Drama | Polen 2019 | 129 Minuten

Regie: Jan Komasa

Ein gescheiterter Jurastudent tritt einen Job in einer zwielichtigen PR-Firma an. Diese lässt sich für fragwürdige Kampagnen anheuern, bei denen in den sozialen Netzwerken Prominente und Politiker diskreditiert, Misstrauen gegen Minderheiten geschürt und Fehlinformationen verbreitet werden. Der junge Mann erweist sich dabei als sehr geschickt und lässt sich immer tiefer in moralische Abgründe ziehen. Verstörendes polnisches Drama über die Internet-Parallelwelt, das drastisch und nicht immer subtil die Verbreitung von Hass über soziale Medien vorführt. Eindrücklich ist die Studie eines zunehmend pathologischen Narzissten, der jegliche Emotion ausblendet. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE HATER
Produktionsland
Polen
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Naima Film/dFlights/TVN/Canal+ Polska/Coloroffon
Regie
Jan Komasa
Buch
Mateusz Pacewicz
Kamera
Radek Ladczuk
Musik
Michal Jacaszek
Schnitt
Aleksandra Gowin
Darsteller
Maciej Musialowski (Tomasz Giemza) · Vanessa Aleksander (Gabi Krasucka) · Danuta Stenka (Zofia Krasucka) · Jacek Koman (Robert Krasucki) · Agata Kulesza (Beata Santorska)
Länge
129 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Jan Komasas Drama um einen gescheiterten Jurastudenten, der sich aufs berufsmäßige Verbreiten von Hasskampagnen und Fake News verlegt – und immer mehr das moralische Augenmaß verliert.

Diskussion

Die Professorin lässt keinen Zweifel an ihrer Haltung gegenüber dem Studenten Tomasz, genannt Tomek: „Sie haben an der Rechtsfakultät gegen das Recht verstoßen. Ich kann nichts für Sie tun. Sie sind zwangsexmatrikuliert.“ Mit diesem, einem Plagiat geschuldeten existentiellen Tiefschlag beginnt Jan Komasas Film „The Hater“. Und doch kommt beim Zuschauer kaum Mitleid mit dem entlassenen Jurastudenten auf. Im Gegenteil: Dieser junge Mann, von Maciej Musiałowski eindringlich gespielt, verschanzt sich nach kurzem flehentlichen Erschrecken hinter einem nahezu reglosen Gesicht; von ihm geht eine Eiseskälte aus, die von der ersten Szene an ahnen lässt, dass der egozentrische Held in ungeahnte Abgründe abdriften wird. Tatsächlich ist Tomek ein Bruder im Geiste von Travis Bickle und Arthur Fleck. Ähnlich wie Martin Scorsese in „Taxi Driver“ und Todd Phillips in „Joker“ benennt auch Jan Komasa gesellschaftliche Umstände, die wie Zündfunken für den Rachefeldzug seiner Hauptfigur wirken.

Doch als politischer Film über die polnische Gegenwartsgesellschaft funktioniert „The Hater“ nur in Maßen – so wie „Joker“ auch nur in Maßen als politische Analyse der US-Gesellschaft gesehen werden kann. Es ist eher die Studie eines zunehmend pathologischen Narzissten, eines seelisch verletzten Menschen, der jegliche Emotion ausblendet und jede sich ihm bietende Gelegenheit nutzt, um nun andere zu zerstören.

Der König des Warschauer Cybermobbing

Wie in „Suicide Room“ (2011), seinem ersten, auch auf der „Berlinale“ gezeigten Welterfolg, nutzt Jan Komasa auch diesmal wieder die Parallelwelt des Virtuellen, des Cyberspace, die sich Tomek für seine Aufsteigerpläne zunutze macht. Diabolisch in seinem Furor, mit stets dunklen Augenringen, erweist er sich bald als Meister der Manipulation. Die Chefin einer dubiosen PR-Agentur heuert ihn an; sie wird gespielt von Agata Kulesza, die schon in „Suicide Room“ als Mutter zu sehen war und dort, im früheren Film, ihren in die Cyberwelt geflohenen Sohn an eine Überdosis Tabletten verloren hatte. Hier nun scheint Tomek für sie zu einer Art Ersatzsohn zu avancieren: Sie fördert seinen Aufstieg zum ungekrönten König des Warschauer Cybermobbing, der Fake News, die gern gegen linksliberale Politiker in Stellung gebracht werden. Dass Tomek einmal mit seiner Ersatzmutter schläft, sie dabei erniedrigt und gleichsam „bezwingt“, gehört zu den spekulativen Momenten des Films.

„The Hater“ führt drastisch vor, wie bezahlter, im Netz verbreiteter Hass schließlich zu einem Blutbad führt. Der Fall des norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik und andere aktuelle Mordserien mögen dafür Pate gestanden haben. Das fiktive Opfer ist ein linker, schwuler Bürgermeisterkandidat in Warschau, der von einem durchs Netz angestachelten Killer hingemetzelt wird. Tomek, der sich mit vorgetäuschter Nettigkeit und Hilfsbereitschaft ins Wahlkampfteam des Kandidaten eingeschlichen hatte, führt dabei Regie. Wie er im Netz mit dem potenziellen Attentäter interagiert, ihn wie eine Marionette benutzt, zeigt „The Hater“ mithilfe animierter Szenen: Tomeks lancierte Mordaufträge als monströse Trickeinlagen, perfekt in die Spielhandlung eingebunden. Als „The Hater“, der im Spätherbst 2018 in Warschau entstand, gerade abgedreht war, erlag der Danziger Stadtpräsident Pawel Adamowicz einem Attentat: Näher an der Realität konnte der Film kaum sein.

Eine etwas simple Ursache-Wirkung-Dramaturgie

Wenn „The Hater“ dennoch nicht ganz die Qualität von Komasas vorherigem Meisterwerk „Corpus Christi“ (2019) erreicht, liegt das unter anderem an einigen Klischees in den Figurenzeichnungen: Besonders auffällig ist das bei der Darstellung jener liberalen, in der Warschauer Kulturschickeria beheimateten Familie, die früher Urlaub bei Tomeks Eltern auf dem Land gemacht und das Studium des Jungen unterstützt hatte. Nach der Exmatrikulation muss Tomek erfahren, dass sich diese Familie, von der er sich Hilfe in der Not verspricht, angewidert abwendet; und schlimmer noch: Sie macht sich über ihn, den gescheiterten Aufsteiger, lustig. Während die Tochter in England studieren kann, bleibt er in ihren Augen der Outlaw, der er insgeheim für sie immer gewesen sein mag. Die scheinbar für alle Ewigkeit festgeschriebene soziale Ungleichheit befeuert Tomeks Zynismus, seinen Zorn, seinen Hass. Die Abwehrhaltung, mit der die Besitzenden ihm begegnen, und seine Schlussfolgerung, die eigene soziale Stellung nur durch pure Unmoral verbessern zu können, führen zum Desaster.

Dieses dramaturgische Geflecht wirkt im Ganzen etwas simpel, so wie Kameraführung und Kadrage eher an einen besseren Fernsehkrimi erinnern als an großes Kino. Die Verstörung, die das Sujet beim Zuschauer auslöst, wird durch überdeutliche Ursachenbehauptung verkleinert. Obwohl „The Hater“ als Parabel auf die aus den Fugen geratene bürgerliche Zivilgesellschaft durchaus Sinn macht, war Komasa mit „Corpus Christi“ und dessen unausgesprochenen, unaufgeklärten Geheimnissen ästhetisch schon einen Schritt weiter.

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