Spätestens seit 1974 hat der Selbstjustiz-Film Erfolg, da nahm Charles Bronson in „Ein Mann sieht rot“ die Waffe in die Hand und räumte unter den kriminellen New Yorkern auf. Immerhin galt er dabei als der Gute in einer Welt voller Böser. Das, was Russell Crowe in „Unhinged“ tut, ist schwerer zu beschreiben. Natürlich sieht auch er sich als Vertreter einer Gerechtigkeit, aber um die Objektivität dieser Einschätzung steht es hier noch schlechter als in anderen Filmen des Genres. Crowes Rolle ist die eines Wut-Autofahrers. Der selbstgerechte Blickwinkel ist bekanntlich deren Markenzeichen.
Regisseur Derrick Borte erzählt also vom Autofahren und den Emotionen, die es freisetzt, schönes Thema, jeder kann mitreden. Aber der Film führt weit über eine spontane Reaktion seiner Hauptfigur hinaus. Der porträtierte Fahrer wird nicht bloß aggressiv, er will bestrafen. Er will den Leuten, die sich im Straßenverkehr falsch benehmen – insbesondere ihm gegenüber – eine Lektion erteilen. Laut Titel ist er zwar „außer Kontrolle“, aber er macht keine Amokfahrt, sondern handelt mit Vorsatz. Er verfolgt und terrorisiert seine Opfer, bevor er sie anzündet, mit dem Hammer erschlägt, ihre Familie umbringt.
Ein Verrückter ohne Namen
Den Fahrer gibt Russell Crowe. Der Mann ist fett geworden, das muss man so sagen, man sieht es ja. Crowe hat in „Unhinged“ keine Waffe und keinen Namen, er hat nur diesen Körper, dessen Masse wiederum perfekt dafür geeignet ist, Bedrohung zu vermitteln. Schwitzend und schnaufend macht er klar, dass der Fahrer keine Skrupel kennt. Der ist sichtlich so verrückt, dass all die Pillen, die er ständig in sich hineinschüttet, niemals in sein Hirn vordringen werden. Bevor es so weit kommen könnte, legt er schon das nächste Opfer um, gern auch Kinder oder Unbeteiligte. Die Gewalt hat jedes Mal eine beeindruckende Wucht, der Fahrer verzieht keine Miene.
Das ist das hervorstechende Merkmal von Bortes Film: der Fahrer schert sich um nichts. Polizei, Verhältnismäßigkeit, Unschuld, egal, alles walzt er nieder. Erstaunlich ist, dass das funktioniert, denn selbst die Cops schaffen es nicht, ihn zu bremsen. Für Russell Crowe dürfte es ein großer Spaß gewesen sein, immer vorwärts, Blei im Blick, ansonsten „no acting required“, wie Robert Mitchum das einst nannte. Für Mienenspiel sorgt derweil seine Gegenspielerin, oder besser, die Frau, die anfangs sein Opfer ist, in der Not aber ihren Kampfgeist findet. Das ist Rachel: Hausfrau, Mutter, Friseuse, und auch nicht sonderlich friedfertig beim Autofahren. Ein Fehler. Sie hupt zu viel, so wird der Fahrer auf sie aufmerksam.
Die Gegenfigur: Eine frustrierte Autofahrerin
Mit Rachel erklärt Borte ein paar Ursachen, sie ist das Beispiel für die durchschnittliche Amerikanerin unter Druck. Sie steht mitten in der Scheidung, hat kaum Geld, verliert Kunden, schläft schlecht und wacht zu spät auf, fährt deshalb ihren Sohn Kyle nicht rechtzeitig zur Schule, hängt dabei noch im Stau – die großen wie die kleinen Konflikte fügen sich zusammen, jeden Tag steigt der Stress ein wenig. Die Aggression beim Autofahren ist ein Ventil, wobei Rachel noch einigermaßen zahm ventiliert. Sie ist die Figur, deren Handeln nachvollziehbar bleiben soll.
Das klappt insgesamt nur bedingt. Es knirscht immer wieder, während der Fahrer Jagd auf Rachel macht, bis sie die Situation endlich umdreht. Daraus entsteht ein Duell, das erst gegen Ende nicht mehr ausschließlich im Auto spielt. Derrick Borte zeigt Psychoterror und Widerstand, ein Thema, das sonst in B-Pictures zuhause ist, im Horror- oder Polizei-Genre. Er verlagert es auf die Straße, dort wird dann alles etwas schneller, irrer, simpler, aber den Unterhaltungswert mindert das nicht. In Gegenteil – die amerikanische Mentalität trifft Borte damit im Moment wahrscheinlich mehr denn je.