Drama | Großbritannien/USA 2020 | 115 Minuten

Regie: Miguel Sapochnik

Nachdem eine Naturkatastrophe die Erdoberfläche nahezu unbewohnbar gemacht hat, hat sich ein Ingenieur mit seinem Hund unter die Erde zurückgezogen; als weiteren Gefährten konstruiert er einen Roboter. Doch dann sieht er sich gezwungen, zusammen mit den beiden den Bunker zu verlassen und eine neue Bleibe zu suchen. Ein apokalyptisches Road Movie, das weniger auf typische Spannungsmomente des Endzeit-Genres setzt, als primär aus den Abenteuern der drei ungleichen Geschöpfe eine Erforschung dessen macht, was Menschsein bedeutet. Mit viel Witz, einem guten Hauptdarsteller, überzeugender Tricktechnik und einer großen Portion Menschlichkeit gelingt ein warmherziger Familienfilm. - Ab 10.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
FINCH
Produktionsland
Großbritannien/USA
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Amblin Partners/Dutch Angle/ImageMovers/Misher Films
Regie
Miguel Sapochnik
Buch
Craig Luck · Ivor Powell
Kamera
Jo Willems
Musik
Gustavo Santaolalla
Schnitt
Tim Porter
Darsteller
Tom Hanks (Finch) · Caleb Landry Jones (Jeff) · Lora Martinez-Cunningham (Mutter) · Marie Wagenman (Tochter) · Oscar Avila (LKW-Fahrer)
Länge
115 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 10.
Genre
Drama | Science-Fiction
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Ein apokalyptisches Road Movie, in dem sich Tom Hanks mit einem Roboter und einem Hund in einer verheerten Welt auf die Suche nach einem Ort macht, an dem sie überleben können.

Diskussion

Immer wieder betrachtet Jeff völlig fasziniert seine tänzelnden Finger. Die Bewegung der Glieder ist ein für ihn kaum zu begreifendes Wunder. Wie ein kleines Kind verliert er sich in solchen Momenten und entdeckt staunend eine Welt. Das ist auch wenig überraschend, denn schließlich wurde Jeff gerade erst gebaut; er ist ein Roboter. Konstruiert hat ihn der Erfinder Finch (Tom Hanks), um neben seinem Hund einen weiteren Weggefährten an seiner Seite zu wissen. Die anderen Menschen, die in den Schatten leben und die Nacht durchstreifen, fürchtet der Erfinder nämlich.

Seit eine Naturkatastrophe einen Großteil der Population dahingerafft hat und die Sonne das Land und die Menschen buchstäblich austrocknet und verbrennt, lebt auch Finch im Untergrund. Ohne Schutzanzug überlebt man an der Oberfläche nicht mehr. Also hat er sich eine Art Bunker-Labor gebaut, in dem er sich bislang gut eingerichtet und eingelebt hat. Nun aber zieht ein monströser Sturm auf, der die Suche nach zurückgelassenen Nahrungsmitteln, die die Lebensgrundlage des Erfinders darstellen, wohl für eine lange Zeit unmöglich machen wird. Um dem sicheren Tod zu entgehen, steigt Finch mit seinem neuen Gefährten in einen umgerüsteten Camper. Gemeinsam machen sie sich auf einen beschwerlichen Weg, an dessen Ende ein anderer Ort zum Überleben liegen soll.

Eine Reise zur Menschlichkeit

Mit „Finch“ präsentiert Apple TV + einen hellen Gegenentwurf zu John Hillcoats düsterem Endzeit-Drama „The Road“. In jener grimmigen Cormac-McCarthy-Adaption schlägt sich Viggo Mortensen mit seinem Sohn durch ein postapokalyptisches Amerika. Während „The Road“ in dunkel-pessimistischen Bildern das Wölfische im Menschen behandelt, das sich nach dem Zusammenbruch der Zivilisation Bahn bricht, interessiert sich Regisseur Miguel Sapochnik für das Menschliche inmitten der schlimmsten Verwüstung. Die typischen Klischees von Endzeitfilmen werden umschifft, indem die Katastrophe nur den Hintergrund für ein humanistisches Road Movie über Freundschaft und eine Menschlichkeit bildet, die sich ausgerechnet in der Interaktion Menschen-Maschine manifestiert.

