Scultura - Hand. Werk. Kunst

Dokumentarfilm | Italien 2015 | 80 Minuten

Regie: Francesco Clerici

In einer Mailänder Bronzegießerei wird seit 1913 nach demselben archaischen Verfahren gearbeitet, dessen Geheimnisse stets nur vom Meister an den Lehrling weitergegeben werden. Die außergewöhnliche Dokumentation stellt die präzise Abfolge der kleinteiligen Arbeitsprozesse als nahezu ausgestorbene Handwerkskunst dar und erzeugt durch die kongeniale Montage eine Symphonie aus Bildern, Tönen und Gesten. So wird der Film zum synästhetischen Erlebnis, das beileibe nicht nur einschlägig Interessierte an den manuellen Techniken des Bronzegießens zu begeistern vermag. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
IL GESTO DELLE MANI
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Fonderia Artistica Battaglia
Regie
Francesco Clerici
Buch
Francesco Clerici · Martina De Santis
Kamera
Francesco Clerici
Musik
Claudio Gotti
Schnitt
Francesco Clerici
Länge
80 Minuten
Kinostart
22.10.2015
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Dokumentation über die Handwerkskunst der Bronzegießerei als Symphonie aus Bildern, Tönen und Gesten

Diskussion
Der Künstler nimmt ein kleines Messer, die Klinge hat er gerade erhitzt über einer Flamme. Er setzt einen klaren Schnitt, direkt über dem Ohr des Hundes: Wachstropfen, rot wie Blut, fallen auf den Tisch. Das Wachs schmilzt knisternd – es klingt wie Fleisch, das verbrennt. Im Hintergrund tönt aus dem Radio klassische Musik, ein Klavierkonzert von Sergej Prokofiev, wie wenig später klarwird. Die leise „Stimme“ des Radios wird noch öfter zu hören sein, außerdem, sehr präzise, alle erdenklichen Arbeitsgeräusche. Viel sprechen die Menschen nicht in der Fonderia Artistica Battaglia, einer traditionsreichen Bronzegießerei im Herzen von Mailand. Gegründet 1913, ist sie eine der ältesten Bronzegießereien in Italien. Im Vergleich zur Geschichte des Handwerks ist sie jung: Bronzeskulpturen werden seit dem Bronzezeitalter in einem praktisch unveränderten Prozess hergestellt. Dies gilt insbesondere für das Wachsausschmelzverfahren, bei dem das Wachsmodell und die von diesem abgenommene Hohlform zerstört werden, um schließlich an den Rohguss zu kommen. Die Dokumentation alter Handwerkskunst als Beobachtung eines Arbeitsprozesses ist ein verdienstvolles dokumentarisches Subgenre. Der junge Regisseur Francesco Clerici, der Kunstgeschichte studiert hat, komponiert aus dem archaischen Arbeitsprozess eine Symphonie aus Bildern, Tönen und Gesten, als folgten all diese Arbeitsschritte einer geheimen Choreografie: „Scultura – Hand. Werk. Kunst.“ ist metaphysische Meditation, synästhetisches Erlebnis. Während er die Geschichte des Verfahrens zeigt, gewissermaßen nebenbei, fängt er Geschichte selbst ein – und die Kunst als ihr spezifisches Gedächtnis. Der Schnitt imitiert den Arbeitsprozess. Wobei die Hände und ihre vorsichtigen Bewegungen im Zentrum stehen. „Scultura – Hand. Werk. Kunst.“ positioniert sich jenseits der Arthouse-Mode. Eher kurze Sequenzen und multiple Perspektivwechsel erinnern an die sowjetische rhythmische Montage der 1920er-Jahre, die Walther Ruttmann auch in „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ (1927) angewandt hat. Der Schnitt huldigt geradezu der manuellen Fertigung, er unterstreicht die Unersetzlichkeit des manuellen Prozesses, dessen Arbeitsschritte in oraler Tradition seit Jahrhunderten vom Meister an den Lehrling weitergegeben werden. Schwarz-weiß-Bilder aus dem Jahr 1967 – Clerici fand zufällig eine vergessene Filmrolle mit dem Material in der Kantine der Gießerei, nachdem er mehrere Archive nach Ähnlichem durchsucht hatte – verschmelzen mit den Rottönen vom hellen Terracotta der tönernen Form bis zum Glutrot der geschmolzenen Bronze. Sie bereichern den Film um die gleichen Bewegungen, die gleichen Arbeitsgeräusche, die in der Gegenwart zu sehen und zu hören sind. Das rote Wachsmodell wird mit Ton ummantelt, aufgetragen von einem schweigsamen Meister. Daraus wird die Skulptur geboren – ein liegender Hund. Fertig ist sie noch nicht: Sie wird braun glänzen und ganz dunkel sein, ein Bein wird brechen, Nähte werden geglättet. Am Ende liegt der Hund auf einer Decke im Kofferraum eines Autos, ganz wie seine Artgenossen im wirklichen Leben. Als der Hund sein Ziel erreicht hat, wird es Zeit für das letzte Bild. Es ist die perfekte Pointe, die den Film für eine weitere Perspektive öffnet: auf die Kunst, darauf, wie viel Arbeit sie macht, wie viel Aufwand und Leidenschaft es erfordert, eine künstlerische Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Und auf die unschätzbare Erfahrung, als letztes Glied in einer langen Kette derjenige zu sein, der das Kunstwerk betrachten darf. Dies gilt, natürlich, hier ebenso für den Film.
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