Dokumentarfilm | Schweiz 2012 | 97 Minuten

Regie: Erich Langjahr

Eine filmische Meditation über den Rigi, einen Tourismus- und Freizeitberg am Tor zur Innerschweiz. Nach einer Fülle konkret erfasster Bilder von der Arbeit eines Holzfällers und Bergbauern quer durch alle Jahreszeiten mündet der Film in die Beschreibung touristischer Neubauten, die sich wie eine klaffende Wunde in die Natur eingraben. Wie in vielen seiner anderen Filme fragt der Dokumentarist Erich Langjahr auch hier nach den Ursprüngen allen Seins und der Entfernung der modernen Zivilisation von ihren Wurzeln. Ein Bilderbogen, der die Zeitenwende von der Tradition zur Moderne poetisch reflektiert. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
MEIN ERSTER BERG, EIN RIGI FILM
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Langjahr Film
Regie
Erich Langjahr
Buch
Erich Langjahr
Kamera
Erich Langjahr
Musik
Hans Kennel
Schnitt
Erich Langjahr
Länge
97 Minuten
Kinostart
10.10.2013
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Bei Erich Langjahr dreht sich alles um seine Heimat, die ländlich-alpine Schweiz, deren äußere und innere Metamorphosen er in ebenso leisen wie lebensklugen Filmen dokumentiert. „Männer im Ring“ (1990), „Bauernkrieg“ (fd 34 032) oder „Hirtenreise ins dritte Jahrtausend“ (2002) sind subtile Beobachtungen einer Zeitenwende, der Reibung zwischen Tradition und Moderne. Langjahrs meditative und dabei sehr konkret erfasste Bilderwelten, frei von romantisch-folkloristischer Traumseligkeit, zeigen, wie das Alte dem Neuen weicht, was davon vielleicht erhalten bleibt oder auch ganz und gar unkenntlich wird. Es sind Filme, die, ohne zu klagen, die Augen öffnen für das, was sich seinem Ende zuneigt, und das, was an seine Stelle tritt. Sie fragen nach dem Kern des Verschwindenden, den Ursprüngen allen Seins und danach, wie weit sich das Kommende von diesen Wurzeln zu entfernen droht. Ein cineastisches Oeuvre, das zur sozialen, soziologischen, auf jeden Fall aber poetischen Chronik der Ereignisse gerinnt. Auch „Mein erster Berg“ kreist auf sehr persönliche Weise, um dieses Thema. Der Rigi, das Felsmassiv am Tor zur Innerschweiz, das auf einer alten Karte einst sogar zum Zentrum der Welt erklärt wurde, war der Berg seiner eigenen Kindheit: In dessen Nähe wuchs Langjahr auf; dessen Bewohner stellten das Universum seiner Jugend dar. Märtel Schindler, der Holzfäller und Bauer, dem der Film quer durch alle vier Jahreszeiten folgt, ist gleichsam der letzte Vertreter dieser fast vollendeten Vergangenheit. Auf seinem Gesicht hat die Natur Falten wie Jahresringe im Stamm eines Baumes hinterlassen; die Kamera erfasst das ebenso sachlich und kommentarlos wie die Arbeitsvorgänge: das Fällen der Bäume, das Schälen der Rinden, den Bau eines Blockhauses, den Auftrieb der Kühe, das Einschlagen der Pflöcke eines Weidezauns im felsigen Boden, das Auswechseln von Bahnschwellen an der Rigi-Bergbahn. Körperliche Schwerarbeit, die nur zum Teil durch moderne Technik gemildert werden kann. Dazu, auf der Tonebene, eine Sinfonie der Säge-, Klopf- und Schleifgeräusche, des Hämmerns und Baggerns, des Geläuts der Kuhglocken, der Tierstimmen, des Windes. Doch der Film ist nicht nur das entschleunigte Porträt des arbeitsamen, der Tradition verhafteten, mit seiner Umwelt fest verwachsenen Berglers. Gegen Schluss schieben sich mehr und mehr auch Szenen von der anderen, der touristischen Seite des Rigi in die Bilder des Schindlerschen Alltags. Seit langem ist der Berg einer der beliebtesten Ausflugsziele der Schweizer, mit zunehmend größeren Hotel- und Liftanlagen; im Abspann ist die Chronik der touristischen Erschließung und der damit verbundenen Sünden seit dem 19. Jahrhundert penibel aufgelistet. Langjahrs Bilder vom Neubau eines überdimensionalen Mineralbads sprechen, ohne dass dies verbal betont zu werden braucht, Bände über die von der Mehrheit seiner Landsleute zumindest schweigend hingenommene Verwandlung, ja Zerstörung der Natur. In den letzten Einstellungen des Films lösen Bergsteiger eine riesige Schweizer Flagge, die an der Steilwand des Rigi angebracht worden war, wieder vom Fels. Das weiße Kreuz ist schon weg; was bleibt, ist ein breiter Streifen vom roten Stoffuntergrund. Aus der Totale wirkt dieses leuchtende Rot wie eine tiefe, klaffende Wunde, ein stummer Schrei. Vermutlich hat Langjahr jenes Bild auch genau so gemeint.
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