Drama | Chile 2015 | 97 Minuten

Regie: Pablo Larraín

In einem rauen chilenischen Küstendorf leben vier katholische Priester mit einer Haushälterin in einer Art Wohngemeinschaft, die sich als eine Art Strafkolonie entpuppt, als nach einem Zwischenfall ein jesuitischer Gesandter zur Visite erscheint. In verhörartigen Gesprächen werden die Gründe für das Exil der Männer offengelegt, sexueller Missbrauch, politische Unbotmäßigkeit und Kindesraub, ohne dass sich die Geistlichen zu ihrer Schuld bekennen. Der visuell eindringliche, in bedrückend düsteren Tönen gehaltene Film verknüpft Atmosphäre, Handlung und eine an der christlichen Ikonografie angelehnte Bildsprache zu einem vielschichtigen Drama über innerkirchliche Machtverhältnisse und das Ringen um mehr Transparenz. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
EL CLUB
Produktionsland
Chile
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Fabula
Regie
Pablo Larraín
Buch
Daniel Villalobos · Guillermo Calderón · Pablo Larraín
Kamera
Sergio Armstrong
Schnitt
Sebastián Sepúlveda
Darsteller
Roberto Farías (Sandokán) · Antonia Zegers (Schwester Mónica) · Alfredo Castro (Priester Vidal) · Alejandro Goic (Priester Ortega) · Alejandro Sieveking (Priester Ramírez)
Länge
97 Minuten
Kinostart
05.11.2015
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Tief hängende Wolken. Bläulich-graues Zwielicht. Gegen den Himmel lassen sich nur die dunklen Umrisse eines Mannes und eines Hundes erkennen, die einen seltsamen Tanz aufführen. An einer Art Angel hängt ein Fellfetzen, den der Mann um sich herum durch die Luft wirbelt, während der Hund laufend und springend versucht, die scheinbare Beute zu erhaschen. Der Mann, der seinen Windhund trainiert, lebt in einer ungewöhnlichen Wohngemeinschaft. Schweigsam hocken vier nicht mehr junge Männer und eine Frau in einem Haus auf den Klippen über einer rauen Küste. Gemeinsam verlassen sie ihr Heim nur für die Hunderennen in der Gegend. Das Abschneiden ihres Kandidaten verfolgen die Männer dabei seltsamerweise nur aus der Ferne. Wenn sie zuhause sind, nähert sich die Kamera ihnen meist nur in ganz langsamen, vorsichtigen Fahrten wie einem potenziell gefährlichen, unbekannten Tier. Trotz der Panoramafenster im oberen Stockwerk scheint das Innere des Hauses im ewigen Halbdunkel zu versinken. Es ist Winter, die umliegenden Gebäude sind weitgehend verlassen. Die Stimmung bedrückt. Die Atmosphäre, vermittelt durch Kamera und Licht, sei das wichtigste in seinen Filmen, nicht etwa die Geschichte, betont der Chilene Pablo Larraín in Interviews. Seine Filme zeichnet dabei natürlich gerade aus, mit welcher Kunstfertigkeit sie beides miteinander verknüpfen, wie in ihnen die Atmosphäre nicht direkt Sichtbares „erzählt“. Wie etwa in „Tony Manero“ (2008) die Handkamera die innere Unruhe des Protagonisten „fühlbar“ macht; wie in „Post Mortem“ (2010) die schattenarmen, perfekt komponierten CinemaScope-Bilder etwas über die innere Leere der Hauptfigur aussagen; oder wie in „No!“ ((fd 41565); 2012) – Larraíns wortlastigstem und optimistischstem Film – die billige Videoästhetik nicht nur Zeitkolorit liefert, sondern auch etwas von der Asymmetrie der Machtverhältnisse im Kampf gegen die Diktatur Pinochets vermittelt. Der 39-Jährige zeigt sich hier als Regisseur, der wirklich für das Kino arbeitet. Seine Filme brauchen die große Leinwand, um diese Verknüpfungen wirklich zu vermitteln. Die Lichtsetzung der ersten Einstellungen von „El Club“ verrät bereits: Diese Männer haben etwas zu verbergen. Es ist im doppelten Sinne eine „zwielichtige“ Welt, in der sie leben. Wer sie sind und was ihr Geheimnis ist, bleibt unklar, bis eines Tages ein fünfter Mann ins Haus gebracht