Die Vermissten

Science-Fiction | Deutschland 2011 | 86 Minuten

Regie: Jan Speckenbach

Ein Mann macht sich auf die Suche nach seiner verschwundenen Tochter. Bei seiner Recherche stößt er auf immer mehr Fälle vermisster Kinder und findet schließlich heraus, dass sich die Jugendlichen aus freiem Willen von den Erwachsenen separiert haben und sich gegen deren Welt zur Wehr setzen wollen. Im Gewand einer nüchtern-realistischen Gegenwartsästhetik entwickelt sich der Science-Fiction-Film zu eindringlichen Dystopie um einen implodierenden Generationenkonflikt, wobei er einschlägige Genre-Erwartungen souverän unterläuft. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Junifilm/ZDF (Das kleine Fernsehspiel)
Regie
Jan Speckenbach
Buch
Jan Speckenbach · Melanie Rohde
Kamera
Jenny Lou Ziegel
Musik
Matthias Petsche
Schnitt
Wiebke Grundler
Darsteller
André M. Hennicke (Lothar) · Luzie Ahrens (Lou) · Sylvana Krappatsch (Vera) · Jenny Schily (Sylvia) · Sandra Borgmann (Hella)
Länge
86 Minuten
Kinostart
10.05.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Science-Fiction
Externe Links
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Diskussion
Was für ein grandios pessimistisches Debüt! Gleich die ersten Szenen in einem Atomkraftwerk strahlen unbedingten Kunstwillen und eine Kälte aus, die nichts Gutes verheißt. André Hennicke spielt einen in sich gekehrten Strahlenschutzexperten, der jeden Abend einen Scanner über seinen Körper gleiten lässt, auf der Suche nach nuklearen Spuren, die ihm längst die gesunde Gesichtsfarbe geraubt haben. Als ihn die Ex-Frau um Hilfe bittet, gerät seine neue Beziehung in eine Krise. Die Freundin wusste nichts von der 13-jährigen Tochter, die von einem Tag auf den anderen verschwunden ist. Der verhinderte Vater, dem die Existenz des Mädchens bisher keine Sorgen bereitete, gerät in einen Strudel nervöser Nachforschungen. Auf einmal fallen ihm in der Kleinstadt vagabundierende Jugendliche auf, die offenbar mitten am Tag die Schule schwänzen. Immer mehr Eltern melden ihre Kinder als vermisst. Polizisten werden vergeblich vor Kindergärten postiert, Personenkontrollen greifen im Verkehr um sich. Grund genug für den klug beobachtenden Mann, nachts auf Landwegen hungrige Jugendliche aufzugabeln, die sich gegen die Erwachsenen per Internet verschworen zu haben scheinen und neuerdings mit Vorliebe in Gruppen auftreten. Je mehr sie ihm mit Feindseligkeit begegnen, desto wirrer sind seine Versuche, ihnen ohne Geld und Wagen in einer zunehmend bedrohlichen Ödnis nachzustellen. Nur eine androgyne, autistische Freundin seiner Tochter toleriert seine Fragen und traut sich, den Fremden an den Ort zu führen, wo sich die Kinder zwischen Müllhaufen und leeren Dorfbehausungen aus den 1950er-Jahren eine Gegenwelt aufgebaut haben. Ein dystopischer Science-Fiction-Thriller im Gewand einer extrem nüchternen Jetztzeit-Ästhetik bannt sich auf leisen Sohlen an. Der Generationskonflikt bleibt bewusst opak, zumal die Straßen apokalyptisch entleert wirken und die Gespräche der wegen ihrer Zukunft besorgten Ausreißer um Hinrichtungsfantasien aller Rentner kreisen. Doch die lustlos gelegte Fährte erweist sich schnell als Sackgasse. Die Vorgänge eskalieren zwar, es gibt Tote; den Vätern fällt nichts Besseres ein, als sich in bewaffneten Bürgerwehren zu organisieren. Am Ende greift aber eine lähmende Passivität um sich, die mehr verstört als jede genretypische Zuspitzung. Ein tiefes gesellschaftliches Unbehagen beherrscht den ersten Langfilm von Jan Speckenbach und beflügelt sichtlich seinen Mut, sämtliche Erwartungen in einer ratlos machenden Auflösung zu boykottieren. Der demographische Wandel ist nur der Aufhänger für eine unspektakulär implodierende Zukunftsvision. Getragen von einer scharf akzentuierenden Geigenmusik, dem zweifelhaften Charme der westdeutschen Provinz und einer unaufdringlichen Montage entwickelt das trotz einiger Unebenheiten dichte Drama einen Sog wie in einem Kafka-Roman. So irritierend widerspenstig hat sich im deutschen Film schon lange keiner mehr der Mär vom Zerfall aller Sicherheiten angenommen.
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