Rachels Hochzeit

Drama | USA 2008 | 112 Minuten

Regie: Jonathan Demme

Die unter Schuldgefühlen leidende, drogenabhängige Schwester der Braut verwandelt deren Hochzeitsfeier zu einer Tribüne verdrängter Gefühle. Dem meisterhaft inszenierten Film gelingt eine hautnahe Verquickung heiterer und verstörender Ereignisse, die in ihrer Direktheit und Spontaneität den Zuschauer unmittelbar ins Geschehen hineinziehen. Im Hintergrund offenbart die Handlung zudem viel von den Eigenheiten der heutigen amerikanischen Gesellschaft. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
RACHEL GETTING MARRIED
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Clinica Estetico/Marc Platt Prod.
Regie
Jonathan Demme
Buch
Jenny Lumet
Kamera
Declan Quinn
Musik
Donald Harrison jr. · Zafer Tawil
Schnitt
Tim Squyres
Darsteller
Anne Hathaway (Kym) · Rosemarie DeWitt (Rachel) · Bill Irwin (Paul) · Tunde Adebimpe (Sidney) · Mather Zickel (Kieran)
Länge
112 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Die umgangreichen Extras enthalten u.a. einen dt. untertitelbaren Audiokommentar der Produzentin Neda Armian, der Drehbuchautorin Jenny Lumet und des Cutters Tim Squyres sowie einen dt. untertitelbaren Audiokommentar der Darstellerin Rosemarie DeWitt. Des Weiteren enthalten ist ein Feature mit neun im Film nicht verwendeten Szenen (20 Min.).

