Waren einmal Revoluzzer

Tragikomödie | Österreich 2019 | 108 Minuten

Regie: Johanna Moder

Zwei miteinander befreundete gutsituierte Paare aus Wien beschließen in einem spontanen Anfall von Altruismus, einem Studienfreund aus Russland zu helfen, dem als Dissident die Verhaftung droht. Nachdem sie ihm die Flucht ermöglicht haben, taucht er jedoch mit Frau und Kind bei ihnen auf, was die Hilfsbereitschaft der vier rasch schwinden lässt und sie zur Auseinandersetzung mit ihren Lebenslügen zwingt. Fein beobachtete Sittenkomödie mit ausgezeichnetem Gespür für die Widersprüche der Figuren zwischen Helfer-Phasen und geringer Strapazierfähigkeit. Facettenreich loten die Darsteller das Geflecht aus Unzulänglichkeiten und Selbstlügen aus. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
WAREN EINMAL REVOLUZZER
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
FreibeuterFilm
Regie
Johanna Moder
Buch
Johanna Moder · Manuel Rubey · Marcel Mohab
Kamera
Robert Oberrainer
Musik
Clara Luzia
Schnitt
Karin Hammer
Darsteller
Julia Jentsch (Helene) · Manuel Rubey (Jakob) · Aenne Schwarz (Tina) · Marcel Mohab (Volker) · Lena Tronina (Eugenia)
Länge
108 Minuten
Kinostart
09.09.2021
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Tragikomödie
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Sittenkomödie um zwei saturierte Wiener Paare, die einen Akt der Hilfsbereitschaft gegenüber einem russischen Dissidenten bald bereuen, als dies unbequeme Auswirkungen für sie hat.

Diskussion

Zwei gutsituierte Wiener Paare um die vierzig möchten endlich wieder etwas Sinnvolles tun, das ihre Routine aus Vernunft-Job, brotloser Selbstverwirklichung, Gemüseanbau im Wochenend-Häuschen und Kräfte zehrender Kindererziehung unterbricht. Statt Missstände nur zu beklagen, reagieren sie auf den Hilferuf eines russischen Freundes aus der Studienzeit, der als Oppositioneller in die Mühlen von Putins Unterdrückungsapparat geraten ist.

Nach einem Treffen in Moskau, bei dem einer aus dem Quartett dem Dissidenten eine hohe Geldsumme übergibt, kehrt dieser mit Frau und Baby Russland den Rücken und glaubt, dass er bei einem der Paare unterkommen kann. Doch die haben nicht mit einer ganzen Familie gerechnet und bekommen plötzlich kalte Füße, zumal die Frau in ihrer Heimat mit einem internationalen Haftbefehl gesucht wird, ihr Chef gerade als angeblicher westlicher Agent inhaftiert wurde und befreundete Exilrussen die häusliche Gemütlichkeit stören. Das „gemeinsame Projekt“ gerät so weit aus dem Ruder, dass die zunehmend gereizten Helfer nur noch nach einer Lösung suchen, „diese Leute“ aus ihrer bisherigen Komfortzone herauszubekommen.

Zwischen Helfer-Phase und gestörter Bequemlichkeit

Die auch für das Drehbuch verantwortliche Regisseurin Johanna Moder beweist in ihrer fein beobachteten Sittenkomödie „Waren einmal Revoluzzer“ ein umwerfendes Gespür für die Widersprüche ihrer Figuren, deren Helfer-Phase so schnell endet, wie die Entscheidung zur Hilfe ohne Abwägung der Konsequenzen planlos und aus einem launischen Reflex der Langeweile heraus getroffen wurde. Die existenziell in Not geratene Kleinfamilie reicht man in wehleidiger Bequemlichkeit an die anderen weiter, bis zwischen Egoismus und Gewissensbissen die Masken fallen und sich manch einer als Musterexemplar eines verlogenen Bürgertums entpuppt, das die Dissonanzen der Welt mit Kokainkonsum und Selbstoptimierungsratgebern auf Distanz halten möchte.

Verantwortung zu übernehmen ist dann doch lästig, auch wenn man etwa gerade nichts Besseres zu tun hat, als sich der Illusion hinzugeben, ganz ohne Talent mit dem noch zu komponierenden Musikalbum bald ein kreativ-aufregendes Leben zu führen, das bisher von dem Richterinnen-Job der Frau finanziert wurde.

Im Ferienhäuschen am Waldrand, wo die Geflüchteten schließlich abgesetzt werden, kommen bisher unsichtbare Beziehungskrisen an die Oberfläche, Aggressionen und Konflikte untereinander, als hätten alle nur auf diesen selbst provozierten Einschnitt gewartet, um eine unerfreuliche Lebensbilanz zu ziehen.

Geflecht aus Unzulänglichkeiten und Lebenslügen

Die Darsteller laufen in dem klug gewebten Geflecht aus Unzulänglichkeiten und Selbstlügen zur Hochform auf, statten ihre in einem moralischen Dilemma steckenden Figuren mit unzähligen Facetten aus, in einer Situation, die jeden mit einem unbekannten Selbst konfrontiert – ablenkende Seitensprünge und psychosomatische Panikattacken inklusive.

Johanna Moder, die ihr Regie-Studium unter anderem bei Michael Haneke absolvierte, seziert mit typisch österreichischer Konsequenz die lächerlich geringe Strapazierbereitschaft der in eigener Wahrnehmung einstigen Revoluzzer, während das russische Paar in seiner Heimat das Leben riskiert hatte, um für einen funktionierenden Rechtsstaat zu kämpfen. Nur eine Figur wächst an der Aufgabe, sich selbst zurücknehmen zu müssen. Der Rest kehrt zur Tagesordnung über und hofft auf: „Verdrängung, Verdrängung, Verdrängung“.

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