Wahrheit. Denn wohl nie zuvor hat Javier eine Frau auf eine solch wahrhaftige Weise geliebt wie Luisita. Dann aber entdeckt Luisita den Betrug. Javier fleht um Verzeihung. Als Zeichen dafür, dass sie ihm vergeben habe, soll sie am nächsten Tag ihr Fenster öffnen. Pérez zitiert an dieser Stelle Réne Clairs Liebesfilm „Das große Manöver“ (fd 4 809) aus dem Jahr 1955. Doch anders als bei Clair öffnet sich in „Madrigal“ das Fenster tatsächlich; wenn auch auf tragische Weise. Pérez hat damit, nach eigenem Bekunden, jenes Ende „gerettet“, das Clair ursprünglich plante, aber nicht drehen durfte. Doch mit der tragischen Schlusspointe lässt es Pérez nicht auf sich beruhen. Stattdessen treibt er die zwischen Wirklichkeit und Fantasie sich windende Erzählspirale noch eine grundlegende Wendung weiter. Mit einer im Jahr 2020 angesiedelten Science-Fiction-Story, die aus Javiers Hand stammt, scheint der Film endgültig ins Reich der (Meta-)Fiktion überzutreten. Die dominierenden Innenaufnahmen und die Studiooptik der Außenwelt, die Havanna, wo der Film spielt, eine surreale Künstlichkeit verleihen, wird noch offensichtlicher. Das Filmset verwandelt sich in eine große Bühne. Befreit von jedem Echtheitszwang, erzeugt Pérez hier ein Zitierkino, das Wirkliches und Erdachtes sich solange wechselseitig spiegeln lässt, bis jeder Orientierungsversuch scheitert. Dass man darüber aber nicht verärgert auf-, sondern sich im Gegenteil dem geheimnisvollen Reiz des Films gerne hingibt, dafür sorgen ein grandios aufspielendes Darstellerpaar – Carlos Enrique Almirante als zwielichtiger Liebhaber und Liety Chaviano Pérez in der Rolle der geheimnisvollen Luisita – sowie die von düsteren Bildern und einer latent bedrohlichen Tonspur getragene poetische Atmosphäre, die gerade aufgrund ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit fasziniert.
Kommentar verfassen

Kommentieren