Drama | Deutschland/Kanada/USA/Großbritannien 2008 | 119 Minuten

Regie: Sandra Nettelbeck

Eine attraktive und geachtete Musikprofessorin leidet an Depressionen, die das scheinbar makellose Gebäude ihres bürgerlichen Lebens bedrohen. Während ihr Mann und die 13-jährige Tochter noch über die Ursachen ihrer Krankheit rätseln, vertraut sich die selbstmordgefährdete Frau einer Studentin an. Drama, in dem Inszenierung und Hauptdarstellerin den Krankheitsverlauf glaubwürdig nachzeichnen; dennoch eröffnet der perfekt inszenierte, als Fallstudie aber allzu idealtypisch konstruierte Film keine tiefere Einsichten in die Problematik. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
HELEN
Produktionsland
Deutschland/Kanada/USA/Großbritannien
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Egoli Tossell Film/Insight Film Studios
Regie
Sandra Nettelbeck
Buch
Sandra Nettelbeck
Kamera
Michael Bertl
Musik
Tim Despic · James Barker
Schnitt
Christian Lonk
Darsteller
Ashley Judd (Helen) · Goran Visnjic (David) · Lauren Lee Smith (Mathilda) · Alexia Fast (Julie) · Alberta Watson (Dr. Sherman)
Länge
119 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Für ihre Freunde führen Helen und David eine Ehe, wie man sie sich nur wünschen kann. Beim geselligen Abendessen wird David gefragt, ob sein Leben nicht perfekt sei, was dieser natürlich beschämt verneint, sich im Innersten aber nur noch mehr in seinem Glück bestätigt fühlt. Helen hat den Tisch zu diesem Zeitpunkt schon verlassen und wird grußlos nach Hause fahren. Noch bevor man das beneidete Glück zu sehen bekommen, stiehlt es sich aus dem Bild davon. Sandra Nettelbeck beginnt ihren ersten amerikanischen Film mit einem klassischen Moment: Die makellose Fassade bekommt Risse und gibt den Blick auf sorgsam verborgene Lebenslügen frei. Die Flucht vor zu viel Geselligkeit ist nur der Anfang: Schon bald zieht sich Helen, die attraktive und geachtete Musikprofessorin, glückliche Ehefrau und Mutter einer wohlgeratenen 13-jährigen Tochter, ins Schneckenhaus zurück, verlässt die Wohnung nicht mehr und schließlich kaum noch das Bett. Eine bleierne Traurigkeit ergreift von ihr Besitz und raubt ihr allen Lebensmut. Im Kino der 1950er-Jahre hätte es für Helens Leiden wohl nur eine Diagnose gegeben: die Entfremdung der bürgerlichen Welt. Es gibt kein richtiges Leben im falschen, das galt damals von Adorno bis Antonioni als ausgemacht und schlug sich an scheinbar grundlos leidenden Heldinnen mit den entsprechenden Symptomen nieder. Bei Nettelbeck dreht sich diese Sichtweise um 180 Grad. Sie hat eine Fallstudie über die neue Volkskrankheit Depression gedreht; das bürgerliche Unglück erscheint hier nicht mehr gesellschaftlich geprägt, sondern als schicksalhaftes Naturgesetz. Seit dem Tod einer Jugendfreundin plante Sandra Nettelbeck einen Film zum Thema, doch erst nach dem weltweiten Erfolg von „Bella Martha“ (fd 35 367) konnte sie ihn in Hollywood finanzieren. Dabei mag geholfen haben, dass ihre Hauptdarstellerin Ashley Judd selbst wegen Depressionen in Behandlung war. Gemeinsam bürgen sie dafür, dass der Gang der Handlung medizinisch und psychologisch stimmig bleibt: Während sich die selbstmordgefährdete Helen mit Psychopharmaka behandeln lässt, rätseln ihr Mann und ihre Tochter über die Ursachen der Depression und finden nichts, weil es außer einer genetischen Prädisposition wenig zu finden gibt. Umso klarer sehen sie die Auswirkungen der Krankheit, und insbesondere David muss es schmerzen, dass sich Helen nicht ihm, sondern einer ebenfalls depressiven Studentin anvertraut. Schon in „Bella Martha“ zeichnete Nettelbeck das Porträt einer seelisch labilen Frau, spielte dies aber herunter, indem sie die psychiatrischen Sitzungen als komödiantische Miniaturen inszenierte. Außerdem handelt „Bella Martha“ von der erfolgreichen Rückkehr ins Leben, während „Helen“ vom Rückzug ins Schneckenhaus erzählt. Stilistisch greift Nettelbeck auf bekannte Sinnbilder der bürgerlichen Einsamkeit zurück: Leere Gänge und Säle bestimmen die Schauplätze, ein verlassenes Haus am Meer wird Helens Zuflucht, dazu dominiert das Bläulich-Melancholische die ohnehin ausgedünnte Farbpalette. Leider gelingt Nettelbeck die klinische Fallstudie etwas zu gut: Die Familienkonstellation ist zu idealtypisch, um glaubwürdig zu sein, und die Nebenfiguren erscheinen weniger als Menschen aus Fleisch und Blut denn als beliebig verschiebbare Handlungselemente. Letztlich ist „Helen“ zu perfekt konstruiert, um einen Blick hinter die Fassade zu eröffnen.
Kommentar verfassen

Kommentieren