Verleih DVD
Sony (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Sony (16:9, 1.85:1, DTrueHD engl./dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Im Nachspann des Films dankt Regisseur Jonathan Demme dem verstorbenen Altmeister Robert Altman. Gewisse Ähnlichkeiten von „Rachel Getting Married“ mit Altmans „Eine Hochzeit“ (fd 21 080) sind unübersehbar, aber Demmes Film besitzt eine Eigenständigkeit, die weit über Imitationen großer Vorbilder hinausgeht. Es ist Demmes bester Film seit langem, obwohl er in der Herstellung billiger war als viele seiner früheren Filme und in den Anfangsszenen aussieht wie die Stilübung eines noch relativ unerfahrenen Neulings. Doch die mit verwackelter Handkamera sprunghaft gefilmte Annäherung an einen übergroßen Personenkreis stellt sich sehr bald als Methode heraus. Demme arbeitet mit einem vorzüglichen Drehbuch von Jenny Lumet, Sidney Lumets Tochter, dessen allmähliche Verdichtung auf ein paar zentrale Personen im Umfeld einer tumultuösen Hochzeitsfeier ihm gestattet, den Zuschauer wie einen Partizipanten in das Geschehen hineinzuziehen. Was wie ein Home Movie beginnt, entpuppt sich als austariertes Produkt eines Regisseurs, der genau weiß, wie man aus melodramatischen Routinesituationen eine psychologische und soziale Analyse machen kann, bei der sich das Publikum zugleich unterhalten und betroffen fühlt. „Rachel Getting Married“ ist ein Wechselbad konträrer Empfindungen und vermittelt ganz nebenbei eine Menge Einsichten in den Zustand der amerikanischen Gesellschaft. Rachel will heiraten. Ihr offenbar nicht ganz unbegüterter Vater richtet in seinem Landhaus die Hochzeit aus. Aber Rachel ist entgegen der Erwartung, die der Titel weckt, nicht die Hauptperson des Films. Sie ist die Hauptperson der Hochzeitsfeier, doch immer, wenn es ausschließlich um sie gehen sollte, rückt als Störungsfaktor ihre jüngere Schwester Kym in den Mittelpunkt. Kym tut das nicht, um sich in Szene zu setzen, sondern weil sie, eine verletzte und verstörte Seele, nicht anders kann. Sie schleppt so viel Vergangenheit mit sich herum, dass sie sich überall verloren glaubt, sogar im Haus ihrer Kindheit und in der Umgebung so vieler vertrauter Menschen. Schrittweise enthüllt der Film Kyms Schuldgefühle und die Gründe für ihre Psychose und ihr Selbstmitleid. Als Zuschauer lernt man, sie gleichzeitig zu hassen, zu bedauern und zu bemitleiden. Für die Hochzeit ihrer Schwester bekam sie Urlaub aus dem Rehabilitationszentrum, in dem sie viele Jahre verbracht hat. Wenn sie verstört in einer Ecke steht, spürt man ihren Wunsch, den Menschen um sie herum näher sein zu können; wenn sie sich auf ihre abrupte, narzisstische Art aufdrängt, fühlt man ihr eigenes Unbehagen und den Drang, dem ganzen Treiben am liebsten wieder zu entfliehen. Anne Hathaway, die man aus einer ganzen Reihe komischer Rollen kennt, spielt Kym mit geradezu beängstigend nervöser Konsequenz und Glaubwürdigkeit. Jede Hochzeit sollte ein freudiges Ereignis sein. Es gibt auch genügend Szenen, in denen sich die quirlige Kamera in die Traditionen und Konventionen einer mit viel amerikanischer Unbefangenheit zelebrierten Hochzeitsfeier verliert, die noch bunter ausfällt, weil es eine multi-kulturelle und multi-ethnische Gesellschaft ist, die sich hier zusammengefunden hat. Aber Kym versteht es immer wieder, zu unpassender Zeit die Schatten der Vergangenheit, die von den anderen verdrängt werden, heraufzubeschwören. Wenn ihr verletztes Ich sie dazu bewegt, geradezu ultimativ zu verlangen, dass sie die Brautjungfer sein sollte, dann stößt sie damit alle vor den Kopf, obwohl das gar nicht ihre Absicht ist. Wenn sie zu einem Toast auf das Brautpaar das Glas hebt, dann stammelt sie einen Glückwunsch, der sich anhört wie aus den „zwölf Stufen“ des Selbstbekenntnisses eines Drogenabhängigen, der sie ja auch ist. Durch die Nähe zu den Personen, in die der Zuschauer im Kino beständig versetzt wird, erlebt man Szenen wie diese mit der gleichen Schmerzhaftigkeit und dem gleichen Unbehagen wie die Teilnehmer der Hochzeitsgesellschaft. Selten hat die Handkamera eine so subjektive Funktion angenommen wie hier. Demme lässt vermutlich deshalb gegen Schluss des Films doch noch die heiteren Seiten der Feierlichkeit breit ausspielen: Das Publikum kann wenigstens ein bisschen loslassen und aufatmen, bevor der Film vorbei ist. Was „Rachels Hochzeit“ unzweifelhaft mit Robert Altmans Filmen verbindet, ist die Perfektion der Ensembleleistung. Im Verlauf der Hochzeitsfeier lernt der Zuschauer Dutzende von Personen kennen. Außer fürs Brautpaar und die (geschiedenen) Eltern verwendet der Film relativ wenig Zeit zur Charakterisierung der vielen Anwesenden. Dennoch verwandeln sich alle allmählich von Statisten zu Menschen aus Fleisch und Blut. Wenn man überlegt, wie das kommt und warum es in so vielen Filmen anders ist, ergibt sich nur eine Erklärung: Wir haben es bei hier mit dem seltenen Fall eines völlig homogenen Zusammenspiels aller am Entstehen des Films Beteiligten zu tun. Die Intelligenz des Drehbuchs vermag mit knappen Strichen Personen herauszukristallisieren, die den Darstellern Futter für eine individuelle Gestaltung bieten; die Regie lässt der Interaktion genügend Freiraum, um Spontaneität zu erzeugen; und die Kamera fängt nicht bloß eingeübte Szenen im Bild ein, sondern mischt sich wie selbstverständlich „unters Volk“. Ganz wesentlich ist auch die Musik an dem spontanen Eindruck beteiligt, den der Film hinterlässt. Sie ist nicht Hintergrundmusik, hat keine illustrative oder interpretierende Funktion, sondern ist mit großer Beiläufigkeit einfach da, wenn sie in der Handlung gefragt ist. Besonders in den festlichen Szenen und in der ausgelassenen Party am Abend nach der Hochzeit sieht alles, was sich auf der Leinwand abspielt, ungeheuer locker und improvisiert aus. Nur ein Regisseur von großem Format kann all die divergenten Gruppen und Episoden so zusammenhalten, dass sie wie zufällig aussehen, obwohl sie genau das gerade nicht sind. Ein kleiner, aber meisterhafter Film!
Kommentar verfassen

Kommentieren