Stille Seelen

Road Movie | Russland 2011 | 77 (24 B./sec.)/74 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Alexej Fedorchenko

Nach dem Tod seiner Frau bittet ein Papierfabrik-Besitzer deren Liebhaber, mit ihm gemeinsam ihre Leiche zu überführen, um sie nach Sitte des finno-ugurischen Volks der Merja zu bestatten. Auf der langen Fahrt durch Herbstlandschaften erinnern sich die Männer an die Tote und erzählen sich nach Stammessitte intimste Dinge aus ihrem Liebesleben. Das prächtig fotografierte enigmatische Road Movie feiert die Kunst des spintisierenden Erzählens und verdichtet sich zur Ode an die Liebe und die Freundschaft. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
SILENT SOULS - OVSYANKI | OVSYANKI
Produktionsland
Russland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Memento Films
Regie
Alexej Fedorchenko
Buch
Denis Osokin
Kamera
Mikhail Krichman
Schnitt
Sergej Iwanow
Darsteller
Juri Tsurilo (Miron) · Igor Sergejew (Aist) · Julia Aug (Tanja) · Leisan Sitdi kowa (Rimm) · Olga Dobrina (Julia)
Länge
77 (24 B.
sec.)
74 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
15.11.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Road Movie
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Auf Leinwand lässt sich alles erzählen. Das weiß niemand besser als der russische Regisseur Alexej Fedor-chen-ko, der mit „First on the Moon“ („Perwye na Lune“), einem fiktiven Dokumentarfilm über eine vermeintliche Mondlandung anno 1938, in Venedig 2005 den Dokumentarfilmpreis gewann. Generell bezeichnet man solche verfälschten Dokumentarfilme als „Mockumentary“; Fedorchenko spricht von sich selbst als „Documenteur“. Ein wundersam wahres Doku-Märchen ist denn auch sein Film „Silent Souls – Ovsyanki“ nach einem Roman von Aist Sergejew, der im Russland von heute spielt, aber von längst vergangenen Zeiten zeugt. Erzählt wird die Geschichte zweier Männer und ihrer Liebe zur selben Frau, der eben verstorbenen Tanja. Sie war die Ehefrau und große Liebe des Papierfabrik-Besit-zers Miron; sie war aber auch dem Fotografen und Amateurschriftsteller Aist durch eine leidenschaftliche Liebe verbunden. Beim Merja-Volk, heißt es in Fedorchenkos Film postwendend, sei die freie Liebe selbstverständlich. Die Merja, so erfährt man aus dem Pressedossier, seien ein im Mittelalter in der Gegend zwischen Rostow und Moskau beheimatetes finno-ugurisches Volk gewesen; in „Silent Souls“ hört man irgendwann sogar, dass man nicht wisse, ob es die Merja überhaupt je gegeben habe. Doch deren Nachkommen erkennen sich noch heute an nur für sie wahrnehmbaren Zeichen. Selbstverständlich ist nicht nur der als Ich-Erzähler auftretende Aist, sondern auch Tanja und Miron den Merjas und ihren Traditionen verhaftet. Weil diese noch heute, von unbändiger Sehnsucht nach ihren alten Ritualen beseelt durchs Leben gehen, will Miron Tanja nach Sitte der Väter ins Jenseits entlassen und bittet Aist, ihm dabei zu helfen. In der Folge brausen die beiden gemeinsam los, nachdem sie die Leiche gewaschen und wie eine Braut geschmückt auf den Rücksitz ihres Jeeps gelegt haben. Stundenlang fahren sie durch menschenleere Herbstlandschaften zu einem See, an dem sie die Verstorbene verbrennen und ihre Asche dem Wasser übergeben wollen. Unterwegs schweigen sie oder üben sich in der Kunst des „Smokings“, bei dem – frei nach Sitte der Merja – die Hinterbliebenen nach dem Tod einer geliebten Person einander intimste Dinge aus dem gemeinsamen Liebesleben erzählen. Das alles ist eine teuflisch-tolle Story-Idee, wie der von Rückblenden durchzogene Film überhaupt eines der enigmatischsten Road Movies der letzten Jahre abspult, wenngleich er sich schon nach wenigen Minuten in eigenwilligen-melancholischen Gefilden bewegt. Sie hätten sich auf dem Rückweg verirrt, berichtet Aist, als letzter Überlebender. Unterwegs wären ihnen zwei Huren begegnet; sie seien über eine lange Brücke gefahren; und während Miron die Trauer um Tanja das Herz einschnürt, driften Aists Gedanken davon, zu anderen Verstorbenen: der Mutter, der Schwester, dem Vater. „Silent Souls“ ist ein prächtig fotografierter Film, eine wundersame Etüde über die Kunst des spintisierenden Erzäh-lens, aber auch eine Ode an die Liebe und die Freundschaft. Und ein Film voller lebensweiser Sätze, deren schönster lautet: „Frauen sind wie Flüsse, sie tragen das Leid davon.“
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