Turistas (2009)

Road Movie | Chile 2009 | 104 Minuten

Regie: Alicia Scherson

Auf dem Weg in den Urlaub wird eine Frau nach einem Streit von ihrem Mann zurückgelassen und strandet mit einem jungen Rucksack-Touristen in einem Nationalpark. Sie lernt Flora, Fauna und andere Menschen kennen und sinniert mit ihnen über das Leben, die Liebe und die eigene Identität. Zwischen Melancholie und heiterer Gelassenheit schwebend, ist der Film eine poetisch-lakonische "Naturstudie", die liebevoll beobachtet, ohne zu (ver-)urteilen, und ein bitter-süßes Bild der Schönheiten und Verunsicherungen menschlicher Existenz zeichnet. (O.m.d.U.) - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
TURISTAS
Produktionsland
Chile
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
La Ventura/Visions Sud Est
Regie
Alicia Scherson
Buch
Alicia Scherson
Kamera
Ricardo DeAngelis
Musik
Philippe Boisier
Schnitt
Soledad Salfate
Darsteller
Aline Küppenheim (Carla) · Marcelo Alonso (Joel) · Diego Noguera (Ulrik) · Pablo Ausensi (Orlando) · Viviana Herrera (Susana 1)
Länge
104 Minuten
Kinostart
01.12.2011
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Road Movie
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Sie sei „torpe“, linkisch. So beschreibt sich Carla gegenüber ihrem neuen Bekannten Ulrik selbst, und als der Norweger nicht versteht, was die Chilenin meint, erklärt sie: Sie mache alles irgendwie verkehrt, kompliziert. Was sie damit meint, davon hat man an dieser Stelle bereits eine Ahnung, bietet doch die Eingangssequenz ein drastisches Beispiel dafür, wie verkehrt Carla bestimmte Dinge anpacken kann: Die 37-Jährige befindet sich mit ihrem Ehemann auf der Fahrt in den Urlaub, als sie damit herausrückt, dass sie das gemeinsame Baby, auf das sich ihr Mann offensichtlich gefreut hat, abgetrieben hat. Der ist verständlicherweise zutiefst verletzt, und zwar so sehr, dass er Carla bei der nächsten Pause einfach am Straßenrand zurück lässt. Als sie verstanden hat, dass er nicht mehr zu ihr zurückkommen wird, sucht sie eine Mitfahrgelegenheit zum nächsten Ort und trifft so auf Ulrik, einen jungen Rucksacktouristen. Die beiden tun sich zusammen: Statt auf dem schnellsten Weg zurück nach Santiago zu reisen, begleitet Carla Ulrik in einen Nationalpark, wo die beiden einige Tage zelten, Flora und Fauna bestaunen, sich näher kommen und Carla zudem Kontakte zu anderen Leuten knüpft: zu dem älteren Parkwächter Orlando, der früher einmal ein One-Hit-Wonder war und nun Carla in die Artenvielfalt des Waldgeländes einführt, sowie zu zwei jungen, schwarzgekleideten Frauen, die im örtlichen Lebensmittelladen arbeiten und beide Susanna heißen. Genau genommen, ist „Turistas“ ein Film über eine Frau in der Midlife-Krise, die gerade dabei ist, ihre Ehe zu ruinieren. Regisseurin Alicia Scherson (vor Beginn ihrer Karriere als Filmemacherin Biologin) inszeniert dies jedoch nicht als Drama und schon gar nicht als Abrechnung mit ihrer verunsicherten Heldin, sondern als liebevolle „Naturbeobachtung“: Das Kameraauge ruht geduldig und teilnahmsvoll auf den diversen menschlichen, tierischen und pflanzlichen Kreaturen, die diesen zart zwischen Melancholie und heiterer Gelassenheit schwebenden Film bevölkern. Die schön singenden Waldvögel lässt Scherson dabei genauso gelten wie die wenig anziehende Vogelspinne. Die Frage nach dem richtigen Leben und Lieben, danach, wie man sich selbst (er-)findet und sich einrichten soll im eigenen Dasein, treibt nicht nur die am Straßenrand gestrandete Carla um, sondern auch die anderen Figuren, die alle auch etwas „neben der Spur“ erscheinen: Ulrik weiß nicht so genau, ob er hetero- oder doch eher homosexuell ist, Orlando leidet unter seinem Alter und darunter, dass bestimmte Fehler nicht ungeschehen gemacht werden können; die Zwillinge streiten darüber, wie vernünftig oder unvernünftig die Liebe sein sollte. Die Regisseurin allerdings fragt nicht nach „richtig“ oder „falsch“, sie urteilt nicht: Ihr Film überlässt sich den Begegnungen dieser Menschen miteinander sowie mit der Natur. Es geht nicht darum, ob Carla nun „geläutert“ wird oder nicht, welche Weichen sie und die anderen Figuren für ihren weiteren Weg stellen, sondern um ein Innehalten, ums Hinsehen und Zuhören und Lebendig-Sein. Ähnlich wie in „Play“ (fd 38 079), dessen lakonisch-poetischer Tonfall hier wieder aufgegriffen wird, interpretiert Scherson das „Auf-Abwege-Geraten“ ihrer weiblichen Hauptfigur nicht als Katastrophe, sondern als sozusagen natürlichen Prozess. Der Nationalpark, in dem der Film spielt, ist in dieser Hinsicht ein bezeichnender Schauplatz: In Schersons Film entfaltet sich das Leben als wildwucherndes Wunderland, in dem alle Irrende und Abenteurer sind.
Kommentar verfassen

Kommentieren