Unterleuten - Das zerrissene Dorf

Drama | Deutschland 2019 | 283 (94,95,94) Minuten

Regie: Matti Geschonneck

Ein Dorf in der brandenburgischen Provinz wird von Menschen unterschiedlichster Couleur und Herkunft bewohnt. Ihre unterdrückten Animositäten brechen auf, als in der Nähe des Dorfes ein Windpark gebaut werden soll. Die dreiteilige Fernsehverfilmung des gleichnamigen Romans von Juli Zeh bewältigt den personenreichen Stoff mit Bravour, indem sie die sehr unterschiedlichen Beziehungen der Bewohner mit großer Ruhe und einer wohldosierten Prise Humor entfaltet. Der Abschied von der Herrschaft der alten weißen Männer fällt dabei eher versöhnlich aus. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Network Movie
Regie
Matti Geschonneck
Buch
Magnus Vattrodt
Kamera
Theo Bierkens
Musik
Matthias Weber
Schnitt
Eva Schnare
Darsteller
Thomas Thieme (Rudolf Gombrowski) · Hermann Beyer (Kron) · Miriam Stein (Linda Franzen) · Rosalie Thomass (Jule Fließ) · Ulrich Noethen (Dr. Gerhard Fließ)
Länge
283 (94,95,94) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f (Teil 1), ab 12; f (Teil 2&3)
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung

Heimkino

Verleih DVD
Eye See Movies (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
Verleih Blu-ray
Eye See Movies (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
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Glänzende Adaption des Romans von Juli Zeh, in dem ein Dorf in Brandenburg auseinanderfällt, als ein Investor eine Windkraftanlage errichten will.

Diskussion

Am Ende dieses Dreiteilers beginnt ein neues, junges und weibliches Zeitalter. Eines des Miteinanders, des Redens und Aushandelns. Ein Neuanfang ohne die Altlasten der Vergangenheit, angeführt von Betty und Katrin, der neuen Geschäftsführerin der landwirtschaftlichen Genossenschaft „Ökologica“, und der (mutmaßlich) nächsten Bürgermeisterin des brandenburgischen Dorfes Unterleuten. Fürs Erste ist damit die Zeit des viel gescholtenen weißen alten Mannes beendet, der hier vor allem von Bettys Vorgänger Gombrowski und Katrins Vater Kron, aber auch von dem aus Berlin zugezogenen Professor Gerhard Fließ verkörpert wird: kommunikationsunfähige, selbstmitleidige, von sich und ihrer subjektiven Wahrheit restlos überzeugte Männer.

Der Herrschaft der Männer kommt an ein Ende

Der Mehrteiler nach dem gleichnamigen Roman von Juli Zeh erschöpft sich allerdings keineswegs im plumpen Mann-Frau-Konflikt. Denn in „Unterleuten“ gibt es höchst unsympathische Frauenfiguren und sehr vernünftige männliche Protagonisten. Dennoch bedeutet der weibliche Neuanfang zumindest einen Hoffnungsschimmer.

Denn die „Männerherrschaft“ in Unterleuten mündet in einer Katastrophe. An ihrem Ende haben zwei Dorfbewohner das Zeitliche gesegnet, zwei weitere liegen halbtot in der Klinik, einen erwartet eine lange Haftstrafe, und mehrere langjährige Beziehungen sind zu Bruch gegangen. Wie konnte dies so weit kommen?

Angefangen hatte alles mit den Plänen eines Windparkbetreibers, im Umfeld des Dorfes Windräder aufzustellen. Während der Bürgermeister (Jörg Schüttauf) und „Ökologica“-Chef Gombrowski (Thomas Thieme) eine Chance wittern, mit der Verpachtung von Grundstücken an die „Vento Direct“ die Zukunft des finanziell klammen Ortes zu sichern, läuft der Großteil des Dorfes gegen das Vorhaben Sturm. Angeführt werden sie von dem aus Berlin zugezogenen Ehepaar Fließ (Ulrich Noethen, Rosalie Thomass), das Schönheit und Stille der ländlichen Idylle und den Lebensraum der seltenen „Kampfläufer“-Vögel gefährdet sieht.

