Drama | Österreich 2009 | 92 Minuten

Regie: Peter Kern

Ein homosexueller Jugendlicher schließt sich einer Neonazi-Gruppe an. Als er im Rahmen eines Initiationsrituals einen Mann tötet, findet er Zuflucht bei einem älteren, ebenfalls homosexuellen Wäschereibesitzer. Dieser trägt ein Trauma aus seiner Vergangenheit als Hitlerjunge mit sich herum. In einem Mix aus Sozialkritik und Bühnenästhetik stellt der Film den Körperkult der (Neo-)Nazis und schwule Selbstinszenierungen einander gegenüber, wobei sich beide Welten durchaus ähneln, obwohl sie gleichzeitig diametral entgegengesetzt sind. In der Konfrontation von repressiver Aggressivität mit ihrem spielerisch-freien Gegenentwurf entsteht ein irritierend-sperriges, gleichwohl aber überzeugendes Drama.
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Filmdaten

Originaltitel
BLUTSFREUNDSCHAFT
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Novotny & Novotny Filmprod.
Regie
Peter Kern
Buch
Peter Kern · Frank Maria Reifenberg
Kamera
Peter Roehsler
Musik
Boris Fiala · Andreas Hamza
Schnitt
Petra Zöpnek
Darsteller
Helmut Berger (Gustav Tritzinsky) · Harry Lampl (Axel) · Melanie Kretschmann (Christina Thürmer) · Michael Steinocher (Lippi) · Manuel Rubey (Snoopy)
Länge
92 Minuten
Kinostart
23.09.2010
Genre
Drama
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Diskussion
Dass es schwule Neonazis gibt, ist nichts Neues, so merkwürdig es angesichts der aggressiven Homophobie in der Szene auch anmuten mag. Auch die vage These, dass sich unter dem martialischen Körperkult rechtsradikaler Männerbünde eine unterschwellige Homoerotik verbirgt, ist nicht neu. Der Theater-erfahrene und Fassbinder-erprobte österreichische Schauspieler und Regisseur Peter Kern greift sie in „Initiation – Blutsfreundschaft“ auf, um zwei zeitlich getrennte Handlungsstränge miteinander zu verknüpfen. Während des Zweiten Weltkrieges waren die Hitlerjungen Gustav und Hannes ineinander verliebt. Sie schlossen Blutsfreundschaft, küssten sich und wurden dabei von einem Kameraden entdeckt. Mit demselben Messer, mit dem sie eben noch den Bund fürs Leben besiegelten, stachen sie ihn nieder. Gustav wollte das eigentlich gar nicht, doch dann schoss der Kamerad mit einem Revolver und alles ging ganz schnell. Mehr als 60 Jahre später, Gustav ist mittlerweile 80 Jahre alt und betreibt in einer österreichischen Stadt eine Wäscherei, scheinen sich die Geschehnisse von damals zu wiederholen; freilich in einer zeitgemäßen Variante. Der junge, heimlich schwule Axel schließt sich auf der Suche nach Halt und Freundschaft einer Skinheadbande an. Doch bevor er bei den braun gesinnten Glatzköpfen aufgenommen wird, muss er sich mehreren Initiationsriten unterziehen. Beim Überfall auf eine mobile Essensausgabe soll er vor den Augen der anderen einen Sozialarbeiter niederstechen. Axel möchte das eigentlich nicht, er zögert, mit dem Messer in der Hand. Doch dann geht alles ganz schnell, jemand stürzt, Axel verliert das Gleichgewicht, und das Unglück nimmt seinen Lauf. Später, in ihrem Treff, halten die „Kameraden“ Axel fest, ziehen ihm das T-Shirt hoch, schneiden mit einem Messer über seinen Bauch und zelebrieren so ihre Form der Blutsfreundschaft. Verbunden werden die beiden Handlungsstränge, als Axel bei Gustav Unterschlupf findet. Gustav erkennt in dem Jungen sich selber wieder, Axel findet in ihm eine Vaterfigur. Auch mit der jungen Mann-Frau-Transsexuellen Christina freundet sich Axel an. Natürlich dauert es nicht lange, bis diese beiden Lebenswelten in einen dramatischen Konflikt geraten. Kern inszeniert das von Klischees umwitterte Geschehen keineswegs sozialrealistisch. Stattdessen verlegt er die Handlung in ein oftmals betont theatralisches Setting. Die augenfälligen Kulissen verleihen so beispielsweise den Sequenzen aus der Nazizeit, die als Gustavs Erinnerungsfragmente wiederholt eingestreut werden, einen bühnenartigen Charakter, den die Inszenierung mitunter noch zusätzlich unterstreicht. So etwa, wenn eine bleich geschminkte NS-Aufseherin in Richtung Kamera spricht und die enttarnten homosexuellen Hitlerjungen bedroht. Der krude Mix aus Sozialkritik und Bühnenästhetik erinnert nicht zufällig an die Filme Christoph Schlingensiefs. Kern hat als Schauspieler mehrfach mit Schlingensief zusammengearbeitet. Während Schlingensief seine Filme aber auf provozierende Weise gezielt ins Groteske, Schrille, Trashige abgleiten ließ, steht „Initiation – Blutsfreundschaft“ stets auf der Kippe. Gelegentlich schlägt sich das im Bild in schrägen Kamerawinkeln oder ungewöhnlichen Vogelperspektiven nieder, meist aber dominiert ein ruhiger, unauffälliger Erzählrhythmus. Melancholische österreichische Chansons bereichern den zwischen den Stilen oszillierenden Film mal um Musical ähnliche Einlagen, mal um poetische Momente. Anders als Schlingensief, der seine Darsteller als leibgewordene Karikaturen auftreten ließ, setzt Kern auf psychologisches Spiel. Was zumindest in den Hauptrollen durchaus überzeugt. Helmut Berger verleiht dem distinguierten Gustav in einem seiner selten gewordenen Kinoauftritte einen hintergründigen Charme, auch wenn er mit seiner präzise artikulierten Redeweise nicht ganz von dieser Welt scheint. Ähnliches gilt für Melanie Kretschmann, die Christina, obwohl vom ganz irdischen Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung getrieben, als ein ebenso charismatisches wie ätherisches Wesen interpretiert, das auf faszinierende Weise über den Dingen zu schweben scheint. Gänzlich der Wirklichkeit entrückt ist Christina jedoch ebenso wenig wie Kerns irritierender, sperriger, zugleich aber erschreckend wirklichkeitsnaher und diskussionswürdiger Film, in dessen Mittelpunkt mit Alex ein ziemlich handfester, greifbarer Charakter steht: ein Jugendlicher auf Abwegen.
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