Dokumentarfilm | Schweiz 2011 | 111 Minuten

Regie: Thomas Imbach

Der Filmemacher Thomas Imbach fing im Zeitraum zwischen 1995 und 2010 vom Fenster seines Ateliers aus die Stadtlandschaften Zürichs ein. Mit Texten, die auf seinem Anrufbeantworter aufgenommen wurden und die keinen zeitlichen Bezug zu den Bildern haben, unterlegt er das Gezeigte und verdichtet das Material zu einer melancholischen Beobachtung der Veränderungen. Ein sehr persönlicher, experimenteller Dokumentarfilm, der ohne Larmoyanz Einblicke in eine Künstlerpersönlichkeit gewährt und von Wehmut und Ironie zugleich getragen wird. Darüber hinaus dokumentiert der Film, der die volle Aufmerksamkeit des Zuschauers fordert, die dramatischen Veränderungen der Bankmetropole Zürich. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
DAY IS DONE
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Okofilm/SRF/ARTE
Regie
Thomas Imbach
Buch
Thomas Imbach · Patricia Stotz
Kamera
Thomas Imbach
Musik
Peter Bräker
Schnitt
Gion-Reto Killias · Tom La Belle
Länge
111 Minuten
Kinostart
01.12.2011
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Ausblicke aus einem Atelierfenster, unweit des Züricher Bahnhofgeländes: Ein rauchender Schornstein, ein- und ausfahrende Züge, Flugzeuge auf ihrem Weg in den Himmel, das nächtliche Lichtermeer, spielende Kinder und Liebespaare, Geschäftsleute mit dicken Wagen, Jugendliche mit Skateboards und ein Portrait verschiedenster Wetterlagen und Jahreszeiten, von dramatischen Wolkengebilden über strahlende Sonnentage bis hin zu Schneegestöber und prasselnden Regenschauern. Ihr flirrendes Tropfenmuster, das sie auf die Fensterscheibe zeichnen, weist einmal mehr auf den unsichtbaren, aber allgegenwärtigen Raum hin, der den „Mann hinter der Kamera“ von der Außenwelt abtrennt. Über einen Zeitraum von mehr als 15 Jahren hat der Schweizer Filmemacher Thomas Imbach mit einer 35mm-Filmkamera dieses sonderbare Gemisch von Beiläufigem und Dramatischem, Trostlosem und lakonisch oder melancholisch Gefärbtem von seinem Atelierfenster aus gefilmt. Man sieht die Bilder einer Stadt, die sich mit der Zeit wandelt, zunächst kaum offensichtlich, dann aber doch unübersehbar – am Ende hat ein Wolkenkratzer den massiven Kamin, das ehemalige Zentrum des Ausblicks, verdrängt. Dazu hört man Nachrichten, die auf dem Anrufbeantworter hinterlassen wurden, vom Vater, der Freundin, die irgendwann zur Ex-Freundin wird, von Freunden, Flirts, Arbeitskollegen. Sie erzählen vom Urlaub, vom Wetter, von der Krankheit und dem Tod des Vaters, von Freundschaften und dem Zerbrechen einer Beziehung sowie den Höhen und Tiefen in der Laufbahn des Filmemachers – auf die Absage für eine Förderung folgen irgendwann Stimmen der Anerkennung, Filmpreise und Einladungen für Festivals, aber auch die Beschwerde eines Schauspielers über einen fehlenden Arbeitsvertrag und die Schlampigkeit seines Regisseurs. Der Adressat dieser Anrufbeantworter-Nachrichten, die Imbach zwischen den Jahren 1988 und 2003 gesammelt hat wie manch anderer seine Musikkassetten, entfaltet in „Day Is Done“ eine seltsame, ins Leere laufende Präsenz, ein ambivalentes Nebeneinander zwischen hartnäckiger Anwesenheit und geisterhafter Dauerabwesenheit. Einige Male sieht man Imbachs Spiegelbild im Fenster: ein Mann, der seine Kamera auf dem Stativ in Position bringt, die Kadrage verändert, zoomt, mehr nicht. Natürlich hat Imbach die Nachrichten dramaturgisch extrem verdichtet: durch die Auswahl, die Abfolge und das Zusammenspiel mit der dazwischen montierten Musik und mit den Bildern. Diese wirken mal dokumentarisch, gleiten zwischendurch aber auch immer wieder ins Fiktionale, wie etwa die extrem ikonisierenden Ansichten einer sich über den Parkplatz bewegenden Frau, in Slow-Motion gefilmt. Doch allen Fiktionalisierungskunstgriffen zum Trotz lassen sie das authentische Porträt eines Mannes entstehen – im Abspann wird er in Abgrenzung zu einer rein autobiografischen Lesart schlicht „T“ genannt –, der nur schwer verfügbar ist, sich entzieht. Ein egoistischer Künstlertyp, der sich im Atelier verschanzt und nicht ans Telefon geht, sich sonst wo herumtreibt. Und sich umso mehr als Projektionsfläche eignet, da er sämtliche Zuschreibungen unbeantwortet lässt. „Du bist mal wieder nicht da“, heißt es oft einleitend. Besonders bei „T’s Ex“ ruft seine Abwesenheit wiederholt Enttäuschung hervor – ein Gefühl, das mitunter auch den Zuschauer infiziert, später dann, als das gemeinsame Kind auf der Welt ist, brechen Frustration und Wut immer offener hervor. „Day Is Done“ ist ein persönlicher Film, aber es geht Imbach nie um das eitle Ausstellen von Privatheit (wobei „T“’s Künstlerbild sicherlich nicht frei von Eitelkeit ist), sondern vielmehr um alltägliche, universelle Erfahrungen, mit dem Tod, mit der Arbeit und der Liebe – und ganz nebenbei um ein Kommunikationsmedium, das in dieser Form längst ausgestorben ist. Vor allem aber ist „Day Is Done“ ein Stadtfilm, der gerade aus seiner räumlichen Beschränkung und der damit einhergehenden Wiederholung von Perspektiven und Ausblicken Intensitäten herstellt, wo scheinbar nur die Banalitäten des Alltags zu finden sind. Der „Mann hinter der Kamera“ mag sich bis zuletzt nicht zeigen, aber durch seinen Blick auf die Stadt gibt er sich mitunter schonungslos preis.
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