My Reincarnation

Dokumentarfilm | USA/Niederlande/Deutschland/Italien 2011 | 100 Minuten

Regie: Jennifer Fox

In 20 Jahren entstandene Langzeitdokumentation einer Vater-Sohn-Beziehung: Chögyal Namkhai Norbu verließ wegen der chinesischen Repressionen seine Heimat Tibet, ließ sich in Italien nieder und arbeitete dort als spiritueller Lehrer des tibetanischen Buddhismus. Sein Sohn kam in Italien zur Welt und orientiert sich an europäischen Lebensentwürfen, verliert aber nicht den Bezug zum Buddhismus und tritt in die Fußstapfen des Vaters. Der sehr menschliche Film begleitet ohne Pathos das Altwerden des Vaters und seinen Umgang mit Krankheit und körperlicher Schwäche ebenso wie die Entwicklung des Sohns vom rebellischen Jugendlichen zum Familienvater, wobei er die tiefe religiöse Verwurzelung der beiden umkreist. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
MY REINCARNATION
Produktionsland
USA/Niederlande/Deutschland/Italien
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Zohe Film Prod./Buddhist Broadcasting Foundation/Lichtblick Film/Ventura Film/Vivo Film
Regie
Jennifer Fox
Buch
Jennifer Fox
Kamera
Jennifer Fox
Musik
Jan Tilman Schade
Schnitt
Sabine Krayenbühl
Länge
100 Minuten
Kinostart
02.02.2012
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Die Fliesen leuchten blau im Wasser. Das Schwimmbad ist ein entspanntes Refugium, das Wasser ermöglicht schwereloses Schweben in Raum und Zeit. Mit fünf Jahren begann Yeshe, von fernen Hochgebirgslandschaften zu träumen. Er fragte seinen Vater, erhielt aber keine Antwort. Sein Vater ist ein Star, ein spirituell-religiöser Lehrer: Altmeister des tibetischen Buddhismus Chögyal Namkhai Norbu. Nach Beginn der chinesischen Repression verließ Norbu seine tibetische Heimat und ging ins Exil nach Italien. Ein Mönch ist er nie geworden; er heiratete eine Italienerin und bekam mit ihr zwei Kinder. Sein Sohn Yeshe fühlt sich als Italiener, möchte ein normales Leben führen, sieht sich aber von einer immer breiteren buddhistischen Bewegung mitgerissen, die seinen Vater als spirituellen Lehrer verehrt. „Alle diese Leute,“ sagt er an einer Stelle von „My Reincarnation“, „suchen Emotionen und Bewegung. Warum gehen sie nicht ins Kino?“ Der Vater vermittelt die Wahrheit, der Sohn sucht sie: „Ich habe keine Angst vor dem Sterben“, sagt der Sohn einmal, „sondern vor dem Leben.“ Über 20 Jahre hinweg hat die New Yorker Filmemacherin Jennifer Fox Vater und Sohn mit der Kamera begleitet, die Entwicklung Norbus vom 50-jährigen Mann in der Blüte seines Lebens zum 70-Jährigen, der mit stoischem Humor den Verfall seines Körpers begleitet, aber auch das Werden des Sohns vom rebellischen 18-Jährigen zum 39-jährigen Familienvater. Namkhai Norbu, der Vater, sieht seinen Sohn in seiner eigenen langen spirituellen Tradition als Reinkarnation des eigenen Onkels, der 1959 in einem chinesischen Gefängnis ums Leben kam. Der Sohn will davon nichts wissen, sondern definiert sich als Teil der europäischen Lebenstradition. Als Jugendlicher möchte er nur fotografieren und Musik machen, später arbeitet er für IBM als Programmierer, liebt schnelle Autos und ein gutes Leben. Jennifer Fox begleitet diese Entwicklung von 1989 bis 2009 sensibel und subtil, zeigt das Mit- und Gegeneinander zweier unterschiedlicher Charaktere und Temperamente, die sich über die Jahre näher kommen, auch über große Zeitsprünge und räumliche Bewegungen, zwischen Tibet, Italien, Mexiko und den USA. Musikalisches Leitmotiv dieser Entwicklung ist immer wieder das wunderbar fatalistisch und gleichzeitig Lebens bejahende Chanson „Vado con me“ des italienischen Liedermachers Paolo Conte mit seinem Refrain „ It’s wonderful, it’s wonderful, it’s wonderful“. Es geht in diesem Doppelporträt immer wieder um die Vergänglichkeit und Veränderlichkeit der Existenz, um den ständigen Wandel und die Entwicklung der Lebensumstände. Der Vater spürt, dass er in die Jahre kommt; er hat Schwierigkeiten beim Laufen und leidet an starkem Übergewicht: „Im Alter wächst man in die Breite, wie ein Schwein“, erklärt er lachend seinen spirituellen Kollegen. Die Gemeinde, die den Lehren des Vaters lauscht, wird immer größer, doch der Rinpoche wird schwach, erkrankt an Krebs und liegt in Florenz im Krankenhaus, umgeben von seiner Familie. Für den Sohn ist es eine neue, unangenehme Erfahrung, hatte er den Vater bislang doch immer als stark und unangreifbar gesehen. „Wir haben Probleme mit unseren Vätern, und wenn wir älter werden, haben wir Probleme mit unseren Kindern“, sagt er nachdenklich. „Geburt, Alter, Krankheit und Tod sind die vier Leiden des Menschen“, predigt sein Vater. Die Inszenierung nähert sich ihren Protagonisten, zeigt ihre Schwächen, ohne sie bloßzustellen, zeigt auch das Unspektakuläre am Spirtiuell-Religiösen. „Durch meine Lehre wird keiner von heute auf morgen zu einem anderen Menschen“, sagt der Vater und unterstreicht: „Buddha sagt: Ich lehre dich, ich zeige dir den Weg, aber die Verwirklichung ist deine Sache.“ Der Sohn setzt sich schließlich seinen tibetischen Wurzeln aus, der Vater überwindet die Krankheit, beide kommen sich näher, in einer sehr ergreifenden Szene steigen sie gemeinsam Hand in Hand in die Meeresbrandung. Am Ende lehrt auch der Sohn im Tempel die Gläubigen. Ein junger Informatiker beklagt sich bitter, dass sein Job ihm nicht einmal Zeit für die minimalen spirituellen Übungen lasse. „Mache alles, was du machen musst, erfülle deine Pflichten, aber nimm es nicht so wichtig“, rät ihm Yeshe, und hat den Rat ganz offensichtlich auch selbst beherzigt. „My Reincarnation“ zeigt die private Seite des spirituellen Meisters und seiner Familie; es ist ein entspannend menschlicher Film gegen jede Form von religiösem oder spirituellem Pathos, wenn der Vater nachdenklich eine grüne Flöte in der Hand hält und heiter darüber sinniert, ob er nicht besser doch Musiker statt ein spiritueller Lehrer geworden wäre. „Solche Fehler macht man als junger Mann“, sagt sein Sohn ironisch lächelnd, „den richtigen Beruf zu wählen, ist sehr wichtig.“
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