Die langen Schatten der Vergangenheit

Der alte Kron (Hermann Beyer) hat seine eigenen Gründe, gegen die Windkraft zu agitieren. Den überzeugten Alt-Kommunisten verbindet eine jahrzehntealte Intimfeindschaft mit Gombrowski, dem früheren Großgrundbesitzer, der nach seiner Enteignung Chef der ortsansässigen LPG wurde. Aus der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft entstand nach der Wende die „Ökologica“, die Gombrowski nach Gutsherrenart führte. Wenn er es sich durch seine barsche Art mit den Arbeitern verscherzt hatte, musste das seine engste Mitarbeiterin Betty (Sarina Radomski) wieder ausbügeln. Bettys Mutter Hilde Kessler (Dagmar Manzel) war früher mal die Schönste im Dorf; auch Kron und Gombrowski waren ihr verfallen. Mittlerweile ist sie eine Art inoffizielle Frau Gombrowski, jedenfalls führen die beiden eine (zeit- und Piccolo-)intensive, aber platonische Beziehung, worüber Gombrowskis Ehefrau (Christine Schorn) zu einem richtigen Biest geworden ist.

Hildes Mann Eric starb vor Jahrzehnten unter ungeklärten Umständen, als er sich mit Kron und Gombrowski in einer stürmischen Nacht zur Aussprache im Wald verabredete. An den Geschehnissen jenes Treffens war auch Schaller (Charly Hübner) beteiligt, der danach spurlos verschwand, jetzt aber zurückkehrt – worüber sich im Dorf niemand zu freuen scheint. Dazu kommen Krons Tochter Katrin (Bettina Lamprecht) mit Mann (Bjarne Mädel) und Tochter „Krönchen“, sowie die geschäftstüchtige Linda Franzen (Miriam Stein) mit ihrem Freund Frederick (Jacob Matschenz), die aus Berlin aufs Land gezogen sind und eine alte Villa in ein Pferdegestüt verwandeln wollen. Abgerundet wird das personenreiche Tableau durch die trinkfeste Vento-direct-Vertreterin Anne Pilz (Mina Tander) und den süddeutschen Investor Meiler (Alexander Held), die beide in „Unterleuten“ das große Geschäft wittern.

Unter Leuten auf dem Land

Man befindet sich also wahrlich „unter Leuten“. Das große Ensemble haben sowohl das Drehbuch als auch die Regie perfekt im Griff – und die tolle Besetzung tut ihr Übriges. Regisseur Matti Geschonneck holt das Beste aus den Darstellern heraus; allen voran glänzt Thomas Thieme mit einer starken Leistung; er lässt Gombrowski in unzähligen Farben schillern, von eiskalt bis warmherzig, von brutal bis fürsorglich, und bleibt doch eine in sich stimmige Figur. Hermann Beyer mimt den würdigen Gegenpart. Sein Kron ist ein schwieriges, aber auch anrührendes Relikt aus DDR-Zeiten, einer, der allein am Waldrand lebt, Saft aus eigenen Äpfeln presst und einigermaßen selbstmitleidig Werten wie Einfachheit und Solidarität hinterhertrauert. Beide werden hier aber nur stellvertretend für ein ausnahmslos grandioses Ensemble gewürdigt.

Bei allen menschlichen Abgründen ist es ein liebevoller Blick, den Juli Zeh, der Drehbuchautor Magnus Vattrodt und Regisseur Matti Geschonneck auf die Bewohner von Unterleuten werfen. Die Menschen von außen, die hier nur absahnen wollen, Frau Pilz und Herr Meiler, aber auch Linda Franzen werden mit einer gewissen Distanz, leisem Spott und sogar ein wenig Mitleid bei ihrem Tun beobachtet. Ganz ohne inszenatorische Mätzchen rollt Matti Geschonneck sein großes Dorftableau auf und lässt die Beziehungen der Figuren untereinander gemächlich, geradezu „sanft“ Gestalt annehmen.

Die großzügige Laufzeit von 270 Minuten kommt dieser Erzählweise entgegen. Seine Spannung hält der Dreiteiler dennoch konstant hoch; dafür sorgen die komplexen Beziehungen zwischen den Figuren, eine überzeugende Story, vielsagende, klug pointierte Dialoge, die souveräne Regie, dezent eingesetzte Filmmusik sowie das intensive Spiel der Darsteller. Plus gezielt eingesetzte und wohlproportionierte Dosen Humor. „Unterleuten“ erzählt eine wuchtige, Vergangenheit und Gegenwart verbindende Geschichte. Doch es sind die leisen, zarten, präzisen Töne der Umsetzung, die diese epische Fernsehproduktion so groß machen.

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