Drama | Deutschland 2018 | 105 Minuten

Regie: Marcus Richardt

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Skalar Film/arte/rbb/Sebastian Grobler Film- und Fernsehprod.
Regie
Marcus Richardt
Buch
Marcus Richardt · Thomas Grabowsky
Kamera
Wedigo von Schultzendorff
Musik
Binoculers · Nadja Rüdebusch · Daniel Gädicke
Schnitt
Silke Olthoff
Darsteller
Katja Riemann (Kristin Dibelius) · Nils Rovira-Muñoz (David Dibelius) · Elisa Schlott (Fiona) · Jasmin Tabatabai (Monika Picard) · Cynthia Micas (Fitnesstrainerin)
Länge
105 Minuten
Kinostart
18.04.2019
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Heimkino

Verleih DVD
Lighthouse (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
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Drama um eine alleinerziehende Mutter, die mit ihrem entfremdeten Sohn im Internet anonym einen Chat beginnt, der eine inzestuöse Dynamik entwickelt.

Diskussion

Eine Mutter liegt gelöst am Strand, während Vater und Sohn einen roten Drachen am Himmel schweben lassen. Danach setzen sich die beiden zu ihr aufs Handtuch. Eine glückliche Familie scheint sich versammelt zu haben. Bis sich der Mann ein weiteres Mal erhebt und zum Wasser geht. Einsam steht er davor, wie Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“, und sieht hinaus auf die Weite. Dann verlässt er den Bildraum entschlossen nach links. Seitdem haben die Mutter und der Sohn nie wieder etwas von ihm gehört. Er hat die Familie verlassen, ohne ein Wort des Abschieds, ohne Angabe eines Grundes.

Das Trauma wiederholt sich

Wie wirkt es sich auf die Zurückgelassenen aus, wenn bei einer Trennung alles in der Schwebe gelassen wird? Schnitt in die fiktive Gegenwart. Das Trauma des Beziehungsabbruchs wiederholt sich. Kristin (Katja Riemann), die Mutter, klammert sich an ihren Sohn David (Nils Rovira-Muñoz), um den Verlust zu kompensieren. Doch der inzwischen 21-Jährige wehrt sich gegen die Rolle eines Beziehungspartners. Seit zwei Jahren hat er sich in seinem Zimmer verschanzt, ohne mit der Mutter auch nur ein Wort zu wechseln; sie ist für ihn schlicht nicht vorhanden.

Kristin hält diese Kränkung nicht länger aus. Durch die Begegnung mit einer Bekannten von David keimt in ihr eine Idee, wie sie den Kontakt zu ihrem Sohn wieder herstellen kann. Der ist als „Goliath96“ Mitglied in einem Internetforum zum Thema Drachenbau. Unter der falschen Identität einer jungen Studentin beginnt Kristin mit David zu chatten.

Das Phänomen, dass sich Männer grußlos aus einer Partnerschaft verabschieden, gab es auch schon vor dem digitalen Zeitalter. Umso instruktiver ist es, wie sich Regisseur Marcus Richardt auf dieses Thema einlässt und sich dabei mit dem Medium des Internets auseinandersetzt. Das Netz eröffnet in „Goliath96“ einen virtuellen Möglichkeitsraum, der auch Kristins Bindungsmuster zu verändern beginnt. Die Mutter nutzt die Anonymität des Mediums als Rettungsanker; ihre Maskierung ist Chance und Abgrund zugleich. Mit ihr vermag die Verlassene die eigene emotionale Not zu befriedigen und umso verdeckter ihr inzestuöses Verlangen auszuagieren. Zwischen Mutter und Sohn entwickelt sich ein schriftlicher Dialog, dessen Sätze über die Bilder gelegt werden.

Ein schriftlicher Dialog

Dieser Dialog ist das Herzstück des nachdenklichen Dramas, während die vergangenen Jahre in wenigen Rückblenden nur schwach konturiert werden und eine sich zwischenzeitlich anbahnende Beziehung zu einem neuen Partner wenig ausgearbeitet ist. Der virtuelle Austausch hingegen ist konzentriert, der Sohn wird durch diesen „Schriftverkehr“ erst richtig sichtbar. David erhält einen eigenständigen Bild- und Erzählraum, der in einer Sequenz gipfelt, in der sich Mutter und Sohn dank des Splitscreen-Verfahrens im Profil gleichberechtigt gegenübersitzen. Mittels Voiceover kann er endlich von sich erzählen, auch wenn seine Offenbarungen wenig substanzvoll sind.

„Goliath96“ vermittelt anschaulich, wie eine Beziehungsanbahnung im virtuellen Raum funktionieren kann, bei der die Identität des Gegenübers im Vagen bleibt. Die beiden Figuren begegnen sich nicht im Blick, sie suchen nicht in den Augen des Anderen einen Zugang zu dessen Seele. Vielmehr nimmt ihr Kontakt einen abstrakteren Verlauf; er vollzieht sich durch Sprache und Schrift oder erfasst den anderen in der Form eines flachen Bildes, statt ihn als Körper in seiner Bewegung im dreidimensionalen Raum wahrzunehmen.

Der Fluch des Virtuellen

Zugleich beschreibt das virtuelle Dating eine depressive Bewegung. Denn nun ist es die Mutter, die sich aus dem realen Leben zurückzieht und sich den Lebensstil des Sohns anverwandelt.

Schade ist, dass die Inszenierung für Kristins Entfremdung von der Umwelt nur mit verbrauchten, abgenutzten Bildern aufwartet, die wie Pausenfüller wirken. Dafür gewinnt die Brutalität ihres Handelns und die Manipulierbarkeit der Beziehung eine immer tragischere Größe, je mehr der Sohn den virtuellen Raum verlassen will, um sie als reale Person kennenzulernen. So hat sie durch ihre Täuschung dem Sohn nur eine weitere Enttäuschung bereitet.

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