Norway - Vampirblut für Hitler

Horror | Griechenland 2015 | 72 Minuten

Regie: Yannis Veslemes

Ein abgehalfterter Vampir reist in den 1980er-Jahren nach Athen, um sich im Nachtleben der Metropole zu vergnügen. Als er in einer Kellerdiskothek dem Charme einer verführerischen Frau erliegt, lässt er sich zu einer kleinen Gefälligkeit überreden, deren Ausgang ihn große Schwierigkeiten bringt. Eine sympathisch-sonderbare Variation des Vampirmotivs, die den Mythos des nach Blut und Leben hungernden Untoten mit skurrilen humoristischen Elementen unterfüttert, aber auch die unterschwellige Tragik der Hauptfigur an die Oberfläche bringt. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
NORVIGIA
Produktionsland
Griechenland
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Horsefly Productions/ 2/35 /Deep Green Sea Productions/Faliro House Productions/Logline/Marni Films/New Hellenic Radio, Internet and Television/Tugo Tugo
Regie
Yannis Veslemes
Buch
Yannis Veslemes
Kamera
Hristos Karamanis
Musik
Yannis Veslemes
Schnitt
Giannis Halkiadakis
Darsteller
Vangelis Mourikis (Zano) · Alexia Kaltsiki (Alice) · Daniel Bolda (Peter) · Markos Lezes (Marko) · Vasilis Kamitsis (Geriko)
Länge
72 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Horror | Komödie
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IMDb | TMDB

Eine sympathisch-sonderbare Vampirgeschichte um einen tanzwütigen Blutsauger, der sich von einer schönen Frau in eine sinistre Falle locken lässt.

Diskussion

Athen, 1984: Zano tanzt um sein Leben. Die blonde Zottelmähne klebt ihm am Kopf, in seiner Sonnenbrille spiegelt sich das diffuse Lichterspiel der schäbigen Kellerdisco wider. Arme und Beine schwingen dissonant durcheinander, als könnten sie sich auf keinen Rhythmus einigen. Eine Weile folgen man Zanos eigensinnigem Auftritt, bis sein Blick auf eine junge Frau am Rand der überfüllten Tanzfläche fällt. Auch Alice mustert ihn, lächelt einladend durch die rubinroten Lippen. Der Tänzer fühlt sich zu ihr hingezogen, es dürstet ihn nach Alices warmem Leib. Denn neben dem ständigen Tanzen erinnern nur „warme Mädchen“ Zanos untoten Körper flüchtig daran, wie es sich anfühlt, am Leben zu sein.

Mehr abgehalfterter Rockstar denn Dracula

Vor 100 Jahren legte Friedrich Wilhelm Murnaus Graf Orlok an Bord der Empusa in Wisborg an und brachte Tod und Krankheit in die kleine Hafenstadt. Mit „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ hielt der Vampirfilm Einzug in die Lichtspielhäuser. Anders als sein langgliedriger Vorgänger braucht der Vampir Zano jedoch keinen Sarg mit Graberde zum Regenerieren. Statt per Schiff reist er bequem per Zug. Das Verlangen nach pulsierenden Halsschlagadern ist mangels Zahnpflege zwangsweise abgestumpft. Zano hat mit populären Vertretern seiner Zunft nichts gemein; weder ist er ein eleganter Charmeur noch eine blutrünstige Bestie. Sein Auftreten erinnert vielmehr an einen abgehalfterten Rockstar, der seine besten Jahre bereits lange hinter sich hat. Nach Athen reist Zano auf Einladung eines befreundeten Bestatters, der ihm das aufregende Nachtleben der Großstadt schmackhaft gemacht hat. Dort erwarten ihn jedoch lediglich ein Sargbett in einem heruntergekommenen Hotel und der Anrufbeantworter seines unauffindbaren Freundes.

"Norway" von Yannis Veslemes nähert sich dem Vampirmythos abseits der ausgetretenen Genrewege. So verfolgt man Zanos Reiseroute nach Athen anhand einer Modelleisenbahn, die sich ratternd durch eine Miniaturlandschaft bewegt. Diese Verspieltheit spiegelt sich auch im Gebaren des vampirischen Reisenden wider, dessen Verhalten oft an einen aufgekratzten Teenager erinnert. Doch schon kurz nach seiner Ankunft in Athen stellt sich bei Zano Ernüchterung ein, die er in der nächstbesten Kellerdisco mit gläserweise Schnaps und schlecht abgemischter Technomusik zu verdrängen versucht. Obwohl unsterblich, gibt er sich zudem oft als ungeduldiger Zeitgenosse, für den es nichts Qualvolleres als Langeweile zu geben scheint. Doch das Zechen und Tanzen macht Zano zu schaffen, was ihn nach einem Kollaps auf der Tanzfläche im Büro des Clubbesitzers aufwachen lässt – der ihm erstmal eine stärkende Knoblauchsuppe anbietet.

