Die Poesie der Liebe

Drama | Frankreich 2017 | 120 Minuten

Regie: Nicolas Bedos

Nach dem Tod eines berühmten französischen Autors enthüllt seine Witwe einem Reporter die Stationen einer mehr als 40 Jahre umfassenden Beziehung voller Leidenschaft und Widersprüche. Ausgehend von der ersten Begegnung in einem Nachtclub der 1970er-Jahre, breitet sie die Geschichte vom literarischen Aufstieg ihres Mannes aus, während sie zugleich ihre Rolle als bloße Schattenfrau korrigiert. Die epische Paar- und Gesellschaftschronik wechselt abwechslungsreich zwischen spannungsgeladenen, anrührenden und amüsanten Sequenzen, löst durch pseudo-philosophische Momente und melodramatische Effekte ihren Anspruch aber nicht immer ein. Der ambitionierte Debütfilm ist in den Hauptrollen hervorragend gespielt und streckenweise eindrucksvoll umgesetzt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MONSIEUR & MADAME ADELMAN | M & MME ADELMAN
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Les Films du Kiosque/France 2 Cinéma/Orange Studio/Le Pacte/Chaocorp Cinéma/Umedia
Regie
Nicolas Bedos
Buch
Nicolas Bedos · Doria Tillier
Kamera
Nicolas Bolduc
Musik
Nicolas Bedos · Philippe Kelly
Schnitt
Anny Danché
Darsteller
Doria Tillier (Sarah Adelman) · Nicolas Bedos (Victor de Richemont/Adelman) · Denis Podalydès (Psychologe) · Antoine Gouy (Antoine Grillot, Journalist) · Christiane Millet (Sylvie de Richemont)
Länge
120 Minuten
Kinostart
20.12.2018
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Liebesfilm
Externe Links
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Epische Paar- und Gesellschaftschronik von den 1970er-Jahren bis in die Gegenwart aus dem französischen Schriftsteller-Milieu.

Diskussion

Staatsakte sind steife, überraschungsfreie Angelegenheiten, und die Gedenkzeremonie für Victor Adelman macht da keine Ausnahme. Vor einer Gesellschaft elegant gekleideter Gäste werden die Verdienste des toten Schriftstellers in hochtrabenden Worten gewürdigt. Sein beispielhafter Erfolg spiegelt sich in Schlagworten: Gewinner des „Prix Goncourt“, Mitglied der Académie française, hinterlassene Meisterwerke. Die edle Villa, in der Victor Adelman lebte und in der seiner nun gedacht wird, kündet zudem davon, dass sich sein Autorendasein auch finanziell ausgezahlt hat.

Eine solche Aura einseitiger Lobpreisung schreit allerdings geradezu nach einem kritischen Einwurf, wenn nicht gar einer Revision. „Alles, was ich gesehen habe, ist, dass Victor Adelman tot ist“, ließe sich in Anlehnung an den Anfang von „Citizen Kane“ sagen. Wie bei Orson Welles begibt sich auch in „Die Poesie der Liebe“ ein junger Journalist auf die Suche nach einer anderen, „wahreren“ Form der Autobiografie. Die logische Auskunftsquelle dafür ist die Witwe Sarah Adelman, die sich nicht lange ziert, bevor sie die Geschichte ihrer 45-jährigen Beziehung auszubreiten und dabei auch ihre Rolle als „Schattenfrau“ und Muse zu korrigieren beginnt.

Berauscht vom Alkohol und vom Glauben ans eigene Talent

Es ist ein episches Unterfangen, das der Schriftsteller, Schauspieler und Regie-Debütant Nicolas Bedos mit diesem Ansatz anstößt, eine Paar- und Gesellschaftschronik über mehrere Jahrzehnte hinweg. Ausgangspunkt der in Kapitel unterteilten und in der Erzählgegenwart immer wieder kurz unterbrochenen Rückblende ist die erste Begegnung von Victor de Richemont und Sarah Adelman im Jahre 1971 in einem Nachtclub: er ein noch erfolgloser Autor, berauscht vom Alkohol wie vom Glauben an sein Talent, sie eine schüchterne Literaturstudentin, die den Aufschneider durchschaut, ihm aber trotzdem in seine Wohnung folgt. Nach einer alkoholbedingt ereignislosen Nacht nimmt sie sich am Morgen sein neuestes Manuskript vor und versieht dieses mit Korrekturen und Streichungen, was dem empfindlichen Victor überhaupt nicht passt. Gerade gefunden, könnte der gemeinsame Weg der beiden hier schon wieder enden.

