Turkish Passport

Dokumentarfilm | Türkei 2011 | 91 Minuten

Regie: Burak Arliel

Dokumentarfilm über die Rettung türkischer Juden vor der Vernichtung durch das NS-Regime dank des Einsatzes türkischer Diplomaten. Trotz einiger pathetischer Aufladungen ein informatives Dokument, das ein weitgehend vergessenes Kapitel jüdisch-türkischer Beziehungen aufschlägt und dem humanistischen Engagement über religiöse Grenzen hinweg ein Denkmal setzt. - Ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
TÜRK PASSAPORTU
Produktionsland
Türkei
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Interfilm Istanbul
Regie
Burak Arliel
Buch
Deniz Yesilgün · Gökhan Zincir
Kamera
Burak Yazici · Senol Altun
Musik
Alpay Göltekin · Alp Yenier
Schnitt
Ali Demir · Volkan Türkkan
Länge
91 Minuten
Kinostart
10.11.2011
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Dem Presseheft, das als übergroßer türkischer Reisepass gestaltet ist, stellen die Produzenten einen Vers voran, der im Talmud und im Koran zu finden ist: „Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.“ Nach der Zerrüttung der Beziehungen mit Israel und antisemitischen Untertönen vom „Tal der Wölfe“ bis in die türkische Gesamtgesellschaft setzt das Team um Regisseur Burak Arliel ein wichtiges Zeichen. Arliel greift einen fast unbekannten Aspekt jüdisch-türkischer Geschichte auf: die Rettung Hunderter Juden vor den Gaskammern der deutschen Besatzer durch türkische Diplomaten im Zweiten Weltkrieg. Unter Ausnutzung ihrer diplomatischen Befugnisse und unter Einsatz ihres Lebens erreichten türkische Konsulatsmitarbeiter und Botschafter zwischen 1942 und 1944, dass ihre in von den Deutschen besetzten Gebieten lebenden jüdischen Staatsbürger nicht in die Vernichtungslager deportiert wurden. Eindrucksvolle Zeitzeugenberichte zeigen, wie mitunter einige auswendig gelernte Sätze in türkischer Sprache reichten, um eine „türkische Identität“ nachzuweisen und die Staatsbürgerschaft zu erwerben. In Verhandlungen mit den Besatzern erreichten die Beamten, dass türkische Juden den Gelben Stern nicht an der Kleidung anbringen, sondern in Hosen- oder Jackentaschen mit sich führen mussten und so nicht vom Besuch öffentlicher Einrichtungen ausgeschlossen waren. Nach den großen Verhaftungswellen recherchierten sie den Verbleib ihrer Staatsbürger bis in die Zwischenlager, um Freilassungen zu erhandeln. Im Winter 1943/44, als sich ein Kriegseintritt der Türkei abzeichnete, organisierte Ankara acht Züge, mit denen türkische Juden aus dem besetzten Westen Europas durch Nazi-Deutschland und alliierten Bombenhagel nach Istanbul gebracht wurden. Vier Jahre haben die Macher des Dokumentarfilms recherchiert und aus den Archiven zahlreiche bislang unbekannte Dokumente ans Tageslicht befördert. In einer konventionellen Mischung aus Zeitzeugenberichten und Re-Enactment-Szenen erzählen sie die Chronologie der Ereignisse beeindruckend, aber nicht ganz ohne Pathos: Die dramatische Musikunterstreicht das Märchenhafte dieser Holocaust-Geschichte mit Happy End. Etwas mehr Sprödigkeit hätte der Authentizität sicher gut getan, zumal sich die Erzählung zum Schluss zum nationalen Crescendo steigert. Dem folgen Danksagungen der Protagonisten an die Türkei, die sich nicht zuletzt an die Innenpolitik in einem Land richten, um dessen Verhältnis zu Angehörigen religiöser Minderheiten es nicht immer zum Besten steht. Im Fokus stehen aber vor allem humanistische Aspekte. Der Frage, ob es sich bei den Rettungsaktionen um die Aktivitäten einzelner Beamter oder um konzertierte Aktionen der türkischen Regierung handelte und warum die türkischen Beamten bei ihren Verhandlungen mit den deutschen Behörden so erfolgreich waren, geht der Film nicht nach. Das Filmteam verspricht allerdings, das Thema weiter zu erkunden. „Turkish Passport“ lief, vom Verleih eher versteckt als beworben, am Starttag in nahezu leeren Kinos – eine etwas aktivere Pressearbeit hätte dem Film, der nicht nur auf das türkischstämmige Nischenpublikum abzielt, gut getan.
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