Träume sind wie wilde Tiger

Familienfilm | Deutschland 2020 | 96 Minuten

Regie: Lars Montag

Ein Junge aus Mumbai träumt von einer Karriere in Bollywood, doch dann ziehen seine Eltern nach Berlin, was seine Wünsche in weite Ferne rücken lässt. Bis er von einem Casting für Kinderdarsteller erfährt und mit Hilfe eines Mädchens aus der Nachbarschaft ein Bewerbungsvideo produzieren will. Der unterhaltsame Familienfilm setzt auf Elemente der Culture-Clash-Komödie und des Bollywood-Kinos und handelt von Selbstbestimmung, persönlicher und kultureller Identität, Rassismus und dem Leben in einer postmigrantischen Gesellschaft. Nicht alle Klischees und Stereotype werden dabei hinterfragt, doch die Stärke der visuellen Umsetzung und das lustvolle Spiel mit den Prinzipien Kreativität und Ordnung unterstreichen, dass man zusammen alles erreichen kann. - Ab 10.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
KiKA/NFP/rbb
Regie
Lars Montag
Buch
Murmel Clausen · Lars Montag · Sathyan Ramesh · Ellen Schmidt
Kamera
Sonja Rom
Musik
Johannes Repka
Schnitt
David J. Rauschning
Darsteller
Annlis Krischke (Toni) · Shan Robitzky (Ranji) · Murali Perumal (Sunil) · Sushila Sara Mai (Kalinda Ram) · Anne Ratte-Polle (Jeanette Nachtmann)
Länge
96 Minuten
Kinostart
03.02.2022
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 10.
Genre
Familienfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
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Mischung aus Culture-Clash-Komödie und Bollywood-Film um einen Jungen aus Mumbai, der von einer Karriere in Bollywood träumt. Doch dann landet er im kalten Berlin, weil seine Eltern dort mehr Chancen auf ein besseres Leben sehen.

Diskussion

Der zwölfjährige Ranji hat einen Traum: Er möchte gemeinsam mit seinem Idol, dem Superstar Amir Roshan, in einem Bollywood-Film vor der Kamera stehen. Das Talent zum Tanzen und Singen brächte er fraglos mit. Doch sein Vater hält nichts von Ranjis Leidenschaft, dafür aber umso mehr von Statistik und sozialem Aufstieg durch Fleiß und harte Arbeit. Um die Chancen auf ein besseres Leben für die Familie zu vergrößern, beschließt er den Umzug von Mumbai nach Berlin.

Ranji ist darüber untröstlich, denn damit rückt nicht nur Bollywood in weite Ferne, sondern es bleibt mit seinem Großvater auch sein engster Vertrauter in Indien zurück. Und ausgerechnet jetzt sucht Amir Roshan einen Kinderdarsteller, der in seinem neuen Film mitspielen soll.

In Deutschland begegnen ihm die neuen Mitschüler mit Ablehnung oder offenem Rassismus; auch befremden ihn die überzogenen Integrationsbemühungen seiner Eltern. Trost schöpft Ranji allein aus der Hoffnung, beim Casting zu überzeugen und auf diese Weise nach Mumbai zurückzukehren. Da er das Bewerbungsvideo nicht allein fertigstellen kann, bittet er die gleichaltrige Nachbarin Toni um Hilfe. Doch die hat andere Sorgen; ihre Eltern haben sich gerade getrennt und sie wünscht sich nichts sehnlicher als eine heile Familie.

„Wovon träumst du?“

Der aus einer Idee von Ellen Schmidt und unter der Regie von Lars Montag entwickelte Familienfilm „Träume sind wie wilde Tiger“ verhandelt spielerisch-komödiantisch und größtenteils kindgerecht bedeutsame Fragen des Erwachsenwerdens. Was ist im Leben wichtig? Bedeuten Glück und Erfolg für alle dasselbe? Wie lassen sich Träume verwirklichen? Wie unterschiedliche Lebenseinstellungen vereinen?

