Super Friede Liebe Love

Dokumentarfilm | Österreich/Deutschland 2017 | 94 Minuten

Regie: Till Cöster

Die meisten Bewohner eines Männerwohnheims in München haben schon bessere Tage gesehen. Mancher träumt noch von einer eigenen Wohnung, doch das ist wenig realistisch. Der souveräne Dokumentarfilm folgt dem Leben einiger Männer über einen langen Zeitraum und lässt sie von sich und ihrer Sicht der Dinge sprechen. Die strenge Inszenierung verzichtet auf jedwede Fragen, Kommentare oder Erläuterungen. Durch ihre Mischung aus Nähe und Distanz wahrt die großartige Langzeitbeobachtung die Würde der Heimbewohner, wozu auch eine konsequente Bildgestaltung beiträgt. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
SUPER FRIEDE LIEBE LOVE
Produktionsland
Österreich/Deutschland
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Horse & Fruits/ZDF - Das kleine Fernsehspiel
Regie
Till Cöster
Buch
Till Cöster
Kamera
Franz Kastner
Schnitt
Ulrike Tortora
Länge
94 Minuten
Kinostart
05.09.2019
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Souveräne Langzeitbeobachtung über eine Handvoll Männer in einem Wohnheim für Obdachlose in München.

Diskussion

Der Dokumentarfilm beginnt mit einem Ende. Christian ist gestorben. Vier Männer sitzen in einem schmucklosen Raum vor einem Foto des Verstorbenen und einer Kerze. Einer nach dem anderen tritt vor und sagt persönliche Worte zum Abschied. Einer singt den Namen des Toten zur Melodie von „Amazing Grace“. Christians Ableben kam nicht unerwartet. Der Mann starb während der Dreharbeiten. Später im Film sieht man einige Sequenzen, wie der von seiner Krankheit gezeichnete Christian mit gebrochener Stimme davon erzählt, was ihm im Leben widerfahren ist und wie er in dem Haus landete, wo er jetzt nur noch kurze Zeit zu leben hat.

In dem Gebäude, einem schmucklosen Nachkriegsbau in München, ist ein katholisches Männerwohnheim untergebracht. Hier leben Menschen, die keine eigene Wohnung haben, im Heim aber nicht bekocht werden, sondern sich selbst versorgen müssen. Manche Bewohner schaffen nach relativ kurzer Zeit wieder den Absprung in die Eigenständigkeit. Viele wohnen aber bereits seit Jahren hier.

Betreuer bleiben Randfiguren

Die Langzeitbeobachtung porträtiert ein paar der Bewohner. Der Film von Till Cöster stellt sie jedoch nicht vor, sondern beobachtet sie in ihrem Alltag und lässt sie erzählen – von ihrer Sicht aufs eigene Leben und den Rest der Welt. Es werden keine Fragen gestellt, es gibt keine erläuternden Kommentare, auch keine Statements durch die Betreuer der Einrichtung. Die huschen allenfalls mal bei einer Gartenparty oder bei der Weihnachtsfeier kurz durchs Bild, bleiben im Wortsinn Randfiguren.

Die Hauptprotagonisten kommen überwiegend einzeln zu Wort. Wie sie heißen, erfährt man nur, wenn sie sich bei Treffen namentlich begrüßen. Anfangs fällt es schwer, sie mit ihren zotteligen Bärten rein optisch auseinanderzuhalten; auch das, was sie sagen, ist nicht immer einfach zu verstehen. Das liegt teils am bayerischen Idiom, teils auch am Alkohol, der im Heim nicht verboten ist und die Zungen mitunter schwermacht. Dennoch werden im Laufe des Films sehr unterschiedliche Charaktere mit sehr individuellen Geschichten erkennbar.

Der mit der Baseballmütze

Da ist der Mann mit Rauschebart, der in seinem Zimmer Unmengen an Papieren angehäuft hat und sich sicher ist, mit seiner genialen Erfindung die Energieprobleme der Welt lösen zu können. Wenn man ihn nur ließe. Oder der mit der Baseballmütze, der die Tauben vor seinem Dachfenster füttert und von seiner Zeit als Orangenpflücker in Griechenland schwärmt („Blauer Himmel, blaues Wasser. Optimal.“); seine Mini-Küche hält er penibel sauber und erwägt gründlich, ob er seinen günstig erstandenen Spickbraten am Wochenende besser im Braten- oder im Römertopf zubereiten soll. Vielleicht lade er auch einen seiner Mitbewohner ein, sagt er. Später erzählt er, dass er lange Zeit mit Hare-Krishna-Jüngern in Europa unterwegs gewesen sei. „Da gab es immer zu essen.“

Dann ist da der Bedächtige, der immer wieder ein paar Akkorde auf seiner verstimmten Gitarre schrammelt. Das Gefühl der totalen Befreiung, wie es beim Konsum von Heroin zu erleben sei, verrät er, könne man mit Alkohol partout nicht erreichen. Er habe auch eine Freundin, Anna, mit der er regelmäßig per SMS Kontakt habe. Zu einem von ihm wiederholt angekündigten Treffen mit der Frau kommt es aber nicht.

Schließlich ist da noch ein Herr, der völlig aus dem Rahmen fällt. Er ist stets adrett gekleidet und ergeht sich gerne in lateinischen Sentenzen. Aus dem Kopf rezitiert er ein Eichendorff-Gedicht oder nimmt Begriffe wie „Semantik“ in den Mund. Wie der Akademiker, dessen Zimmer penibel aufgeräumt ist, in dem Männerwohnheim gelandet ist, wird nicht enthüllt. Es bleibt bei der marginalen Selbstauskunft: Beziehung gescheitert, dem Alkohol verfallen, keine Briefe von Behörden und dem Vermieter mehr geöffnet und schließlich auf der Straße gelandet.

„Das erhält mich am Leben“

So gerne man hier oder bei anderen mehr erfahren würde, so konsequent bleibt der Film seiner Linie treu. Die Protagonisten erzählen, manchmal mit längeren Pausen aber durchaus reflektiert, was sie eben erzählen wollen. Nachgefragt wird nicht. Auch nicht bei dem Bewohner, dem der Film seinen Titel verdankt. Ein freundlicher Mann mit Kurzhaarschnitt, der nahezu ohne Unterlass „Super, Friede, Liebe, Love“ wie ein Mantra vor sich hinmurmelt und mit diesen Worten auch die Wände seines Zimmers beschriftet hat. „Das erhält mich am Leben!“

In einer souveränen Mischung aus Nähe und Distanz schafft es Till Cöster, allen diesen unterschiedlichen Charakteren mit ihren teils sehr speziellen Eigenheiten in Würde zu begegnen. Bis auf ein paar kurze Szenen spielt sich alles in dem Männerwohnheim ab. Ähnlich konsequent wie die Inszenierung auf Kommentare, Musik und jedwede Betroffenheitsattitüde verzichtet, verfolgen der Regisseur und sein Kameramann Franz Kastner auch bei der Bildgestaltung ein klares Konzept. Das Haus und seine Bewohner werden durchweg von einer fixen Kamera ohne Schwenks und Fahrten eingefangen. Erst in der letzten Sequenz, in der der „Mantra“-Mann einen seiner kurzen Spaziergänge vor dem Gebäude unternimmt, folgt ihm die Kamera. Ein stiller, großartiger Dokumentarfilm, der fast zwei Jahre nach seiner Fernsehausstrahlung doch noch ins Kino kommt.

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