Dokumentarfilm | USA 2015 | 92 Minuten

Regie: Roger Ross Williams

Dokumentarfilm über den 23-jährigen US-Amerikaner Owen Suskind, der als Dreijähriger an Autismus erkrankte. Vier Jahre später entdeckten seine Eltern, dass er alle Trickfilmklassiker von Walt Disney mitsprechen konnte und sich ihrer Dialoge bediente, um seine Gefühle auszudrücken. Schrittweise wird die Entwicklung des autistischen Kindes zum Erwachsenen, der auf eigenen Beinen stehen kann, nachgezeichnet. Eine vielschichtige Dokumentation, in der animierte Elemente auf der Grundlage von Suskinds Skizzen zu Disney-Nebenfiguren Auskunft darüber geben, wie er sich während dieser Zeit selbst gesehen hat. - Ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
LIFE, ANIMATED
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Motto Pictures/A&E IndieFilms/Roger Ross Williams Prod.
Regie
Roger Ross Williams
Buch
Roger Ross Williams · David Teague
Kamera
Thomas Bergmann
Musik
T. Griffin
Schnitt
David Teague
Länge
92 Minuten
Kinostart
22.06.2017
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt.)
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Wie ein autistischer Junge mit Hilfe von Disney-Filmen erwachsen wurde

Diskussion
Man kann sich das Entsetzen der Eltern Ron und Cornelia Suskind vorstellen, als ihr Sohn Owen als Dreijähriger zu sprechen aufhörte. Von einem Tag auf den anderen zog sich der aufgeweckte Junge emotional völlig zurück und schien in seiner eigenen Welt zu verschwinden. Er schlief unregelmäßig, hatte Schwierigkeiten beim Gehen, seine wenigen Sprachlaute ergaben keinen Sinn mehr. Die erschütternde Diagnose lautete Autismus. Der Vater hat diesen Schicksalsschlag in einem vielbeachteten Buch verarbeitet, das Regisseur Roger Ross Williams als Vorlage für seinen Dokumentarfilm diente. Williams geht es dabei vor allem um zwei Dinge, nämlich wie sich ein Kind mit seiner Fantasie gegen die autistische Entwicklungsstörung wehrt, und wie die Familie mit Liebe und Geduld diesen Prozess unterstützen kann. Vier Jahre nach Ausbruch der Krankheit keimt ein Hoffnungsschimmer. Als die Familie Disneys „Arielle – Die kleine Meerjungfrau“ (fd 28 601) schaut, besteht Owen darauf, eine bestimmte Szene noch einmal zu sehen. Er spricht, zunächst noch unverständlich, den Dialog nach. Doch Owen kann nicht nur diese Szene auswendig nacherzählen, sondern den ganzen Film. Mehr noch: Er kann alle Disney-Zeichentrickfilme nachsprechen, weil er sie auf Video wieder und immer wieder gesehen hat. Die Eltern realisieren, dass Owen die Metaphern und Lehren der Filme auf sich überträgt. Mit Hilfe der Zeichentrickfilme lernt er sprechen, lesen und schreiben. Interpunktiert werden diese, teilweise mit Familienfilmen und -fotos illustrierten Gespräche über Owens Kindheit mit Szenen aus der Gegenwart, in der aus dem Kind ein engagierter, mitteilungsfreudiger Erwachsener geworden ist. Der Film beobachtet ihn beim Schulabschluss, nimmt an Gruppensitzungen teil und begleitet den Auszug aus dem Elternhaus, um in einer eigenen Wohnung zu leben. Owen beginnt sogar eine Beziehung zu einem Mädchen, wobei er allerdings – wie jedermann – die Erfahrung macht, dass auf die Liebe nicht immer Verlass ist. Und dass Disney-Filme ausgerechnet hier nicht weiterhelfen. Es ist höchst erstaunlich, wie Owen bei einer Autismus-Konferenz in Frankreich über seine Erfahrungen spricht oder bei einem privaten Video-Abend die Diskussion über „Der König der Löwen“ (fd 31 054) leitet. Sogar zwei Synchronsprecher von „Aladdin“, Jonathan Freeman und Gilbert Gottfried, die Jafar und Iago ihre Stimmen leihen, hat Owen eingeladen. Die Inszenierung hat eine eigene Ebene eingezogen, die zeigt, wie sich Owen mit Nebenfiguren wie Jafar und Iago identifiziert und sich so seiner eigenen Gefühle versichert. „The Land of the Lost Sidekicks“ nennt Owen sein Projekt, mit dem er sich von Kindesbeinen an eigene Geschichten zu den Figuren ausgedacht und gezeichnet hat. Französische Animatoren erwecken diese Zeichnungen zum Leben, die in ihrer hingeworfenen Schlichtheit einen interessanten Kontrast zu den Ausschnitten aus den Disney-Filmen bilden. Die Idee ist bestechend: Owen wird durch Disney-Filme, in denen es auch um Freiheit und Selbstverwirklichung geht, angeleitet, sein Leben zu meistern; er kann wie Peter Pan oder Pinocchio seine eigene Fantasie schweifen lassen. Und da er sich diese Filme immer wieder ansehen kann, ohne dass sie sich verändern, bilden sie sogar eine wesentliche Konstante in seinem Leben. „Life, Animated“ ist eine vielschichtige, anspruchsvolle Dokumentation über einen besonderen Menschen mit einer Obsession für erzählte Geschichten, die Cineasten gar nicht so fremd ist.
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