Streik(t)raum

Dokumentarfilm | Frankreich 2007 | 99 Minuten

Regie: Matthieu Chatellier

Als die französische Nationalversammlung im Februar 2006 eine Kündigungsschutzreform verabschiedete, kam es landesweit zu Protesten. Die Regierung zog zwar das Gesetz zurück, doch die erhoffte politische Trendwende blieb aus. Im Stil des "direct cinema" zeigt der Dokumentarfilm ungefiltert die Blockade der Universität, Diskussionen und Auseinandersetzungen mit der Polizei. Eindrucksvoll vermittelt sich dabei, wie Staat und Macht ihren abstrakten Charakter verlieren und zu Variablen sozialer Interaktion werden. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
(G)RÊVE GÉNÉRAL(E) | GRÊVE GÉNÉRALE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Septièmesens/Cityzen Télévision
Regie
Matthieu Chatellier · Daniela de Felice
Kamera
Matthieu Chatellier
Schnitt
Frédéric Fichefet
Länge
99 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm

Diskussion
Als die französische Nationalversammlung am 10. Februar 2006 eine Kündigungsschutzreform verabschiedete, kam es zu landesweiten Protesten. Hunderttausende demonstrierten gegen den so genannten CPE (Contrat Première Embauche), der die Probezeit bei Ersteinstellungen ohne Kündigungsschutz auf zwei Jahre ausdehnen sollte. Schüler und Studenten blockierten Schulen bzw. Universitäten, die Gewerkschaften drohten mit Generalstreik. Nach zwei Monaten zog die Regierung das Gesetz in seiner ursprünglichen Form zurück: ein symbolischer Erfolg. Aber die erhoffte politische Trendwende blieb aus. Am 6. Mai 2007 wurde Nicolas Sarkozy zum neuen Staatspräsidenten gewählt. Matthieu Chatellier und Daniela de Felice begleiteten über mehrere Wochen hinweg die Proteste französischer Studenten gegen den CPE. Im Stil des „direct cinema“ dokumentieren sie die Blockade der Universität, Diskussionen in den studentischen Vollversammlungen, Referenden, Demonstrationen und Auseinandersetzungen mit der Polizei. Nur selten melden sie sich mit Fragen aus dem Off hörbar zu Wort. Darüber hinaus verzichten sie nicht nur auf verbale, sondern auch auf musikalische Kommentare und geben die gesammelten und ausgewählten Impressionen weitgehend ungefiltert ans Publikum weiter. Dennoch beziehen sie mit der Auswahl und bereits mit der Wahl ihres Kamera-Standpunkts eindeutig und buchstäblich Position. Chatellier und de Felice bewegen sich auf Seiten der Protestierenden. Die Studenten, die sich gegen die Blockade der Universität aussprechen, kommen nur sporadisch im Rahmen von Vollversammlungen zu Wort. Ansonsten erhalten nur die streikenden Studenten, die sich in der Uni verbarrikadiert haben, dort schlafen, essen, diskutieren, Flugblätter entwerfen und Protestaktionen vorbereiten, Gelegenheit, sich ausführlicher zu äußern. Aus dieser Einseitigkeit gewinnt der Film eine intime Nähe zu den Geschehnissen. Es entsteht der Eindruck, als nähme man teil an den politischen Debatten und ideologischen Streitigkeiten. Der eng kadrierte Kamerablick übernimmt dabei allerdings keine subjektive Perspektive. Vielmehr sammelt er Einzeleindrücke aus einem breiten Spektrum unterschiedlicher Hoffnungen und Haltungen. Aus den Äußerungen während der Versammlungen oder den Interviews, die zwischen Tür und Angel in den Fluren und Seminarräumen aufgezeichnet wurden, kristallisieren sich keine persönlichen Protestgeschichten, keine individuellen Charaktere heraus. Statt dessen repräsentieren die namenlosen Protagonisten jeweils nur eine Facette eines sozialen Protests. Während die einen in abgegriffenen Phrasen den Klassenkampf proklamieren, hocken andere abgekämpft auf dem Boden und zweifeln am Erfolg ihrer Aktionen. Gemeinsam ist jenen, die zu sehen und hören sind, dass sie mehr wollen, als den CPE zu Fall zu bringen. Fast alle wünschen sich eine anhaltende Debatte darüber, wie die französische Gesellschaft in Zukunft gestaltet werden soll. Wie der Filmtitel etwas umständlich andeutet, geht es ihnen um mehr als den Traum vom Generalstreik. Der Raum, den die Studenten besetzen, ist im doppelten Sinne ein öffentlicher: administrativ und diskursiv. Staat und Macht verlieren ihren abstrakten Charakter, werden zu fühlbaren, veränderbaren Variablen sozialer Interaktion. Die Filmemacher lassen einen solchen exemplarischen Raum auf eindrückliche Weise lebendig werden.
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