Der große Trumpf von „Finch“ ist dabei das Charakterdesign von Jeff: Tapsend, neugierig und entwaffnend naiv darf der Roboter seine Umwelt entdecken. Die Zerstörung ist für ihn einfach gegeben; es ist die Welt, in die er hineingeworfen wird. Jede Emotion findet eine gestische Entsprechung, die trotz aller Tricktechnik von ungeheurer haptischer Qualität ist. Überhaupt sind die Effekte in jeder Hinsicht gelungen. Dabei ist der Film aber alles andere als eine Effektschlacht. Vielmehr entsteht im Zusammenspiel zwischen Jeff und Tom Hanks, der die Erschöpfung seines Charakters mit körperlicher Feinsinnigkeit darstellt, eine einnehmende Magie, die an „Cast Away“ von Robert Zemeckis erinnert. Auch in „Finch“ spielt Hanks einen Gestrandeten, der mit einer erdrückenden Einsamkeit umgehen muss. Allein das Aussehen der Hauptfigur lässt an einen Robinson Crusoe der Zukunft denken; in gewisser Weise sind Wissenschaftler ja auch Seemänner der Vernunft.

Die Frage nach dem Menschsein

Statt des vermenschlichten Basketballs Wilson aus „Cast Away“ gibt es hier nun Jeff – und der ist ein deutlich gesprächigerer Zeitgenosse. Zwar weiß der Roboter alle möglichen Fakten über die abseitigsten Dinge. Was es aber wirklich heißt, zu leben, das muss die Maschine erst erfahren. Dabei ist es vor allem Finch, der seinen neuen Freund durch Widersprüchlichkeiten und sein emotionales Verhalten irritiert. Mal soll bei der Suche nach Lebensmitteln engagierte Eigeninitiative gezeigt werden. Dann ist eben jene Initiative genau das Falsche. Es ist nicht einfach, als Roboter mit einem Menschen befreundet zu sein. Wie Jeff sich in solchen Moment fühlt, dürfte es mitunter auch Kindern gehen, wenn sie mit den mitunter erratischen Begründungen der Erwachsenen leben müssen.

Sapochnik ist mit „Finch“ ein wahrlich berührender Familienfilm gelungen, der an den 1980er-Jahre-Hit „Nummer 5 lebt!“ erinnert, in dem ein Militärroboter nach einem Blitzschlag ein sehr menschliches Eigenleben entwickelt. Beiden Filmen gelingt es, ihren metallenen Protagonisten eine Seele zu verleihen. Indem wir uns als Zuschauer:innen mit den Robotern identifizieren, drängen sich auch Fragen von Gewicht auf: Was macht uns eigentlich zu Menschen? Wo verlaufen die Grenzen zwischen uns und künstlicher Intelligenz?

 „Finch“ zeigt, dass es nicht so sehr um Haut, Haare und Gesicht geht. Vielmehr entsteht das Menschliche in der Fähigkeit, zu träumen und Geschichten zu erzählen; unser Sein entsteht in der Interaktion zwischen uns und anderen, zeigt sich in den Gesten, die uns verbinden. Sicherlich wird es Stimmen geben, die diesen positiven Humanismus als hoffnungslos unkritisch abtun werden, doch Sapochnik und sein Team schaffen es, ihn ohne verlogen wirkende Kitschigkeit zu vermitteln. Und um der anderen, der dunklen Seite des Menschen ins Auge zu sehen, gibt es immer noch Filme wie „The Road“ – und der ist nun in der Tat alles andere als ein Familienfilm.

Kommentar verfassen

Kommentieren