The Green Wave

Dokumentarfilm | Deutschland 2010 | 82 Minuten

Regie: Ali Samadi Ahadi

Dokumentarfilm über die iranische Protestbewegung gegen die Wahlmanipulation der Regierung Ahmadinedschad. Mit Hilfe von Archivmaterial, Interviews mit Zeitzeugen und Texten aus Blogs nähert er sich ästhetisch wie politisch ambitioniert, dabei eindeutig Partei für die Protestierenden ergreifend, der brutal niedergeschlagenen Revolte an. Dabei gleichen klug eingesetzte Animationspassagen den vom Regime erzwungenen Mangel an Bilddokumenten aus und verdichten eindrucksvoll die Erfahrungen der von staatlicher Gewalt Betroffenen. Zugleich spricht der Film auch die Verantwortung westlicher Staaten an, insbesondere die Deutschlands. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Dreamer Joint Venture/Wizard UG
Regie
Ali Samadi Ahadi
Buch
Ali Samadi Ahadi
Kamera
Peter Jeschke · Ali Samadi Ahadi
Musik
Ali N. Askin
Schnitt
Barbara Toennieshen · Andreas Menn
Darsteller
Pegah Ferydoni · Navid Akhavan
Länge
82 Minuten
Kinostart
24.02.2011
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Lighthouse (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
„Diese Farbe ist ein Zeichen von Anwesenheit“, sagt einer der jungen Leute: Grün, im Westen die Farbe der Hoffnung und der Umwelt, im orientalischen Kulturraum zunächst einmal mit dem Islam verbunden, hat sich dort aber längst von den religiösen Konnotationen gelöst. Spätestens mit den manipulierten Präsidentschaftswahlen im Iran im Juni 2009 und der darauf folgenden „Grünen Bewegung“, die schnell zur Protestbewegung und einer „urbanen Revolte“ anwuchs, die das Mullah-Regime massiv infrage stellte, ist die Farbe Grün zum politischen Symbol des iranischen Freiheitskampfs geworden, der ersten Vorhut jenes antidiktatorischen Aufstandes, der aktuell im Mittleren Osten in vielen Staaten die politischen Systeme erschüttert. Die Geschichte der iranischen Wahl, der folgenden Revolte und ihrer Unterdrückung erzählt dieser ungewöhnliche Dokumentarfilm. Von dem in Köln lebenden, aus einer exiliranischen Familie stammenden deutschen Regisseur Ali Samadi Ahadi hätte man einen solchen Film auch deshalb zutrauen können, weil Ahadi vor seiner erfolgreichen, in subtiler Weise auch sehr politischen Integrations- und Ostalgie-Komödie „Salami Aleikum“ (fd 39 384) sich schon in seinem Debütfilm „Lost Children“ (fd 37 304) mit Kindersoldaten aus afrikanischen Kriegsregionen beschäftigt hatte. „Lost Children“ war ein harter, gleichwohl emotional nahe gehender Film. Das lässt sich auch von „The Green Wave“ sagen – allerdings ist der politisch wie ästhetisch um einiges unkonventioneller und mutiger. Ahadi steigt direkt ein und mischt Archivmaterial mit Statements von Zeitzeugen und Animationspassagen. Gerade der Einsatz von Animation macht „The Green Wave“ zu etwas Besonderem. Vor allem aber zeigt der Film vieles, was in thematisch vergleichbaren Dokumentarfilmen fehlt; denn Ahadi macht aus der Not des Dokumentaristen eine stilistische Tugend: Weil es naturgemäß keine Bilder aus den iranischen Foltergefängnissen und Todeskellern gibt, wurden diese nach den Erzählungen von Augenzeugen animiert. Das erinnert an „Waltz With Bashir“ (fd 38 978), ist detailgetreu und doch so verfremdet, dass der Eindruck eher noch stärker ist, weil ein Teil des realen Schreckens der Vorstellung des Betrachters überlassen bleibt. Da iranische Oppositionellen, die Haft und Folter überlebt haben oder unentdeckt geblieben sind, verständlicherweise niemand namentlich auftauchen sollte, werden ihre Zeugenaussagen, vor allem aber die Erzählungen und Kommentare von Bloggern zu fiktiven, in ihren Erlebnissen aber repräsentativen Kunstfiguren montiert und gebündelt. Auf diese Weise gibt der Film dem Unsichtbaren ein Antlitz, dem Unsagbaren eine Stimme. So erlebt man die Ereignisse chronologisch nacherzählt, beginnend mit dem Mai 2009, als der normale Wahlkampf zu einer Bewegung anschwoll, bis in den Herbst 2009. Man wird mit der Realität in den Gefängnissen des Regimes konfrontiert, wo Folter, Vergewaltigung, Totschlag und Mord an der Tagesordnung sind – der Schrecken ist präsent und bleibt trotz allem gebannt. Auch das mit der Bewegung verbundene Pathos, ihre politische Moral und die grundsätzliche Bedeutung des iranischen Widerstands werden herausgearbeitet. Unter den Zeitzeugen und Experten, die die konkreten Erzählungen einordnen, sind die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, der schiitische Geistliche Mohsen Kadivar, die Journalistin Mitra Khalatbari, der Menschenrechtsspezialist Payman Akhavan und der heute exilierte Mussawi-Wahlhelfer Mehdi Mohseni. Sie alle transportieren die unmittelbare Erfahrung der Iraner: „Die Menschen werden sich daran ihr Leben lang erinnern.“ Ahadi hält Abstand zu den Ereignisse, räumlich wie zeitlich; dennoch ist sein Film spürbar vom Eindruck der Ereignisse, von der politischen Leidenschaft, anfänglicher Begeisterung und radikaler Enttäuschung geprägt. „The Green Wave“ ist ein ambitionierter Film, und er löst diese Ambition weitgehend ein: Ein politisches Manifest, voller Anteilnahme, voller – nicht nur aus der Herkunft des Regisseurs verständlicher – Parteilichkeit und dennoch eine präzise Dokumentation. In mehrfacher Hinsicht weist der Film über das, was er dokumentiert, auch hinaus: ästhetisch, indem er mit Animation arbeitet, politisch, denn man kann ihn nicht sehen, ohne aufgewühlt und wütend zu werden, ohne Teilnahme mit den Revoltierenden zu empfinden und Mitleid für Leiden und Opfer. Man kann ihn als Deutscher auch nicht sehen, ohne die Anklage zu beherzigen, die der Film transportiert: die Anklage der Ignoranz des Westens, dessen Komplizenschaft mit den iranischen Behörden und des Widerspruchs zwischen Presseerklärungssolidarität und dem Faktum, dass die iranischen Behörden den Aufstand ohne deutsche Überwachungs- und Abhörtechniken kaum hätten niederschlagen können. Daher gilt dieser Film auch der Situation hierzulande: „The Green Wave“ ist ein Film von Deutschen für Deutsche.
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