Die Temperatur des Willens

Dokumentarfilm | Deutschland 2017 | 104 Minuten

Regie: Peter Baranowski

Ein dokumentarisches Porträt der sogenannten „Legionäre Christi“. Der Regisseur, dessen Bruder als Pater Mitglied des Ordens ist, begleitet dessen Arbeit mit Jugendlichen bei Jugendfreizeiten und anderen Aktivitäten. Dabei zeigt der Film ungeschönt, dass es bei dieser Jugendsorge um ein knallhartes, clever aufgebautes Trainingsprogramm geht, das die Jugendlichen auf die erzkonservative Religiosität des Ordens einschwört. Dem Film geht es jedoch nicht um eine Abrechnung, sondern er erweist sich als geduldig-beobachtende Teilnahme, die die Aufmerksamkeit des Zuschauers nicht durch Schnitte oder versteckte Kommentare lenkt. Stattdessen wird das Material in langen, konzentrierten Einstellungen ausgebreitet und überlässt es dem Zuschauer, seine Schlüsse aus dem Gezeigten zu ziehen. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Passanten Filmprod.
Regie
Peter Baranowski
Buch
Peter Baranowski
Kamera
Bernd Effenberger · Peter Baranowski
Schnitt
Peter Baranowski · Ulrike Tortora
Länge
104 Minuten
Kinostart
07.06.2018
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Dokumentarisches Porträt der „Legionäre Christi“, einem erzkonservativen katholischen Orden. Der Film versteht sich nicht als Abrechnung, sondern bietet eine geduldig-beobachtende Teilnahme.

Diskussion

Zwei junge Frauen schnappen sich das Mikro und intonieren aufgekratzt ihre Stimmung am Ende der Jugendfreizeit: „Sei schön, sei cool, sei heilig“, bricht es aus ihnen heraus, „mit Gott geht eben alles besser.“ Im Saal brummt es vor Energie und Lebenslust; die in einer langen Einstellung gefilmte Bühnenperformance feiert geradezu das kreative Potenzial des Treffens, bei dem nichts auf den erzkonservativen Geist der Veranstalter hinweist: die „Legionäre Christi“, eine erst 1941 in Mexiko gegründete Ordensgemeinschaft innerhalb der katholischen Kirche, die sich einer Neuevangelisation insbesondere in Europa verschrieben hat. „Wir wollen Jesus so verkündigen, wie es in den Evangelien steht“, sagt einer der Patres über ihre Mission, wozu insbesondere die Jugendarbeit dient, gut organisierte und meist nach Geschlechtern getrennte Freizeiten, „Get strong“ für Jungs, „Looking good inside and out“ für Mädchen, Studienfahrten oder die Erziehung in Internaten und Ordensschulen.

In dem Film „Die Temperatur des Willens“ von Peter Baranowski sieht man dafür viele Beispiele, weil der Bruder des Regisseurs Mitglied des Ordens ist und dessen Jugendpastoral in Süddeutschland koordiniert. Im Schlepptau von Pater Martin, einem meist in Soutane und nie ohne weißen Collar auftretenden „Legionär Christi“, sitzt man mit am Lagerfeuer, schlendert durch die Straßen von Rom oder erlebt Jugendliche, die zwischen Gebet und gemeinsamen Aktionen nach ihrem Weg im Leben suchen.

In all den unbeschwerten Überschwang mischen sich auf Dauer aber auch befremdliche Anachronismen, wenn man Heranwachsende in Dreiergruppen über einen Sportplatz patrouillieren sieht, während sie den Rosenkranz beten, ihren verqueren Diskussionen über Liebe und Partnerschaft lauscht oder miterlebt, wie sie auf Pfarrmission an der Tür wildfremder Menschen klingeln und ihnen distanzlose Gespräche über Gott aufzwingen. Zunehmend wird dann deutlich, was der Filmtitel formuliert und den spirituell-pädagogischen Kern aller Ordensaktivitäten präzisiert: dass es nämlich um ein knallhartes, clever aufgebautes Trainingsprogramm für den Willen geht, für oder gegen Gott zu sein, die Glaubenswahrheiten zu bezeugen oder eben im Strom der liberalen Mainstream-Gesellschaft mitzuschwimmen.