Die nächsten Monate begegnen sie sich jedoch als Angehörige desselben Milieus immer wieder, ohne sich näherzukommen, bis die Weichen für ihre Beziehung entscheidend verstellt werden. Zum Weihnachtsessen mit Victors konservativen, reichen Eltern taucht Sarah als Freundin seines biederen Bruders auf, doch am Ende des Tages sucht sie gemeinsam mit Victor das Weite. Vom Schicksal offenkundig zum Paar bestimmt, stürzen sie sich in eine Partnerschaft, die sich als ein stürmisches Auf und Ab der Gefühle erweist, umso mehr nach Victors Durchbruch als Schriftsteller: sich die jüdische Abstammung und den Nachnamen seiner Frau aneignend, bahnt ihm ein von Holocaust-Traumata handelnder Roman die Straße zum Erfolg.

Fragen der Identität prägen die lebhafte Folge von Stationen aus dem Leben der Adelmans, ebenso wie Debatten um die Position eines Künstlers in der Gesellschaft, der Kontrast zwischen der Verachtung des Spießertums und hedonistischem Lebensstil, Selbstsucht und Zuneigung, Kindesglück und -frust, Untreue und Eifersucht, Trennung und Versöhnung.

Der ausufernde Bogen des Films führt zu mal spannungsgeladenen, mal anrührenden, mal amüsanten Szenen, die für viel Abwechslung bei der Zeitreise sorgen, während immer mal wieder darauf verwiesen wird, dass das alles aus der subjektiven Sicht einer leidgeprüften, ebenfalls sturköpfigen Ehefrau präsentiert wird.

Wilde Jagd durch die Epochen und Lebensphasen

Inszenatorisch ist Bedos’ Debüt als Regisseur gefällig und oft eindrucksvoll umgesetzt. Schönes Zeitkolorit, originelle Kameraarbeit und fließender Schnitt untermalen die großartigen schauspielerischen Leistungen von Bedos und seiner privaten wie filmischen Partnerin Doria Tillier, die zudem mit Hilfe eines außergewöhnlich überzeugenden Make-ups auch die Altersszenen grandios bewältigen. Allerdings greifen die beiden für ihr gemeinsam verfasstes Drehbuch auch auf zahlreiche pseudo-philosophische Momente und melodramatische Effekte zurück, die wenig dezent in Richtung Seifenoper tendieren. An literarische Vorbilder oder an fulminante Film- und Fernsehsagas wie Edgar Reitz „Heimat“, Marco Tullio Giordanas „Die besten Jahre“ und Richard Linklaters „Boyhood“ reicht „Die Poesie der Liebe“ deshalb nicht heran. Eher erinnert der Film an die ehrgeizigsten Projekte eines Regisseurs wie Claude Lelouch, der in Werken wie „Ein Leben lang“ (1974) und „Ein jeglicher wird seinen Lohn empfangen“ (1981) ebenfalls private Liebesgeschichten und historischen Wandel verquickte, dabei aber dem eigenen Anspruch mitunter auch schon hinterherlief.

Was sich während der Jagd durch Epochen und Lebensphasen in „Die Poesie der Liebe“ so kurzweilig wie profund ausnimmt, erweist sich mit dem Abspann dann doch als ziemlich luftig. Bedos hätte sich in einem Punkt durchaus ein Beispiel an seiner Figur nehmen können: Auch Victor Adelmans Phasen der höchsten Selbsteinschätzung bringen nicht seine besten Romane hervor.

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