Die 17-jährige Ursula ist unzufrieden; mit sich, weil sie so pummelig und pausbäckig ist, mit den anderen, weil sie von ihnen beharrlich ignoriert wird. Ihre spießigen Eltern – Mutter Inge ist Lehrerin, Vater Helmut ist Arzt und geht fremd – empfinden sie als zu fordernd und altklug, ihren Mitschülern ist sie zu anstrengend und anders.
Dieses Anderssein macht sie schon äußerlich durch eine kunterbunte peruanische Mütze mit langen Ohrlappen und einen dunklen Dufflecoat deutlich, der ihren Körper verschleiert. Ursula lebt im Jahr 1983 in einem kleinen Dorf im Hessen; Helmut Kohl regiert als Bundeskanzler und flimmert gelegentlich über den Bildschirm. Natürlich ist dies auch die Zeit der Proteste, gegen den NATO-Doppelbeschluss, für Frieden, gegen Atomkraft, in Gorleben und Mutlangen, was gar nicht so weit entfernt ist.
Der Lehrer als Alternative
Ursula ist schlau und lebenshungrig, sie will die Dinge verstehen, etwa, was der Opa im Krieg gemacht hat; auch auf das „erste Mal“ ist sie neugierig. Doch die Jungs im Ort sind keine große Hilfe. Da bietet sich schon der neue Lehrer Siegfried Grimm als Alternative an. Er sieht gut aus, redet klug und kritisch, predigt Pazifismus, gibt Selbstbefreiungskurse, hat Kontakte zu einer Landkommune, wo unter anderem Frauen ihren Körper erkunden. Kurzum: Dieser Mann ist zu schön, um wahr zu sein. Ursula gerät ins Schwärmen. Allerdings gefällt sich Grimm in der Rolle des Verführers, der für Ursula und ihren unscheinbaren Körper trotz aller großen Worte kaum Interesse hat. Das kann das Mädchen nicht auf sich sitzen lassen.
„Petting statt Pershing“ ist das Regiedebüt von Petra Lüschow, die bislang als Drehbuchautorin von „Tannöd“ (2009) von sich reden machte. Hier entführt sie in eine Vergangenheit, die noch gar nicht so lange zurückliegt und für viele Zuschauer durchaus noch präsent ist. Eine Zeit zwischen der politischen Stagnation unter Kohl und der Hoffnung auf Aufbruch, zwischen der Enge der Provinz und der Aussicht auf Veränderung. In Onelinern und Dialogen spießt der Film die Spießigkeit der Elterngeneration, aber auch die Pseudobewegtheit der Alt-68er auf, die mit klugen Sprüchen ihren eigenen Vorteil verschleiern, besonders, wenn es um die freie Liebe geht.
Camus und die Welt da draußen
Festgemacht wird das vor allem an der Figur des jungen Lehrers, dessen Doppelmoral von Florian Stetter ironisch überspitzt wird, ohne die Grenze zur Karikatur zu überschreiten. Das eigentliche Ereignis des Films ist jedoch die charmant-ruppige Anna Hornstein als Ursula, die in der hessischen Provinz fehl am Platz ist, weil sie sich für ganz andere Dinge, etwa Camus, interessiert und ahnt, dass es da „draußen“ eine aufregendere Welt gibt.
Lüschow beobachtet die Provinz mit ihren Auswüchsen genau: die Strenge der Eltern, den Klatsch der Nachbarn, die Popkultur mit Jürgen von der Lippes „Donnerlippchen“ im Fernsehen und Bettina Wegners „Sind so kleine Hände“ im Radio, den sozialen Druck, weil hier jeder jeden kennt, besonders Ursulas Vater, dessen Patienten wie ein Kaleidoskop das Sittengemälde des Dorfes auffächern.
Vom hässlichen Entlein zum Racheengel
Das ist amüsant und erhellend, mitunter sogar sehr komisch. Mit zunehmender Dauer verliert der Film allerdings an Verve und Pointen-Treffsicherheit. Ursulas Wandlung vom hässlichen Entlein zum entschlossenen Racheengel wird vom Drehbuch nur unzureichend vorbereitet; einige Spitzen gegen Frauenrechtlerinnen oder den uneinsichtigen Großvater verhallen ungehört. Doch dass Ursula ihren Weg machen wird – darauf ist Verlass.