Der Tag des Spatzen

Dokumentarfilm | Deutschland 2010 | 104 Minuten

Regie: Philip Scheffner

Experimenteller Dokumentarfilm über die Beziehung Deutschlands zum Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan, festgemacht an "ornithologischen Beobachtungen", in denen Natur und deutscher Alltag in Bezug gesetzt werden zu den Aktivitäten des Militärs auf Truppenübungsplätzen in ländlichen Gebieten. Der frappierende Kurzschluss von Natur und Politik rundet sich zu einem interessanten nachdenklichen Essay. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Pong Kröger Scheffner/Blinker Filmprod./Worklights Media/ZDF
Regie
Philip Scheffner
Buch
Merle Kröger · Philip Scheffner
Kamera
Bernd Meiners
Schnitt
Philip Scheffner
Länge
104 Minuten
Kinostart
22.04.2010
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Politik und Natur sind in „Der Tag des Spatzen“ zwei Größen, die zunächst nichts miteinander zu tun haben, aber hartnäckig miteinander konfrontiert werden. Irgendwann kreuzen sie sich, machen als Paar zusammen Sinn, auch wenn ihre Allianz bis zuletzt irritiert. Als einen „politischen Naturfilm“ hat der Berliner Regisseur Philip Scheffner seinen Film bezeichnet; genauer gesagt ist „Der Tag des Spatzen“ ein Film über Politik, der sich die Methoden der Naturbeobachtung (genauer: Ornithologie) zunutze macht. Die Gleichzeitigkeit disparater Ereignisse steht am Beginn dieser Geschichte. Zwei Nachrichtenmeldungen Ende 2005, beide auf derselben Seite einer Zeitung zu lesen: In Afghanistan stirbt ein deutscher Soldat bei einem Attentat. Am selben Tag wird in den Niederlanden ein Spatz erschossen, er hatte sich in die Halle der RTL-Show „Domino Day“ verirrt und eine beträchtliche Anzahl aufgebauter Domino-Steine zum Umstürzen gebracht. Eine Kettenreaktion, die natürlich kaum nach Afghanistan führt, aber zumindest die Fährte legt, dass das eine mit dem anderen zu tun haben könnte. Allmählich entfernt sich die Erzählung vom „Dominospatz“, bewegt sich weiter, scheint dabei aber ihren Weg noch zu suchen. Ein „Vogelbeseitiger“ taucht auf, der mit der Präzision eines Scharfschützen nistende Vögel in einer Unterführung zur Strecke bringt. Lautlos stakst ein Graureiher durchs Bild und verschwindet hinter einem Auto, später erfährt man, dass Vögel den militärischen Flugverkehr behindern, weil sie in die Triebwerke der Flugzeuge geraten. Der Flugplatz ist schließlich auch der Ort, an dem das Vogel- und Kriegsthema zum ersten Mal wirklich aufeinander treffen. Denn in der vermeintlichen Idylle von Naturschutzgebieten, wo sich Vogelbeobachter ganz ihrem friedlichen Hobby widmen, sind auch die Vorbereitungsplätze des Krieges zu finden – die Bundeswehr übt hier ihre Manöver. Doch während Spatzen und andere Vögel in diesem Film ganz konkrete Objekte der Beobachtung sind und auch immer wieder in den Fokus der Kamera – oder des Fernglases – geraten, ist der Krieg, den Deutschland in Afghanistan führt, gespenstisch abwesend, abstrakt. Dialoge aus zufälligen Begegnungen kreisen wiederholt um die Frage, wo sich die Grenze zwischen Krieg und Frieden festmachen lässt, wo der Krieg sichtbar wird. Doch der Blick fällt immer wieder nur auf menschenleere Landschaften, auf Vogelschwärme, Wiesen und Büsche – der Widerspruch von Sichtbarkeit auf der einen und Abwesenheit auf der anderen Seite bleibt unauflösbar. „Der Tag des Spatzen“ ist deshalb ein Film, der „gezielt“ sein Ziel verfehlt, diese Verfehlung jedoch produktiv zum Thema macht. Schließlich integriert der Film gar sein eigenes „Making of“. Der Regisseur hatte bei der Bundeswehr angefragt, ob sie seinen Film unterstützen würde. Zunächst ließ sich die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit auf Gespräche ein, lehnte dann aber eine Beteiligung ab, was im Film in Form von E-mails, Memos und Telefonaten zu hören und zu lesen ist. Die Absage klingt ungewöhnlich vorsichtig, fast ängstlich: „Das wird überhaupt nicht honoriert, wenn wir Fragen stellen. Und meine Erwartung wäre eher, wenn wir zeigen, dass wir solche Diskussionen führen und Fragen stellen, dann ist das nicht gut für unser Image“. Im letzten Teil schlägt der Film unvermutet eine politaktivistische Richtung ein. Erzählt wird, wie ein Freund des Filmemachers auf einer Landstraße in Brandenburg verhaftet wurde; der Antikriegsaktivist steht nun gemeinsam mit zwei Mitstreitern unter Terrorismusverdacht vor Gericht. Die Erzählung der Verhaftung und des darauf folgenden Prozesses lässt zwar die Willkür und Überreaktion der Staatsgewalt erahnen, wird aber bewusst im Nebulösen gehalten. Scheffner und sein Freund, halb versteckt unter Büschen, scheinen nun selbst das Objekt der Beobachtung zu sein, schließen in dieser Komplizenschaft aber auch den Zuschauer ein Stück weit aus. Am überzeugendsten ist „Der Tag des Spatzen“, wenn er stur in der Perspektive des Ornithologen verharrt und das Nebeneinander von zivilem Leben und Militär ganz beiläufig einfängt, so wie am Ende des Films. Ein Truppenübungsplatz direkt an der Ostsee, zwischen Segelhafen, Campingplatz und Naturschutzgebiet: Während die Kamera auf das türkisblaue Wasser gerichtet ist, sind in der Ferne Raketeneinschläge zu sehen. Hier wird für den Krieg geübt.
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