Jean Ziegler - Der Optimismus des Willens

Dokumentarfilm | Schweiz/Frankreich 2016 | 96 Minuten

Regie: Nicolas Wadimoff

Seit den späten 1960er-Jahren hat sich der Schweizer Soziologe, Politiker und Aktivist Jean Ziegler (geb. 1934) als international bekannter Kapitalismus- und Globalisierungskritiker profiliert. Das von kritischer Empathie getragene Porträt begleitet ihn auf einer Reise nach Kuba, wobei in der Konfrontation mit dem Alltag einer ehemals sozialistischen Gesellschaft im Umbruch Risse in Zieglers Utopien zutage treten. Diese vermag der charismatische Weltrevolutionär nur mühsam mit routinierten Phrasen und seinem bockig-dogmatischen Hang zum Misstrauen gegenüber der Natur des Menschen kaschieren. Ein sanfter, aber unmissverständlicher Film über die Mühen der politischen Ebene und Ideologiekritik durch die alltägliche Praxis. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
JEAN ZIEGLER - L'OPTIMISME DE LA VOLONTÉ
Produktionsland
Schweiz/Frankreich
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Dreampixies
Regie
Nicolas Wadimoff
Buch
Emmanuel Gétaz · Nicolas Wadimoff
Kamera
Camille Cottagnoud
Musik
Bill Laswell
Schnitt
Karine Sudan
Länge
96 Minuten
Kinostart
23.03.2017
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Heimkino

Verleih DVD
W-film/Lighthouse (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt. & frz. & engl.)
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Porträt des Schweizer Globalisierungskritikers

Diskussion
Von Che Guevara höchstpersönlich erhielt der Schweizer Kommunist Jean Ziegler den Ratschlag, er möge seinen Kampf gegen den Kapitalismus doch besser von der Schweiz aus führen und ihm nicht als Guerilla in den Dschungel folgen. Ziegler hat diesen Rat befolgt: als Soziologie-Professor, als Publizist, als Abgeordneter im Schweizer Parlament, als UN-Mitarbeiter und umstrittener „öffentlicher Intellektueller“. Der Filmemacher Nicolas Wadimoff, einst Student bei Ziegler, hat den weltbekannten Globalisierungskritiker einige Zeit mit der Kamera und einer Haltung erklärter kritischer Empathie bei Auftritten und Reisen begleitet. In einem Kommentar zum Film rekapituliert das Filmemacher, dass er sein Filmstudium kurz nach der Begegnung mit dem engagierten Professor und seinen ebenso radikalen wie dogmatischen Studierenden aufgenommen habe. Dank Ziegler oder auch wegen Ziegler, stellt Wadimoff verschmitzt in den Raum. Im Film findet dieser Zwiespalt des Filmemachers durchaus Widerhall. Einerseits gibt es Zieglers unermüdliches Engagement, der ohne Rücksicht auf die eigene Person seit Jahrzehnten gegen das internationale Finanzkapital und den neoliberalen Raubtierkapitalismus agiert und trotz aller widersprechenden historischen Erfahrungen noch immer die Hoffnung auf einen „Aufstand des Gewissens“ in einer planetarischen Zivilgesellschaft hegt. Heute, so Ziegler, blicke er eher mit Hoffnung auf die Welt und nicht mehr mit dem Zorn, der ihn einst mit seiner calvinistischen Erziehung habe brechen lassen. Zu beachten ist, dass Ziegler in großen historischen Zyklen denkt, wenn er vom Aufschwung antikapitalistischer Emanzipationsbewegungen schwärmt. Er war persönlich vor Ort, als im Kongo die Konterrevolution den demokratisch legitimierten Präsidenten Patrice Lumumba hinwegfegte; der Militärputsch in Chile im Jahr 1973 steht ihm konkret vor Augen. Für seine trotz alledem optimistische Haltung hat er ein Bonmot von Antonio Gramsci parat: Dem Pessimismus der Intelligenz steht der Optimismus des Willens entgegen. Ziegler hat stets zu den Revolutionären gehalten, selbst als diese ihrerseits schon wieder zu Diktatoren geworden waren. Dies wird Ziegler ebenso häufig vorgehalten wie sein laxer Umgang mit Fakten und Zahlen. Der Film streift solches nur am Rand, begleitet ihn stattdessen bei einer Reise ins gelobte Land der Weltrevolution, nach Kuba, wo Theorie und Utopie auf die Realität einer Gesellschaft im Umbruch treffen. Hier begegnet der Revolutionär Einwohnern der Hauptstadt und Bauern einer Kooperative. Man kommt ins Gespräch, und der Zuschauer staunt, dass es Ziegler eigentlich nur um die Bestätigung seines Weltbildes geht. Wenn es um die Wagenburg Kuba geht, ist ihm Neugier fremd. Die Pressefreiheit diene doch nur der Gegenrevolution, so Ziegler, das habe doch das Beispiel Chile gezeigt. Dass es in Havanna keine Werbung, wenig Geschäfte und öfter mal Engpässe bei der Elektrizität gibt, wird als herrliche Nachtruhe empfunden. Ein Lenin-Zitat am Eingang der Kooperative, das Kontrolle über Vertrauen stellt, sei legitim, wenn es dem Fortschritt diene. Gibt es Widerspruch, findet Ziegler, dass dem Gesprächspartner die Maske der Reaktion nicht zu Gesicht stehe. Ergänzt wird dieser durchaus radikale, um religiöse Partikel angereicherte Dogmatismus dann auch noch durch Züge einer eitlen Larmoyanz, wenn Ziegler sich selbst nachsagt, er habe als privilegierter Kleinbürger, der mit seinen Büchern Ruhm ernte, einen bequemen und sicheren Weg gewählt, weil er zu feige gewesen sei, den Weg Guevaras zu wählen. Die Einsicht sei ihm letztlich unerträglich, aber Gott habe ihm den Ort gewiesen, wo er an der Humanisierung der Weltgesellschaft wirken soll. Jaurès zitierend, weiß Jean Ziegler: „Der Weg ist mit Leichen gesäumt, aber er führt zur Gerechtigkeit.“ Interessanterweise ist der in Kuba gedrehte Teil des Films praktische Ideologiekritik durch die Realität. Eine strategische Fehleinschätzung im Kampf gegen die von Ziegler so genannten „Geierfonds“ führt vor Augen, dass Zieglers Einschätzung der imperialistischen Politik großer Industrienationen nicht mit neuen Akteuren und Allianzen rechnet. Der Film registriert solche Widersprüche genau, findet aber am Ende doch wieder zur Empathie zurück, wenn er das Charisma Zieglers im direkten Gespräch mit jungen Vertretern aus Afrika und Asien dokumentiert. Mag sein, dass vieles längst zur routinierten Phrase geworden ist, aber der revolutionäre Optimismus von Jean Ziegler funktioniert noch immer.
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