Zwischen chronischer Hippeligkeit und Schwermut

Nach der Begegnung mit der aufreizenden Alice verlässt Zano die Diskothek, denn die junge Dame hat ihn um einen noch unbetitelten Gefallen gebeten, für den sie ins Athener Umland reisen müssen. Geblendet von ihrem verführerischen Charme, lässt Zano sich darauf ein und folgt Alice blindlings zu dem unbekannten Ziel. Doch die beiden sind nicht allein; sie haben einen vampirisierten Norweger namens Peter im Schlepptau, den Zano aus einer Laune heraus auf der Männertoilette gebissen hatte. Seitdem wankt Peter debil grinsend wie im Drogenrausch durch die Welt, was Zano ihm sichtlich neidet und mit zunehmender Bockigkeit quittiert.

Solche Gefühlsschwankungen prägen die Wahrnehmung des zottelmähnigen Vampirs. Neben seiner chronischen Hippeligkeit schlägt Zanos Gemüt spontan von Schwermut und Lustlosigkeit zu Euphorie und übersteigertem Tatendrang um. Nach der Begegnung mit Alice mischt sich auch ein starkes sexuelles Verlangen in Zanos Gefühlshaushalt, dessen kindischer Penetranz sich die junge Frau im Fellmantel irgendwann ergibt. Zwar sind diese Szenen bewusst humoristisch aufgebaut – der kurze Akt hinter einem Findling im Wald erinnert an das Rammeln eines aufdringlichen Chihuahuas –, jedoch streut Veslemes trotz all des Ulks immer wieder kurze Äußerungen ein, die einen tragischeren Zugang zu Zano eröffnen. So erwähnt er während des anfänglichen Flirts mit Alice beinahe beiläufig, dass es ihn nach warmen Mädchen und Tanzen verlange, da sein Körper ansonsten nur ein Klumpen toten Fleisches wäre. Alice bestätigt dies unfreiwillig, als sie sein Eindringen im Wald mit einem plumpen „Oh ja, ich bin warm. Du aber bist scheißkalt!“, kommentiert.

Von der Sehnsucht nach Leben

Themen wie der Verlust des Menschseins oder Angst vor dem Tod sind seit jeher eng mit dem Vampirmythos verbandelt, und so zeigt auch „Norway“, dass er sich seiner Wurzeln mehr als bewusst ist. In der Zuflucht der Intimität wird Zano immer wieder mit seiner Andersartigkeit konfrontiert. Die erlebte Ablehnung steigert jedoch nur noch sein Verlangen nach Sex, Tanz und Alkohol, sprich: nach Leben. Zanos Drang nach Vitalität äußerst sich auch in merkwürdigen Traumsequenzen, wenn er und seine beiden Begleiter in einem Rentierschlitten über Norwegen fliegen.

Hauptdarsteller Vangelis Mourikis lebt seine Rolle in ihrer ganzen Verschrobenheit aus und changiert zwischen armseligem Machogehabe und schwermütigem Gedanken. Auch nutzt Veslemes oft gelbes Licht zur Ausleuchtung der Szenerie, was den ohnehin blasshäutigen Zano seiner letzten lebendigen Züge beraubt und ihn ein bisschen wie einen ausgelaugten Fixer aussehen lässt. Auch die Eifersucht des Vampirs spiegelt sich in den gelben Nebelschwaden wider, die ihn etwa beim Zanken mit Peter umkreisen und die ohnehin minimalistisch gestaltete Umgebung noch unwirklicher erscheinen lassen.

Die Sehnsucht macht Zano jedoch auch unvorsichtig; seine scheinbare Unvergänglichkeit wiegt ihn in trügerischer Sicherheit. So wird bald klar, dass Alice lediglich seine übernatürlichen Fähigkeiten auf eine Person übertragen will, die sich zunächst als Bram Stoker vorstellt. Nachdem jedoch ihre wahre Identität gelüftet wird, schlägt der Film eine andere Richtung ein. Zano weigert sich, seine Kräfte weiterzugeben, und soll mittels grausamer Folter gefügig gemacht werden. Dem scheinbar Unsterblichen werden seine körperlichen Grenzen aufgezeigt, die Kapitulation scheint unvermeidbar.

Doch am Ende tanzt Zano wieder. In völliger Dunkelheit bewegt sich der schmächtige Körper in bekannter Dissonanz. Einzig die grellen Lichtpunkte auf seiner Lederjacke und dem Stirnband werfen ein andersweltliches Licht um seine Konturen, die sich verlangsamt zu einem dumpfen Wummern bewegen. Der Untote lebt, weil er tanzt.

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