Im Zentrum steht Ranji mit seinem Bedürfnis nach kreativem Ausdruck, dem das rational-regelhafte Prinzip des Vaters gegenübergestellt wird. Der Film sympathisiert dabei mit seinem jungen Protagonisten, durch dessen Augen die Geschichte präsentiert wird. Die Filmhandlung wird durch Ranjis Voiceover gerahmt, das die Ereignisse kommentiert und das Publikum direkt mit einbezieht: „Wovon träumst du?“

Auch das visuelle Konzept spiegelt seine Perspektive. Während Mumbai voller Leben und als eine Explosion aus Licht und Farben inszeniert ist, erscheint Berlin grau, kalt und abweisend. Den Bildern fehlt jede Sättigung, das Licht ist fahl, die Kleidung farblos, die Architektur monumental und geometrisch. Ranjis Fantasie bricht den zunächst recht tristen deutschen Alltag aber auf und verschiebt die Grenzen des Realen: subtil in kleinen Animationen, die die starren Backsteine und Betonstufen der Stadt in Bewegung bringen, oder auf der Tonebene, wenn ein Crash-Geräusch Ranjis Enttäuschung hörbar macht, als er seinen Traum zerplatzen sieht. Und natürlich in den Tanz- und Gesangseinlagen, die die Spielhandlung immer wieder unterbrechen.

Wie im Bollywood-Kino üblich, werden Sehnsüchte und Gefühle tänzerisch und musikalisch verarbeitet. Diese Szenen bilden eigene Welten mit fantastischen Kulissen und opulenten Kostümen, durchaus auch losgelöst von der innerfilmischen Realität. Eine interessante Meta-Ebene ist der Film im Film: ein Casting-Video, das Ranji gemeinsam mit Toni dreht; es verbindet Filmhandlung und Performance und legt gleichzeitig die filmischen Tricks hinter dem Spektakel auf charmante Weise offen.

Persönliche und kulturelle Identitäten

Die beiden Prinzipien Kreativität und Ordnung werden deutlich als Gegensätze positioniert. Nicht nur Ranji und seine Eltern lassen sich jeweils einer der Kategorien zuordnen, sondern auch viele der anderen Figuren. Der Großvater steht als ehemaliger Schauspieler auf der kreativen Seite – und hat eine eher spannungsreiche Beziehung zu seinem pragmatischen Sohn. Die Gründe für die Trennung von Tonis Eltern lassen sich ebenfalls in der scheinbaren Unvereinbarkeit dieser Pole finden. Ihr Vater, dessen selbst erdachte Musikinstrumente so absurd wie bezaubernd sind, enttäuscht sowohl seine Frau, die sich um alle lebenspraktischen Dinge allein kümmern muss, als auch seine Tochter, die sich in die Verantwortung für die familiäre Harmonie gedrängt sieht. Die Auflösung des Konflikts und die Versöhnung der Eltern erfolgt dadurch, dass der Vater einen langweiligen Job als Fahrkartenkontrolleur annimmt.

Auch hinsichtlich der Darstellung kultureller Identitäten dominieren Kontraste. „Träume sind wie wilde Tiger“ setzt auf die Elemente einer Culture-Clash-Komödie und das Aufeinanderprallen zweier unterschiedlicher Kulturen und der ihnen zugeschriebenen Eigenheiten. Nicht alle Klischees auf indischer wie deutscher Seite werden dabei relativiert oder gebrochen, weshalb Stereotype und Vorurteile mitunter eher fortgeschrieben als unterwandert werden. Eine sensiblere Haltung hätte dem Film sicher gutgetan. Dennoch ist die Absicht, gegen Rassismus und Ausgrenzung zu agieren, deutlich wahrnehmbar.

Gemeinsamkeit macht stark

Das Finale steht dann auch ganz im Zeichen von Toleranz, Zusammenhalt und einer Verbindung von Gegensätzen. Die Familien finden zueinander: Tonis Eltern versöhnen sich und Ranjis Großvater zieht zu seinem Sohn nach Berlin. Sogar Ranjis Vater akzeptiert die Leidenschaft seines Sohnes für Musik und Tanz. Und auch der Freundschaft von Ranji und Toni steht nach einigen Hindernissen nichts mehr im Weg. Ranji wird sogar zum Casting nach Mumbai eingeladen. Das ist ein fast schon märchenhaftes Ende – frei nach dem Vorbild Bollywoods.

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