Draußen in meinem Kopf

Drama | Deutschland 2018 | 99 Minuten

Regie: Eibe Maleen Krebs

Ein junger Mann lernt während eines Freiwilligen Sozialen Jahres in einem Pflegeheim einen nur unwesentlich Älteren kennen, der an Muskelschwund leidet und um seine Nähe zum Tod weiß. Zwischen den beiden jungen Männern entwickelt sich ein kompliziertes Verhältnis aus Anziehung und Abstoßung. Das psychologische Kammerspiel vereint nachdenklich-bittere, auch tragikomische Szenen mit einer schwebenden Melancholie. Der mit ausgezeichneten Darstellern besetzte und hervorragend fotografierte Film stellt existentielle Fragen, ohne eilfertige Antworten zu geben. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Junafilm/ZDF - Das kleine Fernsehspiel/arte
Regie
Eibe Maleen Krebs
Buch
Eibe Maleen Krebs · Andreas Keck
Kamera
Judith Kaufmann
Musik
Martin Lingnau · Ingmar Süberkrüb
Schnitt
Marianne von Deutsch
Darsteller
Samuel Koch (Sven) · Nils Hohenhövel (Christoph) · Eva Nürnberg (Louisa) · Lars Rudolph (Larry) · Mario Fuchs (Laus)
Länge
99 Minuten
Kinostart
26.04.2018
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Salzgeber (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Psychologisches Kammerspiel um die komplizierte Beziehung zwischen einem jungen Absolventen eines Freiwilligen Sozialen Jahres und seinem Schutzbefohlenen.

Diskussion
Eibe Maleen Krebs wagt sich mit ihrem Debütfilm „Draußen in meinem Kopf“ an das Genre des psychologischen Kammerspiels. Zwei Haupt- und drei Nebendarsteller in einem einzigen Raum, der erst am Schluss für wenige Augenblicke verlassen wird. Dass ein solches Wagnis gelingt, setzt eine starke Grundidee voraus und ein ausgefeiltes Drehbuch, das klug zwischen Stille und Schrei, Licht und Dunkelheit, vielleicht auch Traum und Wirklichkeit changiert. Wichtig sind ein Szenenbild, das die Innenwelten der Figuren dezent nach außen zu stülpen und optisch transparent zu werden vermag, sowie eine Kamera, die durch ein wohlüberlegtes Konzept aus Kadrage, Lichtsetzung und der Fokussierung auf Details zur dramaturgischen Partnerin wird. „Draußen in meinem Kopf“ vereint so gut wie alle diese Vorzüge. Die 36-jährige Regisseurin, die mit Andreas Keck auch das Drehbuch schrieb, versicherte sich mit der Kamerafrau Judith Kaufmann und dem Set-Designer Thorsten Sabel zweier herausragender Mitgestalter. Und sie fand mit den Schauspielern Samuel Koch, der einst durch seinen Unfall in der Fernsehsendung „Wetten, dass.. ?“ bekannt wurde, und Nils Hohenhövel zwei Akteure, die dem Film Kraft und Charakter verleihen. Es geht um nichts Geringeres als um Leben und Tod, oder besser: um das Leben im Angesicht des nahenden Todes. Die Hauptfigur Sven leidet seit Jahren an Muskelschwund. Er kann weder Arme noch Beine bewegen, ist in einem Pflegeheim ans Krankenbett gefesselt und bekämpft seine Schwermut durch potenzierten Sarkasmus, der mitunter ins Zynische abdriftet. Der Film beginnt damit, dass der nur unwesentlich jüngere Christoph in das Krankenzimmer und damit auch in Svens Leben eintritt: ein introvertierter junger Mann, der ein Freiwilliges Soziales Jahr ableistet. Schon nach wenigen Sekunden begreift Christoph, dass das keine leichte Aufgabe wird. In der Toilette des Krankenzimmers blickt er in den Spiegel, und die Zuschauer mit ihm: eine lange Einstellung auf sein Gesicht, aus dem das Gefühl der Überforderung, ja der puren Angst spricht. Ab da beschreibt der Film das komplizierte Spiel von Anziehung und Abstoßung. Die beiden Hauptfiguren sind wie Muscheln, die sich gegenseitig öffnen und verschließen, sich Vertrauen schenken und wieder entziehen, ansatzweise ihre jeweiligen Biografie preisgeben und doch ihre Geheimnisse hüten. An Svens Vorliebe, mit voller Lautstärke Bach-Kantaten zu hören, besonders gerne „Komm, süßer Tod“, kann sich Christoph gewöhnen. Dass Sven mit dem HIV-kranken Heimkumpel Larry raucht und säuft, findet er dagegen abstoßend. Ein Mädchen kommt ins Spiel, die Pflegerin Louisa, nach deren Kuss sich Sven sehnt, während sie ihm immer nur die Sauerstoffmaske überstülpt; eine der stillen, herzzerreißenden Szenen des Films. Plötzlich bricht Eifersucht auf, und Sven stellt Christoph vor Louisa bloß: ein schlimmer Verrat. Dass Christoph dennoch ins Krankenzimmer zurückkehrt und Sven sogar dessen geheimen Wunsch erfüllt, gleichsam die Sehnsucht vor dem letzten Augenaufschlag befriedigt, besiegelt schließlich die denkwürdige Freundschaft. „Draußen in meinem Kopf“ ist alles andere als ein Feel-Good-Movie, hat mit „Ziemlich beste Freunde“ (fd 40 842) also eher wenig zu tun, sondern wirkt viel dunkler und wahrhaftiger als der französische Publikumserfolg. Andererseits ist der Film aber nicht deprimierend, sondern sanft und von schwebender Melancholie. Es gibt Schockmomente wie die Szene, in der Svens CD-Player versagt und nur noch ein dröhnend-quälendes Geräusch von sich gibt; die Kamera ist dabei auf Svens Gesicht gerichtet, zeigt dessen nach innen gekehrten Blick, abgewandt von der Welt. All diese nachdenklichen, bitteren, auch tragikomischen Sequenzen führen selbst bei Auftritten einer skurrilen Figur wie Larry stets zu den zentralen Fragen hin, um die es dem Film geht: Ist das Leben noch lebenswert, wenn die Einheit von Körper und Geist zerbrochen ist? Wie kann Erlösung aussehen? Wie viel Nähe verträgt und wie viel Ruhe benötigt jemand, der an der Schwelle zum Tod steht? Und was heißt das: für immer Abschied nehmen? Fragen, auf die der Film zum Glück keine eilfertigen Antworten zu finden vorgibt.
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