Die Inszenierung ist allerdings nicht nur durch die familiäre Nähe zwischen Filmemacher und Protagonist davor gefeit, in ideologisch einseitige Fahrwasser abzugleiten, in denen es nur um eine weltanschauliche Abrechnung mit den ultrarechten „Legionären“ ginge. Stattdessen glaubt man in der Art und vor allem in der Länge vieler filmischer Einstellungen den dokumentarischen Einfluss von Romuald Karmakar regelrecht zu spüren, bei dem Baranowski an der Filmhochschule in München studierte. Ähnlich wie sein Lehrer, der sich implizit oder explizit immer wieder mit religiösen Phänomenen beschäftigt hat, setzt auch Baranowski auf eine geduldig-beobachtende Teilnahme, die die Aufmerksamkeit des Zuschauers nicht durch Schnitte oder versteckte Kommentare lenkt. Stattdessen wird das Material in langen, konzentrierten Einstellungen ausgebreitet, die einen hohen, vielfach ausdeutbaren Überschuss an Wirklichkeit enthalten.

Manchem gilt diese Art dokumentarischen Erzählens als zu unbestimmt oder gar unkritisch; dabei kommt es hier einfach darauf an, aus den Fragmenten, Sätzen, Bildern und Beobachtungen eigene Schlüsse zu ziehen, etwa aus der Erwähnung der so genannten „Gründerkrise“ des Ordens und einer dezidierten Verteidigungsstrategie, wie sie in der Stählung des Willens greifbar wird. Hinter der ominösen, durch ein schriftliches Insert im Film erläuterten „Gründerkrise“ steckt der lange vertuschte Missbrauchsskandal um Marcial Maciel (1920-2008), dessen sexuelle Verfehlungen der Vatikan erst nach seinem Tod publik machte, Papst Benedikt XVI. dann aber zu dem entlarvenden Satz veranlasste, dass darin ein „gewissenloses Leben ohne echte religiöse Gesinnung“ sichtbar geworden sei. Der junge, vom lateinamerikanischen Establishment reich alimentierte Orden stürzte darüber in eine tiefe Existenzkrise, aus der eine forcierte Abwehrstrategie erwuchs, die den Status der oppositionellen Minorität als Vorwärtsverteidigung zu verstehen lernte. Es ist durchaus beeindruckend, mit welcher souveränen Entschlossenheit die wort- und weltgewandten Patres ihre Mission verfolgen: Zweifeln, Zögern oder Zaudern passt nicht zur semi-militärischen Ausrichtung, deren Korpsgeist an mancher Stelle des Films aufscheint.

„Die Temperatur des Willens“ ist ein ergiebiges Feld für unterschiedlichste Beobachtungen, die unter anderem auch Einsichten in rechtskonservative Gefühlslagen erlauben. Das kämpferische Christentum der „Legionäre“ empfiehlt sich darin als „gesunde Mitte“ zwischen Islam und Aufklärung, wobei die Betonung von Ritualen, dem Mysterium und einer dem überforderten Individuum entzogenen Sphäre auf wachsende Akzeptanz stößt. Statt einem Leben in durchgängiger Ambivalenz und dem bisweilen kargen Brot des Symbolischen gibt es übersichtliche Klarheit und die Realpräsenz des Heiligen: der Gottesdienst ist keine fromme Zusammenkunft, sondern auf die Wandlung von Brot und Wein ins „leibhaftige“ Sakrament ausgerichtet.

Man kann in dem Programm der „Legionäre Christi“, wie es in dem Film nachgezeichnet wird, durchaus eine subtile Form von Gehirnwäsche vermuten; der erzählerische Bogen von ausgelassenen Freizeiten, „Berufungs“-Geschichten und den altersgemäßen Stufen einer sich prüfenden, bestärkenden Christgläubigkeit bis hin zu Noviziat und Priesterweihe lässt eine solche Deutung durchaus zu. Die Kunst des Films besteht aber darin, solche Interpretationen weder zu forcieren oder gar verbal zu annoncieren; seine bewusste Offenheit und die lose Struktur lassen vielfältige Auslegungen zu. Dennoch gibt eine Einstellung wie das Schlussbild nachhaltig zu denken, in dem sich die eben geweihten Neupriester und alle anderen, die in liturgischer Form an dem Gottesdienst teilnahmen, zur hierarchisch geordneten Gruppe formieren; die etwa 40 Menschen stürzen nicht als ungeordnete Masse aus der Kirche, sondern strömen gemessenen Schrittes in einer Prozession aus dem Gebäude, wobei jeder Einzelne sich sogleich auf seinem ihm zugewiesenen Platz einfindet und binnen Sekunden ein in feine Rangunterschiede differenzierter Gruppenkörper entsteht: eine heilige Ordnung, so unterhinterfragt wie eintrainiert.

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