Eine junge Frau verstaut ihre Habseligkeiten in einem Umzugsanhänger und verlässt mit unbekanntem Ziel die Stadt, in der sie bislang gelebt hat: Portland, Oregon. Wie sie so am Steuer sitzt, wirkt sie traurig und verloren – anscheinend ist etwas Unangenehmes passiert, was sie hinter sich lassen will. Wenn sie am Abend mit ihrem Vater telefoniert, der ihr eigentlich einen Tag später beim Umzug hatte helfen wollen, erfahren wir nicht nur ihren Namen – Jessica –, sondern auch, dass sie ihrer nörgelnden Mutter aus dem Weg gehen wollte und ist darum einen Tag früher als geplant losgefahren ist. Allein.
Ein großer Fehler, denn im Laufe des Tages hatte sie ein aufreizend langsam fahrender Autofahrer nicht überholen lassen und damit fast einen verheerenden Unfall mit einem entgegenkommenden Laster provoziert. Schlimmer noch: Er verfolgt Jessica, für einen Moment fühlt man sich an Steven Spielbergs „Duell“ erinnert. Als der Mann sich abends vor einem Motel entschuldigen will, geht Jessica auf Distanz. Zu eigenartig sieht er aus mit seiner großen Brille und dem komischen Haarschnitt, zu verdächtig ist sein Benehmen, zu persönlich und neugierig sind seine vielen Fragen. Kurzum: Diesem Kerl ist nicht zu trauen.
Die Natur als Verbündete
Bei der Weiterfahrt bekommt Jessica einen Platten und landet im Straßengraben. Plötzlich taucht der Unbekannte auf, betäubt Jessica mit einer Spritze und entführt sie. Als sie aufwacht, ist sie in einem leeren Keller gefangen, den ein Sonnenstrahl durch das vergitterte Fenster erleuchtet. Jessica kann sich problemlos und schnell befreien; doch das ist erst der Beginn einer Odyssee durch die Wildnis, bei der die Kapitelüberschriften „Der Fluss“, „Der Regen“, „Die Nacht“ und „Die Lichtung“ die einzelnen Stationen und Fluchträume vorgeben.
Plötzlich ist der Zuschauer mittendrin in einem Thriller, bei dem es für Jessica ums nackte Überleben geht. Dabei ist die Natur nicht die Bedrohung, im Gegenteil: Der entschlossene Sprung in einen reißenden Fluss ermöglich der Heldin ein vorläufiges Entkommen, der Regen verwischt Spuren, in der Nacht kann die sie ihren Gegner, den seine Taschenlampe verrät, aus sicherer Distanz beobachten, die Lichtung erlaubt es, endlich von anderen entdeckt zu werden. Die Gefahr geht von ihrem Verfolger aus, einem Serienkiller, wie sich rasch in einem kurzen Wortwechsel zeigt: Als Jessica verzweifelt um ihr Leben bittet, fragt er sie höhnisch: „Glauben Sie, dass Sie die Erste sind, die das tut?“
Regisseur John Hyams und sein Drehbuchautor Matthias Olson ersparen dem Zuschauer Folterszenen oder sexuelle Gewalt; ihr Mörder ist schon monströs genug. In ihrem Bemühen, seinen Charakter zu unterfüttern, dichten die Filmemacher ihm eine Frau und Tochter an. Der absolut Böse als liebender Familienvater? Dieses Gefälle irritiert, deutet aber auf die Schwachstelle des Unbekannten hin. Sie könnte ihm noch zum Verhängnis werden.
Showdown im Schlamm
Bis dahin hatte Hyams seinen Film entschlossen und schnell vorangetrieben. Die Einführung eines weiteren Charakters – ein bewaffneter Jäger könnte Jessica helfen – hemmt den stringenten Erzählfluss jedoch. Kontraproduktiv und überflüssig wirken auch die wortreichen Versuche des Killers, Jessica mit ihrem Trauma – ihr Ehemann hat sich erschossen, wie sich im Laufe des Films herausstellt – aus der Reserve zu locken. Doch sie bleibt standhaft. Jessicas ist eine starke Frau, die viele mutige und kluge Entscheidungen trifft und sich mit agiler Körperlichkeit und ausgeprägtem Überlebensinstinkt gegen ihr Schicksal wehrt. Ungemein spannend ist etwa, wie sie sich am Schluss kurzentschlossen im Fond des Autos des Mörders versteckt und während der Fahrt jeden Moment entdeckt werden kann. Dabei weiß sie auch stets die Gegenstände ihrer unmittelbaren Umgebung zu nutzen. So kommt es am Schluss im Schlamm der Lichtung zum symbolträchtigen Kampf der Geschlechter, der unerbittlich mit Messer und großem Radschlüssel ausgefochten wird. Es kann nur eine(n) geben.