Verlorenwasser

Dokumentarfilm | Deutschland 1990-2010 | 100 (27/31/22/10) Minuten

Regie: Peter Roloff

Essayistisch aufgearbeitete Langzeitbeobachtung des Dorfs Verlorenwasser im Landkreis Potsdam-Mittelmark. In vier Teilen, die sich stilistisch und im Erzählton deutlich unterscheiden, verfolgt der Dokumentarfilm die Entwicklung des Orts zwischen 1990 und 2010, wobei auch Spuren aus NS- und DDR-Zeit einfließen. Auf assoziativ-persönliche, formal experimentelle Weise wird dabei ein facetten- und bezugreiches Porträt eines Orts, einer Landschaft und ihrer Bewohner entworfen. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1990-2010
Produktionsfirma
maxim film
Regie
Peter Roloff
Buch
Peter Roloff
Kamera
Peter Roloff
Musik
Peter Roloff · Jens Jamin · Adolph Hofner · Polka Service
Schnitt
Barbara Kirchner · Frank Behnke · Peter Roloff · Manfred Hielscher
Länge
100 (27
31
22
10) Minuten
Kinostart
18.03.2010
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb

Diskussion
Aus drei Minuten wurden 100 Minuten und 20 Jahre ,Verlorenwasser‘“, schreibt Peter Roloff im Pressematerial zu seinem Essayfilm, der eigentlich die Kompilation von vier Filmen ist, die zwischen 1990 und 2010 den Ort Verlorenwasser im Landkreis Potsdam-Mittelmark „umspielen“. Begonnen hat das Projekt 1990 mit einer relativ simplen, aber schlüssigen Idee: Wie sieht der Tag der ersten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 abseits der Metropole aus? Bei der Suche nach einem geeigneten Drehort stieß der Westberliner Roloff auf die abgelegene, kaum kultivierte Landschaft um das Dorf Verlorenwasser, in der sich unterschiedliche Zeit- und Erzählebenen zu überlagern scheinen. 27 Minuten dauert der erste, wunderschön fotografierte und formal bemerkenswert stimmig gestaltete Ausflug, gedreht in Schwarz-Weiß. Das ursprüngliche Thema, der Kontrast zwischen dem Medienrummel um den spektakulär hochgejazzten Wahltag und den zumeist menschenleeren und provisorischen Wahllokalen in der Provinz, ist erkennbar, aber der Filmemacher und sein kleines Team haben noch ganz andere Entdeckungen gemacht: den geografischen Mittelpunkt der DDR, Brückenruinen aus den letzten Kriegstagen, eine sowjetische Kaserne, eine Erinnerungstafel an die Heldentaten der Roten Armee, Fundamente eines KZ-Außenlagers. So ergibt sich eine „Erinnerungslandschaft“ zwischen 1945 (Ende des Nationalsozialismus) und 1990 (Ende des real existierenden Sozialismus). Roloff sammelt Eindrücke, Gegenstände wie Schilder oder Markierungen, an denen Spuren von Geschichte und Geschichte(n) zu kleben scheinen. Auch auf der Tonspur vermischen sich Stimmen und Melodien, die „Internationale“, Volkslieder, die Hymne der DDR. 1992 kehrte Roloff nach Verlorenwasser zurück, diesmal mit Farbfilm im Gepäck, was den 31 Minuten von Teil 2 einen anderen Blick verpasst. Arbeitshypothese von Teil 2 ist jetzt das Stichwort: „Identitätsvakuum“. Roloff macht sich mit eigenwilligen formalen Experimenten seinen Reim auf eine Gesellschaft im Übergang. Plötzlich sind merkwürdig pathetische Parolen an den Häuserwänden zu lesen; die Ratlosigkeit der Menschen vermittelt der Filmemacher durch Bild-im-Bild-Installationen und Tonüberlagerungen, die nur bestimmte Themen schlagwortartig aufblitzen lassen, aber keinen Diskurs vermitteln. Teil 3, 22 Minuten lang, fällt komplett aus dem Rahmen: Es ist ein Reisefilm, basierend auf (fiktiven) Briefen des russischen Tuchhändlers Igor Grusewejitsch, und hat nur mittelbar mit Verlorenwasser zu tun, dafür arbeitet er mit Resten der Teile 1 und 2 (sowie anderswo gedrehtem Material). Dieser Teil ist Mockumentary voller Anspielungen und funkelndem Witz, gewissermaßen die lichte Version der immer etwas dunklen Landschaft. Der vierte Teil stammt schließlich von 2008 bis 2010 und zeigt, was sich in den vergangenen 20 Jahren getan hat. Das Übungsgelände der Bereitschaftspolizei, auf dem der Häuserkampf geübt wurde und das schon in Teil 1 auftauchte, ist mittlerweile fast völlig zugewuchert. Aber noch immer steht der Abhörmast der Staatssicherheit auf einem Grundstück, das auf keiner DDR-Karte verzeichnet war. Auch den Mittelpunkt der DDR findet man noch mit etwas Glück. Prägnanter als in den Teilen 1 und 2 kommen jetzt Menschen ins Bild, die auch noch einige Geschichten zu erzählen haben. Man wünscht sich, dass der sehr persönliche, sehr sehenswerte Essayfilm „Verlorenwasser“ das Projekt der Langzeitbeobachtung nicht abschließt, sondern vielmehr eine Zwischenbilanz darstellt. Immerhin hat Roloff Vorkehrungen getroffen, dass man Verlorenwasser auch mit aktuell modernsten technischen Hilfsmitteln finden kann.
Kommentar verfassen

Kommentieren