wird. Der Neue ist Priester, wie die anderen auch. Er soll vor der Öffentlichkeit geschützt werden – und diese vor ihm. Das wird deutlich, als ein ganz offenbar schwer traumatisierter Mann vor dem Haus an der Steilküste auftaucht und dort für alle hörbar in allen Details herausruft, wie der Neuankömmling ihn in jungen Jahren als Messdiener sexuell missbraucht hat. Die Konfrontation mit dem Opfer lässt die Situation eskalieren. Es kommt zu einer tragischen Gewalttat. In der Folge wird ein junger Psychologe aus dem Vatikan geschickt, um sich ein Bild von der Lage zu machen und die Wohngemeinschaft danach aufzulösen – natürlich ohne dass die Öffentlichkeit davon irgendetwas mitbekommt. Kindesmissbrauch, Kollaboration mit dem Militärregime Pinochets und der Raub von Babys armer Mütter, um sie wohlhabenderen katholischen Paaren zu geben: Die Liste an Untaten, die Pater García in einer Reihe von Einzelgesprächen aufdeckt, ist lang. Sie basieren, zumindest lose, auf wahren Geschichten. Etwa der des Bischofs der nordchilenischen Gemeinde La Serena, Francisco José Cox, der Anfang der 2000er-Jahre abdanken musste wegen seiner von der Kirche eingeräumten „etwas überschwänglichen Zuneigung“ besonders zu Kindern. Daraufhin verschwand er aus der Öffentlichkeit – er lebt seit einigen Jahren offenbar in der Nähe von Koblenz. Larraín spielt außerdem auf einen im Jahr 2014 aufgedeckten Skandal an: Katholische Priester hatten in Chile vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren die Neugeborenen armer, alleinstehender Mütter gestohlen, um sie in „traditionellen“ katholischen Familien aufwachsen zu lassen. Den Müttern wurde weisgemacht, ihre Kinder seien bei der Geburt gestorben. Die verhörartigen Gespräche mit den Priestern, in denen solche Verbrechen aufgedeckt werden, bilden das Kernstück von „El Club“. Inszeniert sind sie auf den ersten Blick ganz schlicht als Rededuelle im Schuss-Gegenschuss-Rhythmus, dabei vermittelt ihr Setting subtil das Machtverhältnis zwischen Befragten und Befragenden. Während Pater García frei im Raum sitzt mit dem langen und schmalen WG-Wohnzimmer hinter sich, versinken seine Kollegen in einem Sofa buchstäblich mit dem Rücken zur Wand. Ihre im Gegenlicht gefilmten Köpfe befinden sich meist im Zentrum eines Kreuzes, Symbol für Schuld und Sühnung, das vom unteren Rahmen des Fensters in ihrem Rücken und einer Fenstersprosse gebildet wird. Keiner der Padres erkennt in den Gesprächen seine Schuld wirklich an. Die Verteidigungsstrategien reichen von Leugnen und Verteidigen über Relativierung bis hin zu Angriffen auf die Person von Pater García. „Sie sind einer dieser ‚neuen‘ Priester“, erklärt ihm einer der WG-Bewohner voller Verachtung. Auch wenn im Vatikan vielleicht ein frischerer Wind weht, ändern soll sich nichts im Haus, da sind sich die vier Alteingesessenen und ihre Aufpasserin und Haushälterin Schwester Mónica einig. Diese Art von fehlendem Bewusstsein für den Wandel der Umwelt verbindet die Priester mit Larraíns Protagonisten aus seiner vorhergehenden Trilogie von Filmen, die die gesamte Zeitspanne der Pinochet-Diktatur in seinem Land abdecken. Auch in ihnen entpuppt es sich letztlich als unmöglich, ein Leben jenseits der gesellschaftlichen Umwälzungen zu führen. Nur in „No!“ führte das zu einem Happy End. „El Club“ ist in dieser Hinsicht ambivalenter – so wie die Atmosphäre geprägt wird durch das ewige winterliche Zwielicht. Am Anfang des Films steht ein Zitat aus der Bibel: „Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis.“ Larraín zeigt sich am Ende skeptisch, dass die katholische Kirche ihre dunkelsten Kapitel wirklich ans Licht bringen will.
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