Im Weltraum gibt es keine Gefühle

- | Schweden 2010 | 85 Minuten

Regie: Andreas Öhman

Ein junger Mann mit Asperger-Syndrom wird von seinen Eltern zu seinem älteren Bruder und dessen Verlobter geschickt, die ihn aus seinem selbstgewählten Schneckenhaus herauslocken sollen. Als der Bruder seinerseits in eine Krise stürzt, gelingt es dem Sonderling, mit Hilfe einer liebenswürdigen jungen Frau Anschluss an seine Umwelt zu finden. Eine erfrischend unkonventionell erzählte Tragikomödie, die originell die Innenwelt der Figuren spiegelt. Ebenso spielerisch wie unterhaltsam geht sie das Thema der Behinderung an und überzeugt auch dank der vorzüglichen Darsteller. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
I RYMDEN FINNS INGA KÄNSLOR
Produktionsland
Schweden
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Naive/Sonet Film/Scenkonst Västernorrland/Dagsljus/Ljud & Bildmedia
Regie
Andreas Öhman
Buch
Jonathan Sjöberg · Andreas Öhman
Kamera
Niklas Johansson
Musik
Josef Tuulse
Schnitt
Mikael Johansson · Andreas Öhman
Darsteller
Bill Skarsgård (Simon) · Cecilia Forss (Jennifer) · Martin Wallström (Sam) · Sofie Hamilton (Frida) · Susanne Thorson (Jonna)
Länge
85 Minuten
Kinostart
24.11.2011
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Wenn schon „Krüppel im Film“, dann „Superkrüppel“! Solche wie etwa der blinde Anwalt in der Comic-Adaption „Daredevil“ (fd 35 858): Der tritt trotz seiner Blindheit und dank außergewöhnlicher Kräfte als mutiger Rächer auf. Auch der von Dustin Hoffman gespielte Autist aus „Rain Man“ (fd 27 420) ist zwar in Alltagsdingen vollkommen hilflos, erweist sich aber als verblüffender Gedächtniskünstler. Mit seinem Begriff des „Supercrip“ hat der englische Kulturkritiker Paul Darke darauf hingewiesen, dass Behinderte in den Medien meist mit exorbitanten Fähigkeiten punkten müssen, um der Aufmerksamkeit des Zuschauers würdig zu sein: Steht deine Leinwandtauglichkeit in Frage, brauchst du eine Geheimwaffe, ein Alleinstellungsmerkmal – sonst wirst du aussortiert. Andreas Öhmans Coming-of-Age-Film ist die wohltuende Ausnahme von der weithin immer noch vorherrschenden „Supercrip“-Regel. Sein Protagonist Simon leidet am Asperger-Syndrom, einer leichten Form von Autismus. Ein hübscher Junge, etwas über 20, intelligent, aber kein Überflieger in irgendeiner Kategorie, in der andere Normalwerte erreichen. Zwar lernt man Simon als Raumfahrer kennen, aber solche Takeoffs finden nur in seiner Vorstellungswelt statt. In Momenten der Überforderung schlüpft Simon in einen alten, zum Raumschiff umgebauten Blechofen und taucht in einem fantasierten Orbit ab. Simons Eltern scheitern an dem Versuch, den Sohn aus seiner Diogenes-Tonne herauszuziehen, und so wird die Raumkapsel samt lebender Fracht Simons älterem Bruder überstellt, der gerade mit seiner Freundin zusammengezogen ist. Sam weiß, wie man Simon mit englisch gesprochenen Sprechfunksignalen aus dem Gehäuse lockt. Eine Phase des prekären Gleichgewichts beginnt. Der Gast, der auf Berührungen abwehrend reagiert, benötigt allerdings einen penibel durchorganisierten Tagesablauf. Sein Essen muss rund oder zumindest kreisförmig sein. Simon liebt Kreise, weil sie die perfekte Harmonie verkörpern. So wird das Kreismotiv zur zentralen Metapher des Films; in Form von Diagrammen und anderen Zeichen werden Simons Gedanken, Konzepte und Obsessionen in die Handlung integriert. Eine schöne Idee sind die verschiedenen „Smiley“-Logos, die wechselweise immer dann aufpoppen, wenn sich Simon anhand der Mundwinkelkrümmung einer Person die Stimmung seines Gegenübers klarmachen muss. „Im Weltraum gibt es keine Gefühle“ ist vor allem auch ein Film über Sprache und ihr Scheitern, darüber, wie wenig selbstverständlich kommunikative Übereinkünfte und der Zusammenhang zwischen Gesagtem und Gemeintem sind. Simon nimmt alles wörtlich. Versteht sich, dass Sam und seine Freundin einiges aushalten müssen. Als gerade deshalb die Beziehung scheitert und Sam in Depressionen verfällt, wird Simon aktiv: Auf rührend-ungeschickte Weise macht er sich auf, eine passende neue Freundin für seinen Bruder zu finden. Mittels eines selbst entwickelten Fragebogens hakt Simon diverse Kandidatinnen ab, bis die blonde Jennifer in seinen Radius gerät. Der gelingt es, Simon aus dem Teufelskreis von Pedanterie und Fluchtreflex herauszuhelfen, womit sie sich letztlich eher als seine denn als Sams Idealpartnerin empfiehlt. Um Simon zu erklären, wie Stimmungswechsel beim Menschen funktionieren, bedient sich Jennifer des Kreismodells: Im Uhrzeigersinn, erklärt sie, könne ein Hochgefühl ziemlich schnell in Traurigkeit abrutschen. Andersherum folge dem Missmut manchmal sekundenschnell die Euphorie. Diesem Grundmodell folgt der ganze Film, der durch das Auf und Ab zwischen ausgelassenem Witz und Nachdenklichkeit charakterisiert ist. Das wird durch die Farbdramaturgie gestützt, die zwischen bunten und entsättigten Tönen schwankt. Die überzeugenden Darsteller tragen das Ihre zum Gelingen des Films bei, der kein kompliziertes Drama ist, eher eine Komödie der Komplikationen. Spielerisch geht er an belastende Beschränkungen heran, und das macht ihn sympathisch und unterhaltsam.
Kommentar verfassen

Kommentieren