Le premier venu

- | Frankreich/Belgien 2008 | 121 Minuten

Regie: Jacques Doillon

Eine junge Frau beschließt, ihre Liebe dem Erstbesten zu schenken, der ihrer bedarf. Dabei handelt es sich just um einen wenig zugänglichen Kleinkriminellen, der ihr ihre Zuwendung schlecht dankt. Trotzdem bleibt die Frau ihrem Vorhaben treu, obwohl auch ein Polizist ihr zugetan ist, und setzt damit Ereignisse in Gang, die sie nicht kontrollieren kann. Der Film lässt den Aktionismus seiner Charaktere ins Leere laufen, ohne selbst in dramaturgischen Leerlauf zu verfallen. Vielmehr konturiert er in bestechenden Dialogsequenzen und dank mitreißender Darsteller eine vergnügliche Dreiecksgeschichte von reizvoller Offenheit. (O.m.d.U) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LE PREMIER VENU
Produktionsland
Frankreich/Belgien
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Liaison Cinématographique/Artémis Prod.
Regie
Jacques Doillon
Buch
Jacques Doillon
Kamera
Hélène Louvart
Schnitt
Marie Da Costa
Darsteller
Clémentine Beaugrand (Camille) · Gérald Thomassin (Costa) · Guillaume Saurrel (Cyril) · Gwendoline Godquin (Gwendoline) · Jany Garachana
Länge
121 Minuten
Kinostart
03.02.2011
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Ist das nicht großartig, wie ein Film, der auf das Enervierendste auf der Stelle tritt, so viel Bewegung vermittelt! Der kleine Mann, dem man an einem Bahnhof in der nordfranzösischen Provinz begegnet, kann einem leid tun. Er wird von einer jungen Frau verfolgt und bedrängt, die ihm vorwirft, sie vergewaltigt zu haben. Ihm – er heißt Costa und ist ein hyperaktiver Kleinkrimineller – ist das alles zu kompliziert: Erst wollte sie – und dann wieder nicht. Wer soll sich da noch auskennen? Costa wird im Laufe von „Le premier venu“ noch ganz Erstaunliches mit Camille erleben, denn die junge Frau hat beschlossen, ihre Liebe zu verschenken. Und zwar, wie im Märchen, an den ersten Mann, der ihr begegnet. Jetzt hat Costa Camille am Hals, aber er hat auch noch eine gescheiterte Beziehung und eine Tochter, die er viel zu lange nicht sehen durfte. Nimmt es wunder, dass Costa vor der insistierenden Camille zunächst buchstäblich die Flucht ergreift und die Beine in die Hand nimmt? Doch Camille entkommt man nicht so schnell! Wenig später begegnet die junge Frau dem Polizisten Cyril, dem sie sofort von ihrer unangenehmen Begegnung mit Costa erzählt. Man ist auf dem Dorf; hier kennt jeder jeden, und so ist es nicht weiter erstaunlich, dass Cyril Camille vor dem Nichtsnutz Costa warnt. Gleichzeitig ist er von der jungen Frau fasziniert – und Costa kennt er ja eh. Denkt man jetzt noch ein, zwei Figuren hinzu, dann hat man das Szenario von „Le Pemier Venu“ beisammen. Nach vielen Jahren, in denen es hierzulande um Jacques Doillon sehr ruhig geworden war (sein letzter Film, der in Deutschland einen Verleih fand, war 2002 „Ich habe dich nicht um eine Liebesgeschichte gebeten“, fd 35 535), kommt endlich wieder ein Werk von ihm in die Kinos. Allerdings ist „Le premier venu“ schon etwas älter, der Film stammt von 2008. Wer frühere Filme Doillons kennt, wird sich schnell zuhause fühlen. Geradezu aufreizend jenseits möglicher Action entwirft „Le premier venu“ eine aberwitzige Choreografie einer schier endlosen Abfolge von Gesprächen zu zweit oder zu dritt. Camille glaubt zwar zu wissen, wohin mit ihrer Liebe. Aber Costa ist ein denkbar widerspenstiges Objekt – nicht des Begehrens, eher der Fürsorge. Und Camille ist nur scheinbar souverän, verliert wiederholt die Kontrolle über den Gang der Dinge, den sie doch initiierte. Obwohl der Verlauf der Handlung mitunter nur um Haaresbreite an einem Kleingangster-Film vorbei schrammt, insbesondere, wenn Costa ganz aufregt mit einem Klappmesser hantiert, erscheinen der Kleinkriminelle und der Polizist doch eher als Rivalen um die Zuwendung Camilles. Die wiederum lässt alles schön in der Schwebe, lässt die anderen über ihre diffusen Gefühle und wirren Pläne im Unklaren, spinnt Intrigen, die sie selbst nicht versteht. Costa träumt von einem Neuanfang in Kanada, obwohl er von diesem Land nichts weiß; viel mehr aber träumt er von seiner kleinen Tochter, die er nicht mehr sehen darf. Camille begreift irgendwann, dass sie Costa wieder mit seiner Ex-Familie aussöhnen muss. Zuvor wird jedoch noch ein schmieriger Immobilienmakler ausgenommen. Allmählich verkomplizieren sich die Dinge. Auch, weil keine der Figuren so richtig weiß, was sie will. Der Kleinkriminelle würde gerne sein Privatleben geregelt bekommen, der Polizist, der keine Uniform trägt, kann sich nicht so recht entscheiden, ob er als Amtsperson oder als Verliebter im Spiel bleiben soll. Und Camille scheint mal überrascht und dann wieder sehr berechnend angesichts der Dinge, die sie ins Rollen gebracht hat. Außerdem nehmen sich die Figuren unendlich viel Zeit, um sich nochmals in aller Ruhe hinzusetzen, und ein Gespräch zu führen. Kein klärendes, versteht sich. So entwickelt sich „Le premier venu“ zum Schatten eines Genrefilms, der es mit jedem Sommerfilm Eric Rohmers aufnehmen kann. Aber bei Doillon ist selbst die Jahreszeit, in der der Film spielt, unbestimmt. Das Wetter scheint schön, aber die Darsteller tragen Übergangskleidung. Alles scheint hier, an der fast menschenleeren Küste, im Fluss. Dass trotz der immer wieder ausgestellten Hektik letztlich kaum etwas geschieht, was irgendeine Konsequenz hätte, ist nicht etwa langweilig, sondern entwickelt einen ganz eigenen Reiz. Man könnte der aufregenden Entdeckung Clémentine Beaugrand ewig bei ihrem merkwürdigen Hin und Her zuschauen, auch Gérald Thomassin ist mit seiner quirligen Dauerüberforderung, sein nur halbherzig vertretenes Gangster-Image irgendwie heil über die Runden zu bringen, ein immenses Sehvergnügen. Was als romantische Idee begann und zu einem sexuellen Übergriff und allerlei anderen kriminellen Handlungen führt, löst sich irgendwann gemäß der Logik der Paarbildung auf und gipfelt in Costas Vorschlag, Cyril könne das Paar – Costa ahnt noch nicht, woher der Wind weht – ja nach Kanada begleiten: Zu dritt mache schließlich alles mehr Spaß! Dass er damit richtig liegt, beweist „Le premier venu“.
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