Dokumentarfilm | Deutschland 2014 | 100 Minuten

Regie: Gerd Kroske

Mit einem weißen Strich an der Westseite der Berliner Mauer protestierten im Jahr 1986 junge Künstler gegen die deutsch-deutsche Grenze. Die Männer waren zuvor Mitglieder der Weimarer Punk-Szene und hatten die DDR verlassen oder wurden abgeschoben; einer der ihren hatte als Spitzel für die Stasi gearbeitet. Der Dokumentarfilm lässt den ehemaligen Verräter sowie seine ehemaligen Freunde zu Wort kommen und untersucht im Rahmen der Künstler-Geschichte ein Stück unverarbeitete deutsche Geschichte und zeigt Wunden, die nicht verheilt sind. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
realistfilm Gerd Kroske/MDR/RBB
Regie
Gerd Kroske
Buch
Gerd Kroske
Kamera
Anne Misselwitz
Musik
Klaus Janek · Die Madmans · KG Rest
Schnitt
Karin Gerda Schöning
Länge
100 Minuten
Kinostart
23.04.2015
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Dokumentarfilm von Gerd Kroske über ein unverarbeitetes Stück DDR-Geschichte

Diskussion
Im November 1986 wurde ein Strich gezogen. Weiß, auf Augenhöhe, auf der Westseite der Berliner Mauer, quer über all die bunten Graffiti, die zu jener Zeit die tödliche Grenzanlage trügerisch verschönten. Die jungen Künstler wollten auf die Tatsache aufmerksam machen, dass die Mauer eine Grenze bezeichnete, die zu überwinden viele träumten. Kein Wunder, denn die fünf jungen Männer, alle Jahrgang 1962 bis 1966, hatten die Grenze gerade hinter sich gelassen, waren aus der DDR ausgereist oder abgeschoben worden. Zuvor waren sie Teil der Weimarer Punk-Szene, waren unbequeme, stadtbekannte Querulanten, die gerne mal von der Staatssicherheit schikaniert wurden. Mit Spitzeln war in der offenen Szene immer zu rechnen, immer wieder gab es Verdächtigungen. Doch dann wurde jemand zum Verräter, dem man das nicht zugetraut hätte. Ausgerechnet Jürgen Onißeit lieferte zwischen 1981 und 1984 regelmäßig Berichte über seinen Bruder Thomas und die Freunde Wolfram Hasch, Frank Schuster und Frank Willmann an die Stasi. Dass er darüber auch nach der Ausreise in die BRD nicht geredet hat, nehmen ihm die ehemaligen Freunde bis heute sehr übel. Erst im Rahmen einer Recherche zur Kunstaktion „Der weiße Strich“ kam die Sache ans Licht. Der Filmemacher Gerd Kroske hat sich des Falls angenommen, das vorhandene Material gesichtet und die Beteiligten vor der Kamera dazu befragt. Er zeichnet das Bild einer nicht konformen Jugend in der DDR der frühen 1980er-Jahre, die auf unterschiedliche Art subversiv tätig war, mit der Punk-Bewegung liebäugelte, sich politisch gegen den Strich verhielt oder einfach aus der DDR weg wollte. Onißeit ließ sich mit der Stasi ein, weil er glaubte, er könne ein Spielchen spielen, weil er die Informationen kontrolliere. Schnell zeigte sich der Irrtum, aber es dauerte einige Jahre, bis sich Onißeit aus der Zusammenarbeit befreien konnte; nachträglich erkannte er diesen Deal unumwunden als „Fehler seines Lebens“. Nachdem die Sache aufgeflogen war, hat er seine Schuld auch eingeräumt, will aber jetzt nicht mehr darüber reden. Aus Scham und auch aus Wut, weil Jürgen Onißeit sich als Opfer begreift. Er sei doch nur ein kleines Rädchen gewesen, sagt er und rät Kroske, doch bei den wahren Tätern nachzufragen. Was Kroske auch tut, aber diese sind entweder tot oder wollen ihrerseits die Vergangenheit ruhen lassen. Im Verlauf des Films, dessen mitunter schmerzhafte Redundanzen durch beharrliches Insistieren notwendig sind, weil die Fronten zwischen Beteiligten so verhärtet sind, wird offenbar, dass Jürgen Onißeit seinerzeit die Mal-Aktion initiierte, weil er für sich einen Schlussstrich unter die DDR-Geschichte ziehen wollte. Dass sich im Verlauf der Aktion eine Tür in der Mauer öffnete und Wolfram Hasch im Grenzgebiet von DDR-Grenzern verhaftet wurde, ist manchem vielleicht noch in Erinnerung. Onißeit hatte damit nichts tun, aber viel wichtiger als diese Erkenntnis ist es zu beobachten, wie Jürgen Onißeit voller Selbstmitleid nicht die Empathie aufbringt, sich der Tatsache zu stellen, dass er durch seinen Verrat wesentlich in die Biografien seiner Freunde und seines Bruders eingegriffen hat. Ganz zum Schluss kommt es zum Gespräch zwischen den Brüdern. Es zeichnet Kroskes Film aus, dass er nicht harmonisiert, wo bis heute Wunden nicht verheilt sind. „Striche ziehen“ ist ein Angebot, offene Fragen nicht ruhen zu lassen, dessen Verrat ist kein Lapsus und auch kein ästhetischer Akt. Selbst wenn man vielleicht wünschte, dass dem so wäre.
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