Literaturverfilmung | Frankreich 2021 | 147 (drei Folgen) Minuten

Regie: Dominique Rocher

Ein Forscherteam steht auf einer abgelegenen Sternwarte in Norwegen kurz vor einem wissenschaftlichen Durchbruch. Als sie jedoch im umliegenden Wald ein Seil finden, das kein Ende zu haben scheint, kommt ihr Forscherdrang ins Wanken. Ein Teil des Teams macht sich auf eine Wanderung entlang des Seils. Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Stefan aus dem Siepen flicht die französische Miniserie mit internationaler Besetzung eine Parabel auf den menschlichen Forscherdrang und die Neugier, kreist aber auch um tiefere Sehnsüchte und Erlösungsbedürfnisse, die Menschen nach Transzendenz dürsten lassen und anfällig machen fürs Irrationale. Dabei verwebt sie mit wissenschaftlich-nüchterner Erzählweise Tropen des Märchens, Horrorfilms und Mysterythrillers zu einem eigenwillig zurückgenommenen Psychodrama. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LA CORDE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Les Films de l'Instant/Arte France Cinéma/Versus Prod.
Regie
Dominique Rocher
Buch
Dominique Rocher · Eric Forestier
Kamera
Jordane Chouzenoux
Musik
Grégoire Hetzel
Schnitt
Isabelle Manquillet
Darsteller
Suzanne Clément (Agnès Mueller) · Jeanne Balibar (Sophie Rauk) · Jean-Marc Barr (Serge Morel) · Christa Théret (Leïla) · Tom Mercier (Joseph)
Länge
147 (drei Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Literaturverfilmung | Psychothriller | Serie

Eine französische Miniserie zwischen Märchen-, Horror- und Mysterymotiven um ein Forscherteam, das im norwegischen Wald auf ein vermeintlich unendliches Seil stößt und sich von diesem Rätsel anziehen lässt.

Diskussion

Das Bangen ist vorüber für das internationale Forscherteam. Die Finanzierung ihres wichtigsten Projekts ist gerade genehmigt worden, und die Wissenschaftler um den Sternwartenleiter Bernhardt stehen kurz vor einem Durchbruch bei der Erforschung des Universums. Eine letzte Datenernte soll die Existenz sogenannter FRB Repeater beweisen und somit die Quelle von Radiostrahlung jenseits unserer Galaxie. Doch just in diesem Moment stößt Bernhardt auf eine vollends irdische Anomalie im norwegischen Wald, in dem die Satellitenschüsseln selbst schon wie Ufos wirken: ein Seil. Es liegt einfach so im Wald, niemand weiß, wie es hergekommen ist und wo es endet.

Über Glanz und Gefahr der menschlichen Neugier

Die Prämisse der französischen Mini-Serie „Das Seil“ ist so schlicht wie raffiniert. Show-Runner Dominique Rocher hat hierfür den gleichnamigen Roman von Stefan aus dem Siepen adaptiert, der 2012 erschien – eine Parabel auf die menschliche Neugier, die zur Besessenheit werden und irrationales Verhalten auslösen kann. Darin waren es keine Wissenschaftler, sondern einfache Bauern in einem abgelegenen Dorf, die das Seil entdecken und sich in den Kopf setzen, das Ende zu finden. Sie setzen dafür die anstehende Ernte und somit das Überleben der gesamten Gemeinschaft aufs Spiel.

Rocher nun spiegelt dieses Ernte-Bild auf die Datenernte der Wissenschaftler: Der menschliche Forscherdrang steht wortwörtlich wie bildlich zur Disposition. Auf den ersten Blick nüchtern erzählt wie ein Forschungsbericht, folgt die Serie dem Sonntagsspaziergang, den ein Teil des Teams betont entspannt ausruft, immer am Seil entlang durch den Wald. Als sie das Ende am ersten Abend immer noch nicht gefunden haben, will Bernhardt die Aktion abbrechen, doch das Team hat Blut geleckt und will weitergehen. Bernhardt kehrt empört um, weil er ahnt, dass das Seil das eigentliche Forschungsprojekt gefährden könnte, wenn sein Team unvollständig oder nicht rechtzeitig zur Datenernte erscheint.

