- | Deutschland 2010 | 97 Minuten

Regie: Tatjana Turanskyj

Eine arbeitslose, etwa 40-jährige Architektin befindet sich sozial und menschlich im freien Fall. Ihr Versuch, in einem Call-Center zu arbeiten, scheitert ebenso wie die Kontaktaufnahme zu ihrem Sohn, von dem sie sich entfremdet hat. Mit überhöhter Sprache und einer offenen Dramaturgie, die die Figur bei ihrer Odyssee durch Berlin begleitet, gibt sich das Porträt als politisch-soziologischer Thesenfilm um die Situation von Frauen in der Arbeitswelt und Berlins neuer bürgerlicher Mitte. Vor allem dank der überzeugenden Hauptdarstellerin entsteht daraus ein spannender Diskurs um gesellschaftliche Ansprüche und persönliche Entfaltungsmöglichkeiten. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Turanskyj & Ahlrichs
Regie
Tatjana Turanskyj
Buch
Tatjana Turanskyj
Kamera
Jenny Barth
Musik
Niels Lorenz
Schnitt
Ricarda Zinke
Darsteller
Mira Partecke (Greta) · Katharina Bellena (Loretta) · Laura Tonke (Ann) · Sven Seeger (Tänzer) · Torsten Haase (Tänzer)
Länge
97 Minuten
Kinostart
06.01.2011
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Filmgalerie451 (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Ein Diskurs-Film über die Situation von Frauen in der heutigen Arbeitswelt, eine bissige Farce über Berlins neue bürgerliche Mitte, ein Drama um eine vereinsamte, haltlose Frau, der sogar ihr eigener halbwüchsiger Sohn ins Gesicht sagt, dass er sie für eine „Loserin“ hält: Tatjana Turanskyjs Spielfilmdebüt will vieles, vielleicht zu vieles. Dass das alles dennoch funktioniert, liegt nicht zuletzt an der Hauptdarstellerin Mira Partecke, die wie ein leckgeschlagenes Boot durch Berlin schlingert, wobei man ihrem Mäandern gerne folgt, auch wenn die einzelnen Erzählfragmente nicht unbedingt zusammen passen und schon gar kein stimmiges Bild ergeben – vielleicht ist das aber tatsächlich die einzig richtige Art und Weise, wie man von der Frau, um die es hier geht, erzählen kann. Schon der Kontrast zwischen Parteckes spröder, kantig-fragiler Erscheinung, gehüllt in einen dezent punkigen 1980er-Retro-Look, und der hellen, mädchenhaften Stimme irritiert. Sie spielt Greta, um die 40, früher Freelancerin in einem Architekturbüro, nun seit mehreren Monaten arbeitssuchend. Eine flexible Frau? Ihre Betreuerin in einer Arbeitsagentur, die sie fit machen will für den Arbeitsmarkt, findet das nicht, und auch nicht die Chefin in dem Call-Center, in dem Greta kurzfristig anheuert und wo sie Fertighäuser an den Mann bringen soll: Greta sei nicht „geschmeidig“ genug, sie verkaufe sich nicht genügend, sie wirkte nicht so, als würde sie „funktionieren“. Tatsächlich scheint das unerträglich phrasenhafte Marketing-Deutsch, in dem sich die beiden durch und durch professionellen, durch und durch unmenschlichen Business-Puppen ausdrücken, Greta geradezu sprachlos zu machen. Dabei kann sie unter anderen Umständen ganz schön eloquent sein: Als sie beispielsweise Fotos von einer Berliner „Privatstraße“ schießt, einem gepflegten Quasi-Ghetto für Latte-Macchiato-Mütter und ihre Familien, und sie von einer dieser Mütter deswegen empört angegangen wird, polemisiert sie in einer messerscharfen Satzkaskade gegen die Enteignung des öffentlichen Raums, gegen eine neue Architektur, in der sich die soziale Abgrenzung der bürgerlichen Mitte manifestiert. Entworfen vielleicht von einem ihrer alten Studienkollegen aus ihrer Zeit als hoffnungsvolle Jungarchitektin. Die Freundlichkeit, mit der Greta in deren Kreis bei einer Party behandelt wird, entpuppt sich schnell als brüchig, sobald sie es wagt, bei der Jobsuche konkret um Hilfe zu bitten: Der freie Fall, in den Greta geraten ist, haftet wie ein Makel an ihr, mit dem sich niemand infizieren will. Die Frau und die Stadt: Dass dieses neue Berlin Greta geradezu ausspuckt, suggerieren Szenen der Rahmenhandlung zu Beginn und am Ende des Films, wo es Greta an die Peripherie treibt und sie sich als dunkle, hohe Gestalt wankend und schwankend über Stoppelfelder bewegt, umdröhnt vom Lärm des nahen Flughafens. Aber weggehen aus Berlin? Auch daran scheitert Greta. Eine Exkursion Richtung Oberhausen – offensichtlich stammt Greta von dort, denn es gibt eine unschöne Begegnung mit einer alten Schulfreundin – eröffnet auch keine Alternative: Die Handlungsspielräume, die sich (Frauen) bieten, scheinen überall ähnlich beschränkt zu sein. Gretas „Familientragödie“, die Entfremdung von ihrem Teenager-Sohn, mit der sarkastischen, überspitzten, politisch-soziologischen Bestandsaufnahme eines Frauen(arbeits)lebens in Relation zu setzen, funktioniert nur bedingt. Zwar gelingen schmerzhaft-intensive Momente, die Gretas wortloses Leiden an der Zurückweisung durch ihr Kind zeigen, jedoch macht der Film mit diesem Thema „ein Fass auf“, das er nicht annähernd auszuloten vermag und bei dem sich fast schon notgedrungen der Eindruck von Oberflächlichkeit einstellt. Abgesehen davon ist Turanskyjs Debüt dennoch in seiner ehrgeizigen Thesenhaftigkeit, die gleichwohl mit einem sensiblen Gespür für die Inszenierung von Raum und Körpern operiert, eine durchaus fesselnde Arbeit, durch die etwas vom gesellschaftskritischen Kino der 1970er-Jahre, etwa einer Helke Sanders-Brahms oder auch eines John Cassavetes, zu wehen scheint.
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