Drama | USA 2016 | 112 Minuten

Regie: Jeff Nichols

Der Vater eines achtjährigen Jungen befreit seinen Sohn aus den Fängen eine Sekte, die das Kind wegen seiner hochsensiblen Fähigkeiten als Auserwählten betrachtet. Auf der Flucht geraten sie auch durch die unkontrollierten Superkräfte des Jungen immer wieder in Gefahr, überwinden aber auch allmählich ihre gegenseitige Fremdheit. Souverän inszeniertes Science-Fiction-Drama mit bisweilen dick aufgetragenen Effekten, die den Film gleichwohl nie an sich reißen. Stattdessen entfaltet sich eine berührende Geschichte über die Annäherung verletzter Charaktere, bei der die Transformation zu uneingeschränkten Gesten der Liebe als größtes Wunder erscheint. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MIDNIGHT SPECIAL
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Tri-State Pic./Warner Bros.
Regie
Jeff Nichols
Buch
Jeff Nichols
Kamera
Adam Stone
Musik
David Wingo
Schnitt
Julie Monroe
Darsteller
Michael Shannon (Roy Tomlin) · Joel Edgerton (Lucas) · Kirsten Dunst (Sarah) · Adam Driver (Paul Sevier) · Jaeden Lieberher (Alton)
Länge
112 Minuten
Kinostart
18.02.2016
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Science-Fiction
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Warner (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Warner (16:9, 2.35:1, dts-HDMA engl., DD5.1 dt.)
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Science-Fiction-Drama von Jeff Nichols, als dessen Kern sich die Annäherung eines Vaters und seines Sohnes entpuppt.

Diskussion
Alton braucht Schutz, mehr als alles andere. In die Räume, in denen sich der Achtjährige aufhält, darf kein Außenlicht dringen, die Fenster sind mit Pappe zugeklebt. Hinaus darf der Junge nur nachts, und auch die blaue Taucherbrille trägt er nicht aus Spaß. Denn hinter den Gläsern verbirgt sich ein hochsensibler Geist mit einzigartig scharfen Sinnen: Alton kann Radiofrequenzen und Satellitendaten empfangen, was seinen kleinen Körper mitunter schlicht überfordert. Dann schießen mit einem Mal weiße Strahlen aus seinen Augen und er entfesselt unkontrollierte Kräfte, die seiner Umgebung und ihm selbst verheerenden Schaden zufügen können. Was ihn für eine obskure texanische Sekte zum Geschenk des Himmels macht. Ihr Guru Calvin hat den Jungen adoptiert, hält ihn auf einer Ranch gefangen und erwartet den nahen Weltuntergang; dass das Kind immer schwächer wird, tangiert ihn nicht. Altons fragiler Gesundheit ruft jedoch dessen leiblichen Vater Roy auf den Plan. Er war einst selbst Sektenmitglied, hat sich aber deren Einfluss entzogen und entführt jetzt seinen Sohn, um ihn zu retten. Ihre Flucht durch den amerikanischen Süden mit unbekannten Ziel entwickelt sich jedoch bald zur Hetzjagd: Die Sekte will ihren Auserwählten zurück, das FBI ermittelt wegen Entführung und der nationale Geheimdienst NSA möchte das Kind mit den außergewöhnlichen Fähigkeiten in den eigenen Händen wissen. Der amerikanische Regisseur Jeff Nichols bleibt auch in seinem vierten Film auf reizvolle Weise unberechenbar: Nachdem er in „Take Shelter“ (fd 40 967) einen höchst ungewöhnlichen Zugriff auf das Katastrophenfilm-Genre fand und in „Mud – Kein Ausweg“ (fd 42 398) Thriller- und Abenteuerfilmelemente vermischte, baut „Midnight Special“ ein klassisches Science-Fiction-Szenario auf. Alton lässt sich durchaus mit dem jungen Superman vergleichen, allerdings hat er weder Kenntnisse über den Ursprung seiner Fähigkeiten noch Kontrolle über sie. Trotz seiner heftigen Anfälle, die Glühbirnen und Wände zum Bersten bringen können, erliegt die Inszenierung nie der Versuchung, ihn wie die Kinder aus „Das Dorf der Verdammten“ (fd 9971) oder Damien aus „Das Omen“ (fd 19 960) zu dämonisieren. Der fragile Alton erscheint vielmehr als Opfer, durch seine Isolation von der Welt traumatisiert und an seinen Kräften leidend. So baut Nichols den Jungen zum Sympathieträger auf, während die erwachsenen Figuren ambivalent bleiben. Das gilt vor allem für seine Vater Roy, den Michael Shannon eindrucksvoll als labilen Charakter interpretiert, der hinter seiner Verschlossenheit tiefsitzende Ängste verbirgt. Die lange Trennung von Alton macht ihn befangen und im Umgang mit ihm ungeschickt, doch an seiner Fürsorge lässt der Film keinen Zweifel. Da der Plot dem Rhythmus eines Road Movies folgt, vollzieht sich die Annäherung von Vater und Sohn stimmig in mehreren Etappen; Angst und Reserviertheit weichen allmählich einer emotionalen Wandlung, aus der beide gestärkt hervorgehen. Die Transformation von anfänglicher Fremdheit in uneingeschränkte Gesten der Liebe und des Vertrauens ist die gewaltigste und zugleich rätselhafteste Macht, die in diesem Film entfesselt wird. Nichols vermittelt das mit einer bemerkenswerten Überzeugungskraft, um so mehr als er mit Genre-Effekten keineswegs sparsam umgeht: mit dem Einsatz entfesselter Superkräfte, abstürzenden Satelliten, gewaltigen Energiefeldern, angewandter Telepathie und im Finale gar der Vision einer außerirdischen Überwelt. Das ist mitunter ein bisschen viel Science-Fiction-Tamtam, weshalb „Midnight Special“ nicht ganz an die subtile Meisterschaft von Nichols’ bisherigen Filmen heranreicht. Doch findet er stets wieder auf den Boden zurück. Fein konturierte Figuren helfen dabei, etwa Roys Freund Lucas, den seine Skepsis gegenüber Altons „Auserwählten“-Aura nicht von seiner Hilfsbereitschaft abbringt, oder der von besten Absichten bestimmte NSA-Agent Paul Sevier. Und nicht zuletzt die Erkenntnis, dass der Film im Kern eine höchst irdische Geschichte vom schwierigen Abwiegen zwischen elterlicher Sorge und Überprotektion erzählt und davon, im rechten Augenblick loslassen zu können.
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