An die Grenzen des Rationalen

Die Analogie zur Brotkrumenspur, die tief in den Märchenwald hinein, aber nur über gefährliche Umwege aus ihm herausführt, liegt nahe. Und schon bald ist klar, dass das Seil auch hier nur der rote Faden für eine Parabel auf die menschliche Natur ist. Filmtheoretisch würde man es wohl als MacGuffin bezeichnen, ein zentrales, aber beliebiges Objekt, das die Handlung auslöst oder maßgeblich beeinflusst – das Seil hält nichts, vielmehr zieht seine schiere Endlosigkeit die Menschen in ihren Bann. Der slowenische Medienphilosoph Slavoj Žižek bringt in diesem Zusammenhang die Kategorie des „Objekt klein a“ aus der Psychoanalyse Jacques Lacans ins Spiel. Dieses löst das menschliche Grundgefühl des Mangels aus, das sämtliche Handlungen ins Rollen bringt und deren Antrieb ist, aber stets unerreichbar bleibt.

Deshalb steht das Seil für jedes Teammitglied für ein anderes Verlangen – für das Pärchen Joseph (Tom Mercier) und Leïla (Christa Théret) scheint die Wanderung die Möglichkeit, die von Leilas Depressionen gebeutelte Beziehung wiederzubeleben, die Physikerin Sophie (Jeanne Balibar) glaubt irgendwann, dass heilende Kräfte von dem Seil ausgehen und ihr geheim gehaltener Krebs im Endstadium doch noch zurückgehen könne. Logik und Rationalität, für das Forschungsteam sonst zentral in seiner Arbeit, scheinen sich immer weiter zu verflüchtigen, je weiter die Gruppe sich von der Sternwarte entfernt. Mit der verstreichenden Zeit ist nicht mehr ganz klar, ob nicht vielleicht doch die Grenzen der Rationalität überschritten und die Wandergruppe in eine Parallelwelt eingetaucht ist. „Das Seil“ vermeidet dennoch bewusst den Gestus des Mysterythrillers, sondern ist eher Psychodrama und Gedankenexperiment zugleich. Das funktioniert, obwohl die äußere Handlung weitestgehend verhalten bleibt, auch wenn kurze Gewaltausbrüche vereinzelt Splattermomente andeuten.

Laborratten in einem emotionalen Labyrinth

Rocher belebt all die unter der Oberfläche eines jeden einzelnen Teammitglieds schwelende Sehnsucht durch schlaues Casting, das zwar einige glitzernde Namen versammelt, aber gezielt auf die einzelnen Figuren zugeschnitten scheint. Jeanne Balibar spielt die immer schwächer werdende Sophie mit Entschlossenheit und Durchsetzungswillen. Tom Mercier aus Synonymes den einzig Fachfremden Joseph mit emotionaler Weitsicht, die vielen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern schon vor der Wanderung abhandengekommen zu sein scheint. Der Schwede Jakob Cedergren spielt Ulrik, einen der Forscher, die auf der Station zurückbleiben. Das Warten auf die Wandergruppe entpuppt sich nach Wochen als Spiegelkonstellation, denn auch hier brechen nach und nach Sehnsüchte und Unzulänglichkeiten durch – etwa bei Bernhardts Ehefrau, die seit Langem ein Verhältnis mit Ulrik hat. Sie alle behandelt Rocher letztlich wie Laborratten in einem emotionalen Labyrinth, dessen Ausgang er selbst auch nicht kennt.

„Das Seil“ ist mit seiner unscheinbaren Prämisse und der beherrschten Ausführung wohl eine der unwahrscheinlichsten Serienproduktionen der letzten Zeit. Jedoch ist sie gerade deshalb so fesselnd, weil sie sich selbst eben nicht in ein Ziel verbeißt, sondern beinahe berechnend beobachtet, wie ihre Protagonisten angesichts einer scheinbaren Fehlfunktion im System reagieren.

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